Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Unterstützung für Afghanistan-Abzug
CDU/CSU-Fraktionsvize Johann Wadephul hat die Entscheidung von US-Präsident Joe Biden zum Truppenabzug aus Afghanistan als mutig bezeichnet. „Einen Einsatz zu beenden erfordert meist mehr Mut und Entschlusskraft als ihn zu beginnen“, sagte der Politiker. US-Präsident Biden hatte erklärt, dass der Truppenabzug bis zum 11. September dieses Jahres erfolgen solle.
Für einen Gast führt der erste Gang im internationalen Militärlager Camp Marmal in Masar-e-Scharif meist zum Ehrenhain. An einer Mauer hängen Gedenktafeln: Medaillen, Namensschilder, Erinnerungsstücke. 59 Todesopfer hat die Bundeswehr in Afghanistan zu beklagen, 35 durch Fremdeinwirkung. Es ist die blutige Bilanz eines fast 20-jährigen Einsatzes, der sich nun aber dem Ende nähert.
Am Mittwoch informierten die USA ihre Nato-Partner, dass sie ihre Truppen bis zum 11. September abziehen wollen. „Es ist Zeit, Amerikas längsten Krieg zu beenden“, sagte US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus. Die USA müssten sich auf aktuelle Herausforderungen konzentrieren, statt mit den Taliban Krieg zu führen. Biden sicherte der afghanischen Regierung jedoch auch nach Ende des Einsatzes Unterstützung zu. „Obwohl wir in Afghanistan nicht weiter militärisch involviert sein werden, wird unsere diplomatische und humanitäre Arbeit weitergehen.“
Der Schritt kommt nicht überraschend, der Zeitpunkt schon. Er zeichnete sich erst seit Freitag ab. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) wiederholt am Morgen, was sie seit Monaten sagt. „Wir gehen gemeinsam rein, wir gehen gemeinsam raus.“
Nun gehe es darum, „dass wir unsere Planungen auch in der Nato mit den Planungen der USA synchronisieren“. Allen 8000 internationalen Soldaten bleibt nichts anderes übrig, denn ohne US-Militärlogistik würden sie überrannt.
Am selben Tag gab die UN-Mission bekannt, dass die Zahl der zivilen Opfer im ersten Quartal um fast 30 Prozent gestiegen ist. 570 Tote, 1210 Verletzte, wohlgemerkt: allein von Januar bis April.
Befriedet ist Afghanistan nicht. Der Staat Katar, der zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung vermittelt, hofft auf eine Einigung bei der Afghanistan-Konferenz
in Istanbul ab dem 24. April. Die Taliban sind in einer starken Position und drohen, alle Gespräche auszusetzen, bis die ausländischen Truppen das Land verlassen haben. Aus ihrer Sicht ist der Abzug bis September ein Wortbruch. Die abgewählte US-Regierung von Donald Trump hatte einen Rückzug zum 1. Mai zugesichert.
Groß ist die Unsicherheit, ob der Dialog je fortgesetzt wird oder die Taliban eine „militärische Lösung“suchen. Das ist ein Szenario, das US-Geheimdienste durchgespielt haben: Bei vollständiger Abwesenheit von US-Truppen könnten die Taliban binnen drei Jahren die Macht an sich reißen. Schon heute beherrschen sie viele Regionen.
US-Präsident Biden geht „immense Risiken“ein
Nach Analyse von Experten im Verteidigungsministerium geht Präsident Biden „immense Risiken“ein, die mit dem Abzug aus dem Irak 2011 vergleichbar seien. Fünf Jahre später waren die Amerikaner wieder da, weil sich die Terrormiliz „Islamischer Staat“ausgebreitet hatte. Zur Unsicherheit kommt eine praktische Unwägbarkeit hinzu: Wie verhalten die Taliban sich in der Rückzugsphase?
Kramp-Karrenbauer hält daran fest, die Infanterie zu verstärken, um den Abzug der 1110 Soldaten abzusichern, von denen 90 nicht in Masar, sondern in Kabul sind. Als ein deutsches Vorauskommando am 2. Januar 2002 in Kabul eintrifft, tobt der Krieg seit drei Monaten. Als Reaktion auf den islamistischen Terroranschlag am 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York und auf das Pentagon in Washington hatten die Amerikaner begonnen, Stellungen der Taliban anzugreifen. Diese hatten die Terroristen unterstützt.
Spätestens zum 20. Jahrestag der Anschläge will Biden seine Truppen (offiziell: 2500 Soldaten, tatsächlich mit Spezialkräften: 3500) heimholen. Den Abzug an Bedingungen zu knüpfen, sagte er sinngemäß, hieße, bis zum St. Nimmerleinstag vor Ort zu bleiben. Dafür hat Amerika, so wie Biden es sieht, nach vierstelligen Milliardensummen, die in und für Afghanistan mit nur mäßigem Erfolg ausgegeben wurden, weder Zeit noch Personal noch Geld.
Der Einmarsch 2001 war eine Zäsur. Eine Folge war, dass die Sicherheitsgesetze verschärft, Polizei und Geheimdienste in Deutschland verstärkt wurden und der Anti-TerrorKampf höchste Priorität bekam. Militärisch
wurde die Bundeswehr zu einer Einsatzarmee umgebaut. Bis 2014 war sie in einem Kampfeinsatz. Die traumatischste Erinnerung daran war das Karfreitagsgefecht 2010, als deutsche Fallschirmjäger in einen Hinterhalt gerieten. Fast neun Stunden dauerte das Gefecht an, drei Soldaten starben, acht wurden verletzt.
Die Bundeswehr hat auch Schuld auf sich geladen. Ein Jahr zuvor hatte sie einen Luftangriff auf zwei von den Taliban erbeutete Tanklastwagen geführt, bei dem etwa 100 Menschen gestorben oder verletzt wurden. Seit 2015 beraten und bilden deutsche Soldaten die afghanische Armee aus. Die Idee war, die Regierung in Kabul in die Lage zu versetzen, selbst für Ordnung zu sorgen. Jetzt tritt der Ernstfall ein.
■ Schon vor zehn Jahren als Vizepräsident wollte Joe Biden den „Endlos-Krieg“in Afghanistan auf kleine Flamme setzen und dann ersticken. Erst als Präsident konnte der 78-Jährige am Mittwoch die Kehrtwende ankündigen: „Es ist Zeit für die amerikanischen Truppen, nach Hause zu kommen.“Das Vorhaben trifft in den USA nicht auf Ablehnung. Die Amerikaner sind kriegsmüde. Sie haben 2500 Soldaten in Afghanistan verloren.