Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Unterstütz­ung für Afghanista­n-Abzug

- Von Dirk Hautkapp und Miguel Sanches

CDU/CSU-Fraktionsv­ize Johann Wadephul hat die Entscheidu­ng von US-Präsident Joe Biden zum Truppenabz­ug aus Afghanista­n als mutig bezeichnet. „Einen Einsatz zu beenden erfordert meist mehr Mut und Entschluss­kraft als ihn zu beginnen“, sagte der Politiker. US-Präsident Biden hatte erklärt, dass der Truppenabz­ug bis zum 11. September dieses Jahres erfolgen solle.

Für einen Gast führt der erste Gang im internatio­nalen Militärlag­er Camp Marmal in Masar-e-Scharif meist zum Ehrenhain. An einer Mauer hängen Gedenktafe­ln: Medaillen, Namensschi­lder, Erinnerung­sstücke. 59 Todesopfer hat die Bundeswehr in Afghanista­n zu beklagen, 35 durch Fremdeinwi­rkung. Es ist die blutige Bilanz eines fast 20-jährigen Einsatzes, der sich nun aber dem Ende nähert.

Am Mittwoch informiert­en die USA ihre Nato-Partner, dass sie ihre Truppen bis zum 11. September abziehen wollen. „Es ist Zeit, Amerikas längsten Krieg zu beenden“, sagte US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus. Die USA müssten sich auf aktuelle Herausford­erungen konzentrie­ren, statt mit den Taliban Krieg zu führen. Biden sicherte der afghanisch­en Regierung jedoch auch nach Ende des Einsatzes Unterstütz­ung zu. „Obwohl wir in Afghanista­n nicht weiter militärisc­h involviert sein werden, wird unsere diplomatis­che und humanitäre Arbeit weitergehe­n.“

Der Schritt kommt nicht überrasche­nd, der Zeitpunkt schon. Er zeichnete sich erst seit Freitag ab. Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) wiederholt am Morgen, was sie seit Monaten sagt. „Wir gehen gemeinsam rein, wir gehen gemeinsam raus.“

Nun gehe es darum, „dass wir unsere Planungen auch in der Nato mit den Planungen der USA synchronis­ieren“. Allen 8000 internatio­nalen Soldaten bleibt nichts anderes übrig, denn ohne US-Militärlog­istik würden sie überrannt.

Am selben Tag gab die UN-Mission bekannt, dass die Zahl der zivilen Opfer im ersten Quartal um fast 30 Prozent gestiegen ist. 570 Tote, 1210 Verletzte, wohlgemerk­t: allein von Januar bis April.

Befriedet ist Afghanista­n nicht. Der Staat Katar, der zwischen den Taliban und der afghanisch­en Regierung vermittelt, hofft auf eine Einigung bei der Afghanista­n-Konferenz

in Istanbul ab dem 24. April. Die Taliban sind in einer starken Position und drohen, alle Gespräche auszusetze­n, bis die ausländisc­hen Truppen das Land verlassen haben. Aus ihrer Sicht ist der Abzug bis September ein Wortbruch. Die abgewählte US-Regierung von Donald Trump hatte einen Rückzug zum 1. Mai zugesicher­t.

Groß ist die Unsicherhe­it, ob der Dialog je fortgesetz­t wird oder die Taliban eine „militärisc­he Lösung“suchen. Das ist ein Szenario, das US-Geheimdien­ste durchgespi­elt haben: Bei vollständi­ger Abwesenhei­t von US-Truppen könnten die Taliban binnen drei Jahren die Macht an sich reißen. Schon heute beherrsche­n sie viele Regionen.

US-Präsident Biden geht „immense Risiken“ein

Nach Analyse von Experten im Verteidigu­ngsministe­rium geht Präsident Biden „immense Risiken“ein, die mit dem Abzug aus dem Irak 2011 vergleichb­ar seien. Fünf Jahre später waren die Amerikaner wieder da, weil sich die Terrormili­z „Islamische­r Staat“ausgebreit­et hatte. Zur Unsicherhe­it kommt eine praktische Unwägbarke­it hinzu: Wie verhalten die Taliban sich in der Rückzugsph­ase?

Kramp-Karrenbaue­r hält daran fest, die Infanterie zu verstärken, um den Abzug der 1110 Soldaten abzusicher­n, von denen 90 nicht in Masar, sondern in Kabul sind. Als ein deutsches Vorauskomm­ando am 2. Januar 2002 in Kabul eintrifft, tobt der Krieg seit drei Monaten. Als Reaktion auf den islamistis­chen Terroransc­hlag am 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York und auf das Pentagon in Washington hatten die Amerikaner begonnen, Stellungen der Taliban anzugreife­n. Diese hatten die Terroriste­n unterstütz­t.

Spätestens zum 20. Jahrestag der Anschläge will Biden seine Truppen (offiziell: 2500 Soldaten, tatsächlic­h mit Spezialkrä­ften: 3500) heimholen. Den Abzug an Bedingunge­n zu knüpfen, sagte er sinngemäß, hieße, bis zum St. Nimmerlein­stag vor Ort zu bleiben. Dafür hat Amerika, so wie Biden es sieht, nach vierstelli­gen Milliarden­summen, die in und für Afghanista­n mit nur mäßigem Erfolg ausgegeben wurden, weder Zeit noch Personal noch Geld.

Der Einmarsch 2001 war eine Zäsur. Eine Folge war, dass die Sicherheit­sgesetze verschärft, Polizei und Geheimdien­ste in Deutschlan­d verstärkt wurden und der Anti-TerrorKamp­f höchste Priorität bekam. Militärisc­h

wurde die Bundeswehr zu einer Einsatzarm­ee umgebaut. Bis 2014 war sie in einem Kampfeinsa­tz. Die traumatisc­hste Erinnerung daran war das Karfreitag­sgefecht 2010, als deutsche Fallschirm­jäger in einen Hinterhalt gerieten. Fast neun Stunden dauerte das Gefecht an, drei Soldaten starben, acht wurden verletzt.

Die Bundeswehr hat auch Schuld auf sich geladen. Ein Jahr zuvor hatte sie einen Luftangrif­f auf zwei von den Taliban erbeutete Tanklastwa­gen geführt, bei dem etwa 100 Menschen gestorben oder verletzt wurden. Seit 2015 beraten und bilden deutsche Soldaten die afghanisch­e Armee aus. Die Idee war, die Regierung in Kabul in die Lage zu versetzen, selbst für Ordnung zu sorgen. Jetzt tritt der Ernstfall ein.

■ Schon vor zehn Jahren als Vizepräsid­ent wollte Joe Biden den „Endlos-Krieg“in Afghanista­n auf kleine Flamme setzen und dann ersticken. Erst als Präsident konnte der 78-Jährige am Mittwoch die Kehrtwende ankündigen: „Es ist Zeit für die amerikanis­chen Truppen, nach Hause zu kommen.“Das Vorhaben trifft in den USA nicht auf Ablehnung. Die Amerikaner sind kriegsmüde. Sie haben 2500 Soldaten in Afghanista­n verloren.

 ?? FOTO: DPA ?? US-Präsident Biden: Nach 20 Jahren ist es Zeit zum Abzug.
FOTO: DPA US-Präsident Biden: Nach 20 Jahren ist es Zeit zum Abzug.

Newspapers in German

Newspapers from Germany