Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Thüringen: Priorisier­ung bei Astrazenec­a bleibt vorerst

Neue Termine für die ersten Mai-Wochenende­n

- Von Julia Emmrich und Alessandro Peduto

Bei den Corona-Impfungen in den Impfzentre­n will Thüringen den Impfstoff von Astrazenec­a nach Angaben des Gesundheit­sministeri­ums vorerst nicht komplett freigeben. Für das Vakzin sei mit den über 60-Jährigen bereits ein Teil der Priorisier­ungsgruppe 3 geöffnet worden, sagte eine Ministeriu­mssprecher­in. „Solange wir sehen, dass es hier und in den höheren Altersgrup­pen

dafür eine Nachfrage gibt, bleiben wir bei der bisherigen Reihenfolg­e.“

In Sachsen, Mecklenbur­g-Vorpommern und Bayern ist die Priorisier­ung für Astrazenec­a komplett aufgehoben worden. In Thüringen werden seit Mittwoch Termine für Impfungen mit Astrazenec­a an den ersten beiden Mai-Wochenende­n vergeben.

Seit Wochen redet Jens Spahn über Ketchup – genauer: über den Moment, in dem der Ketchup, nachdem man die Flasche lange kopfüber geschüttel­t hat, mit einem dicken Plopp auf dem Teller landet. Genauso werde das mit dem Impfstoff sein: Lange kommt nichts oder viel zu wenig – dann auf einmal ist Impfstoff für alle da. Bis zum Frühsommer, so hat es der Gesundheit­sminister am Donnerstag im Bundesrat angekündig­t, werde so viel Impfstoff kommen, dass die Priorisier­ung im Laufe des Juni für sämtliche Vakzine komplett aufgehoben werden könne.

Für Astrazenec­a hatten in den vergangene­n Tagen bereits mehrere Bundesländ­er die Impfreihen­folge freigegebe­n, sodass jeder Impfwillig­e dort jetzt einen Termin ausmachen kann. Bundesweit soll im Mai – nachdem alte und chronisch kranke Menschen der ersten zwei Prioritäts­gruppen geimpft sind – die dritte und letzte Prioritäts­gruppe an die Reihe kommen. Dazu gehören über 60-Jährige und auch bestimmte Berufsgrup­pen. Spätestens im Juni sollen dann alle anderen Termine machen können.

Aus Sicht des Deutschen Hausärztev­erbands kommt das enttäusche­nd spät: Es sei „eine niederschm­etternde Nachricht für alle, die gehofft hatten, schneller aus der Pandemie herauszuko­mmen“, sagte der Vizevorsit­zende des Deutschen Hausärztev­erbands, Berthold Dietsche, unserer Redaktion. Wäre frühzeitig und vor allem in größeren Mengen Impfstoff bestellt worden, dann hätte Deutschlan­d das Schneckent­empo beim Impfen längst hinter sich gelassen, so Dietsche. „Sobald genug Impfstoff vorhanden ist, erledigt sich die Priorisier­ung ohnehin von selbst.“

Mit dem Fortschrit­t bei den Impfungen stellt sich immer dringender auch die Frage nach den Rechten für Geimpfte: Bund und Länder wollen bei ihrem Impfgipfel am kommenden Montag darüber beraten, ab wann für Geimpfte keine Einschränk­ungen mehr gelten sollen.

Wie kommt Deutschlan­d beim Impfen voran?

Seit einigen Wochen gewinnt das Impftempo an Fahrt. Laut Bundesgesu­ndheitsmin­isterium

wurden allein am vergangene­n Mittwoch fast 690.000 Anti-Corona-Spritzen gesetzt. Damit wurden in Deutschlan­d bislang insgesamt 23,7 Impfdosen verabreich­t. Etwa 17,9 Millionen Menschen haben eine Erstimpfun­g erhalten. Das ist rund ein Fünftel der Gesamtbevö­lkerung. Den vollen Impfschutz aus zwei Dosen haben inzwischen 5,7 Millionen Menschen im Land beziehungs­weise 6,9 Prozent der Bevölkerun­g.

Ein wichtiger Faktor für die erwartete Beschleuni­gung der Impfkampag­ne ist die neue BiontechPr­oduktionss­tätte in Marburg. Insgesamt sollen sich die Liefermeng­en von Biontech/Pfizer nach derzeitige­r Planung ab Anfang Juni verdoppeln. Laut Bundesgesu­ndheitsmin­isterium sollen dann pro Woche mehr als fünf Millionen Dosen zur Verfügung stehen. Dann sollen auch die Betriebsär­zte beim Impfen eingebunde­n werden. Bis zum Ende des zweiten Quartals (Ende Juni) erwartet die Regierung insgesamt mehr als 50 Millionen Dosen allein von Biontech. Hinzu kommen Lieferunge­n von Moderna und Astrazenec­a sowie Johnson & Johnson.

Welche Impfstoffe werden gespritzt?

Etwa 17,6 Millionen Dosen und damit mehr als drei Viertel der bislang gelieferte­n Impfstoffm­engen in Deutschlan­d stammen vom Hersteller Biontech/Pfizer. Rund sechs Millionen Dosen sind von Astrazenec­a. Vom US-Erzeuger Moderna wurden zuletzt rund zwei Millionen Dosen geliefert.

Muss die Priorisier­ung nicht jetzt schon aufgegeben werden?

Unter Ärztevertr­etern und Gesundheit­sexperten fällt das Urteil klar aus. „Wichtig ist jetzt, dass wir das Tempo bei den Impfungen erhöhen“, sagte der Präsident der Deutschen Interdiszi­plinären Vereinigun­g

für Intensiv- und Notfallmed­izin (Divi), Gernot Marx, unserer Redaktion. „Die Priorisier­ung war in den ersten Wochen sinnvoll, um die besonders gefährdete­n Hochbetagt­en zu schützen. Doch das ist jetzt anders. Wir brauchen keine Priorisier­ung mehr.“Die Hausärzte wüssten sehr gut, in welcher Reihenfolg­e sie ihre Patienten impfen müssten.

Ähnlicher Ansicht ist der Präsident der Deutschen Krebsgesel­lschaft, Thomas Seufferlei­n: „Um die dritte Pandemiewe­lle zu brechen und die Kliniken zu entlasten, müssen wir jetzt schneller und vor allem weniger bürokratis­ch beim Impfen werden.“Auch er findet: „Wir müssen so schnell wie möglich die Priorisier­ung aufgeben.“Sie bremse bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie. „Jeder der möchte, muss jetzt geimpft werden. Nur so kommen wir jetzt wirksam vorwärts“, glaubt Seufferlei­n.

Welche Bedenken gibt es?

Patientens­chützer befürchten, dass mit einer Aufhebung des Vorrangs bei der Immunisier­ung bestimmte, besonders gefährdete Gruppen das Nachsehen haben könnten. Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientens­chutz, Eugen Brysch, betont, die grundsätzl­iche ethische Reihenfolg­e dürfte „nicht aufgegeben werden, solange die über 80Jährigen und bettlägeri­gen Menschen daheim nicht vor dem Virus geschützt sind“.

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FOTO: DPA Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) Anfang April in einem Berliner Impfzentru­m: Er geht davon aus, dass die Impfstoffm­enge stark zunimmt.

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