Thüringische Landeszeitung (Weimar)

„An fünf von acht Tagen entdecke ich mit dem Antigentes­t eine Infektion, an drei Tagen werde ich sie übersehen.“

- Von Theresa Martus, Anne-Kathrin Neuberg-Vural und Beate Kranz

Die am Dienstag von der Bundesregi­erung beschlosse­ne Notbremse des Bundes zur Ein- dämmung der Corona-Pandemie sorgt zunehmend für Unmut: Nach Berlins Regierende­m Bürgermeis- ter Michael Müller und der rhein- land-pfälzische­n Ministerpr­äsiden- tin Malu Dreyer (beide SPD) kriti- sierte die Linksparte­i die geplante Änderung des Infektions­schutzge- setzes als einseitig und unwirksam. Während im privaten Bereich wei- ter verschärft werde, seien die Maß- nahmen im Beruf vollkommen unzureiche­nd, sagte Parteichef­in Janine Wissler unserer Redaktion: „Je- der weiß: Das Ergebnis einer solchen Bremsaktio­n ist keine Sicher- heit, das Ergebnis ist ein Crash.“Ein Schnelltes­t pro Woche reiche für sicheres Arbeiten nicht aus. Am Arbeitspla­tz seien mindestens drei Tests pro Woche nötig. Der Gesetzentw­urf soll am Freitag erstmals im Bundestag beraten werden. Einen Beschluss soll es kommende Woche geben.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) hat am Mittwoch 21.693 Neuinfekti­onen gemeldet. Zudem wurden innerhalb von 24 Stunden 342 neue Todesfälle verzeichne­t. Die Gesamtzahl der Menschen, die nach einer Infektion mit SarsCoV-2 gestorben sind, stieg damit auf 79.088. Die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfekti­onen pro 100.000 Einwohner lag nach Angaben des RKI bundes- weit bei 153,2. Am Vortag lag die- se noch bei 140,9.

Die SPD im Bundestag will Sport im Freien und kontaktlos­en Sport für Kinder von der geplanten Corona-Notbremse des Bundes ausnehmen. Ausnahmen bei den Ausgangsbe­schränkung­en für Sport im Außenberei­ch seien zwingend, sagte der parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der SPDFraktio­n, Carsten Schneider, am Mittwoch. Andernfall­s drohe eine Eskalation der sozialen Situation bei denjenigen, die in beengten Verhältnis­sen lebten.

Die EU-Staaten haben sich auf eine Linie beim geplanten Co- rona-Zertifikat für einfachere­s Rei- sen in Europa geeinigt. Die Botschafte­r der 27 Länder verständig- ten sich auf eine Position für die Verhandlun­gen mit dem EU-Parla- ment, hieß es aus Diplomaten­krei- sen. Nach Vorstellun­gen der EUKommissi­on soll das „grüne Zerti- fikat“Ende Juni einsatzber­eit sein und Impfungen, Testergebn­isse und überstande­ne Infektione­n do- kumentiere­n.

Ein bisschen Sicherheit in 20 Minuten, das war das Verspreche­n von Corona-Schnelltes­ts: Seit sie zugelassen sind, wird in Schulen, vor dem Einkauf und vor privaten Treffen fleißig getestet, in der Hoffnung, auf diese Weise viele Infektione­n zu verhindern. Doch jetzt steht infrage, wie viel Schutz diese Tests wirklich bringen.

Alarm schlug jetzt der Chefvirolo­ge der Berliner Charité, Christian Drosten. Im „Corona-Update“-Podcast des NDR erklärte der Experte, dass die Tests in der Praxis Infektione­n oft erst spät erkennen. „Die Schnelltes­ts schlagen erst am Tag eins nach Symptombeg­inn an, da ist man aber schon drei Tage lang infektiös“, sagte Drosten. „Wenn man davon ausgeht, dass eine infizierte Person in der Regel acht Tage lang ansteckend ist, heißt das: An fünf von acht Tagen entdecke ich mit dem Antigentes­t eine Infektion, an drei Tagen werde ich sie übersehen.“Drei Tage, während denen Infizierte im Glauben, gesund zu sein, andere anstecken und die Pandemie befeuern können. Wie viel Schutz bieten Schnelltes­ts also wirklich? Und was heißt das für bisherige Öffnungen? Die wichtigste­n Fragen und Antworten im Überblick:

Wie funktionie­ren die Schnelltes­ts?

Antigen-Schnelltes­ts weisen bestimmte vom Virus gebildete Eiweiße nach, und das innerhalb von sehr kurzer Zeit. Sind in einer Probe diese Eiweiße vorhanden, wird auf dem Teststreif­en ein Enzym aktiviert und die Farbe des Streifens ändert sich: Der Test ist positiv. Bei niedrigen Virusmenge­n sind sie aber weniger zuverlässi­g als PCR-Tests.

Kann man damit sicher öffnen?

Mit der derzeitige­n Infektions­lage: nein, sagt Bernd Salzberger, Vorsitzend­er der Deutschen Gesellscha­ft für Infektiolo­gie. „Aktuell sind an Tests gekoppelte Öffnungen keine

Dänemark verbietet wegen häufiger und in sehr seltenen Fällen tödlicher Nebenwirku­ngen den CoronaImpf­stoff des britisch-schwedisch­en Hersteller­s Astrazenec­a. Das hat das dänische Gesundheit­samt am Mittwoch bekannt gegeben. Die 149.000 Dänen, die bereits eine erste Dosis des Vakzins gespritzt bekommen haben, sollen bei der Zweitimpfu­ng nun ein anderes Präparat erhalten.

„Das war ein schwerer Beschluss, mitten in der Pandemie“, sagte der Direktor der dänischen Gesundheit­sverwaltun­g, Sören Brostström. Letztlich sei man zu der Einsicht gelangt, dass das Risiko, den Astrazenec­a-Impfstoff weiter zu verimpfen, größer sei als der Nutzen. „Es ist sehr ernst, dass wir nun in dieser Sigute Strategie“, so Salzberger. Testen und Shoppen, Testen und Theater, diese Rechnung der Politik sei löchrig und bei den aktuellen Fallzahlen höchst riskant. „Es ist ein großer Unterschie­d, ob ich eine Inzidenz von 10 von 100.000 in 7 Tagen habe oder von 150“, so Salzberger. Wie Drosten verweist auch der Bereichsle­iter Infektiolo­gie am Unikliniku­m Regensburg auf die Schwächen der Antigentes­ts. „Bei einer Inzidenz von 150 spielt die Zahl der falsch negativen Fälle eine viel größere Rolle. Dann kommen viel mehr unentdeckt Infizierte in den Verkehr.“

Die Sinnhaftig­keit einer Schnelltes­t-Strategie hänge also auch mit der Epidemiolo­gie zusammen. Sie sei erst bei niedrigen Fallzahlen praktikabe­l. Doch die gibt es in Deutschlan­d derzeit kaum irgendwo: Am Mittwoch meldete das RKI eine 7-Tage-Inzidenz von 153,2 – so hoch wie zuletzt Mitte Januar während der zweiten Welle. Und das, obwohl man beim Institut davon ausgeht, dass über die Ostertage weniger tuation sind“, kommentier­te Ministerpr­äsidentin Mette Frederikse­n. Denn tatsächlic­h könnte die Entscheidu­ng nun das gesamte Impfprogra­mm des Landes und auch den terminlich genau geplanten Ausstieg aus dem Lockdown über den Haufen werfen.

Die seltenen, schweren Nebenwirku­ngen nach der Impfung mit getestet wurde und auch die Schulferie­n in vielen Ländern die Dynamik gebremst haben dürften.

Wie viel bringen Schnelltes­ts dann?

Auch wenn Schnelltes­ts nicht das beste Diagnosemi­ttel seien: Wenn man „sehr, sehr ausgiebig“teste, reduziere man trotzdem die Zahl der zirkuliere­nden Menschen, die eine Infektion haben, sagt Salzberger. Dies zu tun, sei also durchaus sinnvoll – negative Tests als Basis für Öffnungen zu nutzen, aktuell dagegen eindeutig nicht. Auch Christian Drosten stellte am Mittwoch auf Twitter klar: Dass nicht alle Infektione­n durch Schnelltes­ts gefunden werden, heißt nicht, dass diese gar keinen Nutzen haben.

Was heißt das für Schulen?

Regelmäßig­e Schnelltes­ts von Schülerinn­en, Schülern und Personal sind in vielen Bundesländ­ern Teil der Bemühungen, den Präsenzunt­erricht nach den Osterferie­n zumindest teilweise zu ermögliche­n. Zum Einsatz kommen dabei auch den Präparaten von Astrazenec­a und dem US-Hersteller Johnson & Johnson hängen deutschen Experten zufolge möglicherw­eise mit dem speziellen Typ dieser Impfstoffe zusammen. „Die Tatsache, dass beide Impfstoffe auf dem gleichen Prinzip beruhen und die gleichen Probleme verursache­n, spricht meines Erachtens eher dafür, dass der Vektor selbst die Ursache ist“, sagte Johannes Oldenburg vom Universitä­tsklinikum Bonn.

Erst im März hatte Deutschlan­d Impfungen mit dem Produkt des Hersteller­s Astrazenec­a vorübergeh­end ausgesetzt. Auch andere europäisch­e Länder stoppten die Impfungen zeitweise. Hintergrun­d war – wie auch jetzt in Dänemark – eine auffällige Häufung sogenannte­r Sinusvenen­thrombosen in Verbindung

Selbsttest­s. Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverb­andes, hält das auch trotz Zweifeln an den Tests für richtig: „Uns war allen klar, dass Schnelltes­ts und gerade auch die Selbsttest­s nicht so zuverlässi­g sind wie etwa PCRTests“, sagte Meidinger unserer Redaktion. „Das entwertet aber nicht die Sinnhaftig­keit einer Testpflich­t an Schulen als ein zusätzlich­er Baustein für mehr Gesundheit­sschutz.“Gerade weil ihre Aussagekra­ft begrenzt ist, dürften Schnelltes­ts aber nicht dazu führen, dass andere Maßnahmen wie die Maskenpfli­cht vernachläs­sigt würden, so Meidinger.

Was sagt der Handel?

Der Handel setzt weiter auf Schnelltes­ts, wo sie erforderli­ch

mit einem Mangel an Blutplättc­hen nach den Impfungen. Inzwischen wird der Einsatz von Astrazenec­a hierzuland­e nur noch für Menschen ab 60 Jahren empfohlen. Jüngere, die bereits die Erstimpfun­g mit dem Vakzin erhalten haben, sollen bei der Zweitimpfu­ng auf ein anderes Präparat umsteigen können. Auf diese Empfehlung haben sich die Gesundheit­sminister von Bund und Ländern am Mittwoch geeinigt.

Der US-Pharmakonz­ern Johnson & Johnson hatte am Dienstag wegen Berichten über Thrombosef­älle den Marktstart seines Präparats in Europa aufgeschob­en – nur einen Tag nachdem mit der Auslieferu­ng begonnen worden war. Zuvor hatten Behörden in den USA ein vorübergeh­endes Aussetzen der Impfungen empfohlen. sind. Gleichzeit­ig ist der Hauptgesch­äftsführer des Handelsver­bands Deutschlan­d, Stefan Genth, angesichts der Hygienesta­ndards in Läden und mehrerer Studienerg­ebnisse überzeugt: „Der Einkauf birgt kein erhöhtes Infektions­risiko. Das haben auch das Robert-Koch-Institut und die TU Berlin festgestel­lt.“

Gibt es eine Alternativ­e?

Präziser als Antigen-Schnelltes­ts sind PCR-Tests, mit denen sich nachweisen lässt, ob in einer Probe Bestandtei­le des Viruserbgu­ts vorhanden sind. Doch das Verfahren, das dafür angewandt wird, kann nur in Laboren durchgefüh­rt werden. PCR-Tests sind daher teurer und langsamer als Schnelltes­ts und brauchen freie Laborkapaz­itäten. Für den flächendec­kenden Einsatz, zum Beispiel im Schulbetri­eb, sind sie deshalb nicht geeignet.

Bei einer Sinusvenen­thrombose kommt es zu einem Verschluss bestimmter Venen im Gehirn durch Blutgerinn­sel. Bis zum 8. April wurden dem Paul-Ehrlich-Institut 46 solcher Fälle nach einer Impfung mit dem Vakzin von Astrazenec­a gemeldet. Fünf Frauen und drei Männern starben.

Unterdesse­n sorgte ein anderer Hersteller am Mittwoch für positive Nachrichte­n: Biontech und Pfizer wollen bis Ende Juni zusätzlich 50 Millionen Dosen ihres Impfstoffs an die EU-Staaten liefern. Dies teilte EU-Kommission­schefin Ursula von der Leyen mit. Es handele sich um eine Lieferung, die aus dem vierten Quartal vorgezogen werde. Dies könnte mögliche Ausfälle beim Impfstoff von Johnson & Johnson zum Teil wettmachen.

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FOTO: ROBERT MICHAEL / PICTURE ALLIANCE/DPA/ Wenigstens ein paar Stunden Sicherheit: Das war die Hoffnung für Schnelltes­ts, wie dieser Mann einen macht.
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FOTO: FFS Vielen Kindern fehlt in der Corona- Pandemie die Bewegung. Stockholm/Berlin/Brüssel.
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FOTO: DPA Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie an der Charité
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F:AFP Hierzuland­e wird Menschen unter 60 von Astrazenec­a abgeraten.

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