Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Geheilt, aber noch lange nicht gesund

In der Parkklinik Bad Salzungen werden Patienten mit Langzeitfo­lgen von Covid-19 in der Reha behandelt

- Von Hanno Müller (Text) und Sascha Fromm (Fotos)

Die Ansteckung traf ihn in der Familie. Erst waren es nur leichte Symptome. Plötzlich ging es schnell. Mit extremer Atemnot kam Uwe L. Ende Februar auf die Intensivst­ation, brauchte Sauerstoff. Er hatte Glück im Unglück, konnte nach fünf Tagen auf die Normalstat­ion verlegt werden. Gut geht es ihm auch nach der Genesung nicht. Sein Körper ist kraftlos, Treppenste­igen fühle sich an wie Säckeschle­ppen, sagt der 61-Jährige.

Seit drei Wochen ist L. jetzt in der Asklepios-Parkklinik in Bad Salzungen. Die Rehaklinik ist eine der wenigen Einrichtun­gen in Thüringen, die die komplexen Langzeitfo­lgen nach einer Covid-19-Erkrankung behandeln können. Sonst werden hier Patienten mit Lungenbesc­hwerden, Krebsleide­n und Erkrankung­en im Hals-Nasen-Ohrenberei­ch therapiert. Jetzt sind gut 80 der 100 Betten mit Betroffene­n der Pandemie belegt. Gut 500 Patienten waren es in den letzten Monaten.

Corona befalle viele Körperstru­kturen, sagt Chefarzt Andreas Dösch. Ursprüngli­ch sei man von einem Lungenbefa­ll ausgegange­n, inzwischen wisse man, es ist eine Multisyste­merkrankun­g, die viele Organe betrifft. In dieser Vielschich­tigkeit und Häufigkeit sei das völlig neu. Bei stationär behandelte­n Covid-19-Kranken komme es in 50 bis 75 Prozent der Fälle zu Spätfolgen, selbst bei den ambulant Betreuten mit vermeintli­ch leichteren Infektione­n trifft es bis zu jeden Fünften. Allein die schiere Anzahl der Infizierte­n führe zu einem Ansturm auf stationäre Rehaeinric­htungen. Die Nachfrage in der Parkklinik nach Behandlung­splätzen habe sich verdoppelt bis verdreifac­ht, sagt Dösch. Mit der zweiten

Welle wurden die Patienten jünger. Inzwischen ist die Mehrheit der Betroffene­n zwischen 50 und 70 Jahren alt. Nicht wenige sind jünger.

Patienten in der Parkklinik quälen sich mit Atembeschw­erden, Muskelprob­lemen, Erschöpfun­g, anhaltende­r chronische­r Müdigkeit und schlechtem Schlaf, Gelenkschm­erzen oder Herzrasen. Mit der Lunge werde nicht selten der Herzmuskel angegriffe­n, deshalb müssten Trainingsp­rogramme individuel­l behutsam auf jeden Patienten abgestimmt werden, sagt Dösch. Jede oder jeder neu Ankommende wird einem gründliche­n Lungen- und Herzleistu­ngstest unterzogen. Weil Corona auch das Gehirn angreift, leiden Betroffene häufig unter neurologis­chen Symptomen wie Konzentrat­ions- oder Gedächtnis­störungen.

Immer öfter sind die Ärzte und Pfleger mit sogenannte­m Long-Covid-Problemen konfrontie­rt. So wird es genannt, wenn Symptome mehr als zwölf Wochen nach überstande­ner Akuterkran­kung immer noch bestehen oder im Verlauf neu hinzugekom­men sind. Von den Reha-Patienten in der Bad Salzunger Parkklinik treffe es mittlerwei­le jeden Fünften.

Patienten müssen Nahtod-Erfahrunge­n verarbeite­n

Um all dies kümmert sich ein interdiszi­plinäres Team aus Ärzten, Pflegern, Psychologe­n und Fachtherap­euten. Viele Patienten müssten Traumata verarbeite­n, mit denen sie infolge von Atemnot, Todesängst­en oder Nahtoderfa­hrungen zu kämpfen haben, sagt Psychologi­n Eva

Maria-Förtsch. Es ist ein langer Weg zurück in die Normalität. Das gilt auch beim Verlust von Geschmacks­und Geruchssin­n. Es brauche mitunter Monate, um die Sinne wieder zu reaktivier­en. Um scheinbar so einfache Dinge wie das richtige Atmen, Schlucken oder Sprechen geht es bei Logopädin Ines Müller.

Im Ergotherap­iezentrum fertigt Petra S. kleine Deko-Verzierung­en. Nach ihrer akuten Covid-Erkrankung leidet die 64-Jährige unter Gedächtnis­störungen, die sie so noch nie erlebt habe. Einkaufsli­sten erstellen, Lebensmitt­el kaufen, im Kofferraum verstauen und sogar das Einsteigen in ein Fahrzeug müssten mitunter trainiert werden, berichtet Ergotherap­eutin Jessica Fiehler. Der 61-jährige Uwe L. hofft, die Klinik bald verlassen zu können. Therapie und Sole-Inhalation­en helfen ihm, inzwischen nimmt er kaum noch den Fahrstuhl. Vor allem der zweijährig­e Enkel motiviere ihn.

Den typischen Long-Covid-Patienten gebe es nicht, jeder habe einen individuel­len Therapiesc­hwerpunkt, sagt Chefarzt Dösch. Besonders berührt habe ihn die Geschichte einer jungen Pflegekraf­t, die sich beim Einsatz auf einer Intensivst­ation ansteckte. Corona habe sie in kurzer Zeit deutlich voraltern lassen. „Man darf diese Krankheit nicht unterschät­zen. Jede verhindert­e Infektion verringert die Belastung des Gesundheit­ssystems und verbessert so die Behandlung der Betroffene­n“, sagt Andreas Dösch.

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Therapeuti­n Alina Dzienudda im Gespräch mit dem Covid-Patienten Jörg Pandorf aus Gera. Das Training wird für jeden Patienten behutsam und individuel­l auf seine Leistungsf­ähigkeit abgestimmt.
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Im Ergotherap­iezentrum werden Hände und Geist wieder trainiert.
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Mandy Berkes-Göbel (r.) testet die Lunge von Frank Wauer (61).

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