Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Thüringen: Priorisierung bei Astrazeneca bleibt vorerst
Neue Termine für die ersten Mai-Wochenenden
Bei den Corona-Impfungen in den Impfzentren will Thüringen den Impfstoff von Astrazeneca nach Angaben des Gesundheitsministeriums vorerst nicht komplett freigeben. Für das Vakzin sei mit den über 60-Jährigen bereits ein Teil der Priorisierungsgruppe 3 geöffnet worden, sagte eine Ministeriumssprecherin. „Solange wir sehen, dass es hier und in den höheren Altersgruppen
dafür eine Nachfrage gibt, bleiben wir bei der bisherigen Reihenfolge.“
In Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Bayern ist die Priorisierung für Astrazeneca komplett aufgehoben worden. In Thüringen werden seit Mittwoch Termine für Impfungen mit Astrazeneca an den ersten beiden Mai-Wochenenden vergeben.
Seit Wochen redet Jens Spahn über Ketchup – genauer: über den Moment, in dem der Ketchup, nachdem man die Flasche lange kopfüber geschüttelt hat, mit einem dicken Plopp auf dem Teller landet. Genauso werde das mit dem Impfstoff sein: Lange kommt nichts oder viel zu wenig – dann auf einmal ist Impfstoff für alle da. Bis zum Frühsommer, so hat es der Gesundheitsminister am Donnerstag im Bundesrat angekündigt, werde so viel Impfstoff kommen, dass die Priorisierung im Laufe des Juni für sämtliche Vakzine komplett aufgehoben werden könne.
Für Astrazeneca hatten in den vergangenen Tagen bereits mehrere Bundesländer die Impfreihenfolge freigegeben, sodass jeder Impfwillige dort jetzt einen Termin ausmachen kann. Bundesweit soll im Mai – nachdem alte und chronisch kranke Menschen der ersten zwei Prioritätsgruppen geimpft sind – die dritte und letzte Prioritätsgruppe an die Reihe kommen. Dazu gehören über 60-Jährige und auch bestimmte Berufsgruppen. Spätestens im Juni sollen dann alle anderen Termine machen können.
Aus Sicht des Deutschen Hausärzteverbands kommt das enttäuschend spät: Es sei „eine niederschmetternde Nachricht für alle, die gehofft hatten, schneller aus der Pandemie herauszukommen“, sagte der Vizevorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, Berthold Dietsche, unserer Redaktion. Wäre frühzeitig und vor allem in größeren Mengen Impfstoff bestellt worden, dann hätte Deutschland das Schneckentempo beim Impfen längst hinter sich gelassen, so Dietsche. „Sobald genug Impfstoff vorhanden ist, erledigt sich die Priorisierung ohnehin von selbst.“
Mit dem Fortschritt bei den Impfungen stellt sich immer dringender auch die Frage nach den Rechten für Geimpfte: Bund und Länder wollen bei ihrem Impfgipfel am kommenden Montag darüber beraten, ab wann für Geimpfte keine Einschränkungen mehr gelten sollen.
Wie kommt Deutschland beim Impfen voran?
Seit einigen Wochen gewinnt das Impftempo an Fahrt. Laut Bundesgesundheitsministerium
wurden allein am vergangenen Mittwoch fast 690.000 Anti-Corona-Spritzen gesetzt. Damit wurden in Deutschland bislang insgesamt 23,7 Impfdosen verabreicht. Etwa 17,9 Millionen Menschen haben eine Erstimpfung erhalten. Das ist rund ein Fünftel der Gesamtbevölkerung. Den vollen Impfschutz aus zwei Dosen haben inzwischen 5,7 Millionen Menschen im Land beziehungsweise 6,9 Prozent der Bevölkerung.
Ein wichtiger Faktor für die erwartete Beschleunigung der Impfkampagne ist die neue BiontechProduktionsstätte in Marburg. Insgesamt sollen sich die Liefermengen von Biontech/Pfizer nach derzeitiger Planung ab Anfang Juni verdoppeln. Laut Bundesgesundheitsministerium sollen dann pro Woche mehr als fünf Millionen Dosen zur Verfügung stehen. Dann sollen auch die Betriebsärzte beim Impfen eingebunden werden. Bis zum Ende des zweiten Quartals (Ende Juni) erwartet die Regierung insgesamt mehr als 50 Millionen Dosen allein von Biontech. Hinzu kommen Lieferungen von Moderna und Astrazeneca sowie Johnson & Johnson.
Welche Impfstoffe werden gespritzt?
Etwa 17,6 Millionen Dosen und damit mehr als drei Viertel der bislang gelieferten Impfstoffmengen in Deutschland stammen vom Hersteller Biontech/Pfizer. Rund sechs Millionen Dosen sind von Astrazeneca. Vom US-Erzeuger Moderna wurden zuletzt rund zwei Millionen Dosen geliefert.
Muss die Priorisierung nicht jetzt schon aufgegeben werden?
Unter Ärztevertretern und Gesundheitsexperten fällt das Urteil klar aus. „Wichtig ist jetzt, dass wir das Tempo bei den Impfungen erhöhen“, sagte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung
für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Gernot Marx, unserer Redaktion. „Die Priorisierung war in den ersten Wochen sinnvoll, um die besonders gefährdeten Hochbetagten zu schützen. Doch das ist jetzt anders. Wir brauchen keine Priorisierung mehr.“Die Hausärzte wüssten sehr gut, in welcher Reihenfolge sie ihre Patienten impfen müssten.
Ähnlicher Ansicht ist der Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft, Thomas Seufferlein: „Um die dritte Pandemiewelle zu brechen und die Kliniken zu entlasten, müssen wir jetzt schneller und vor allem weniger bürokratisch beim Impfen werden.“Auch er findet: „Wir müssen so schnell wie möglich die Priorisierung aufgeben.“Sie bremse bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie. „Jeder der möchte, muss jetzt geimpft werden. Nur so kommen wir jetzt wirksam vorwärts“, glaubt Seufferlein.
Welche Bedenken gibt es?
Patientenschützer befürchten, dass mit einer Aufhebung des Vorrangs bei der Immunisierung bestimmte, besonders gefährdete Gruppen das Nachsehen haben könnten. Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, betont, die grundsätzliche ethische Reihenfolge dürfte „nicht aufgegeben werden, solange die über 80Jährigen und bettlägerigen Menschen daheim nicht vor dem Virus geschützt sind“.