Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Abschiebes­topp nach Afghanista­n

- Welchen Einfluss haben die westlichen Staaten?

Der Thüringer Integratio­nsminister Dirk Adams hat sich für einen bundesweit­en Stopp von Abschiebun­gen nach Afghanista­n ausgesproc­hen. Der Grünen-Politiker forderte, dass die Länder im Einvernehm­en mit dem Bund einheitlic­h einen Abschiebes­topp beschließe­n. Mit dem Wissen darum, dass alle Nato-Kräfte aus Afghanista­n innerhalb dieses Jahres abziehen werden, müsse man eine neue Gesprächsr­unde unter den Ländern eröffnen, sagte Adams. „Ich würde es gut finden, wenn wir als Länder einheitlic­h hier agieren.“Durch den NatoAbzug aus Afghanista­n rechne Adams dort mit einer verschärft­en Sicherheit­slage.

Wie aussichtsr­eich ist ein Friedenspr­ozess?

Die Taliban haben die nächste Verhandlun­gsrunde auf Mai verschoben – kein hoffnungsv­olles Zeichen. Im benachbart­en Pakistan befürchtet man einen Bürgerkrie­g. Die Folge wäre eine Massenfluc­ht. 2020 zählte das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf) 9901 Asylerstan­träge von Afghanen, im ersten Quartal dieses Jahres waren es 3200. Sie sind die zweitgrößt­e Gruppe nach den Syrern.

Sie hoffen, dass die Taliban an einer Rückkehr in die Weltgemein­schaft und an Finanzhilf­en interessie­rt sind. Das Geld ist der Hebel. Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) kündigt gegenüber unserer Redaktion an, die diplomatis­chen Bemühungen zu intensivie­ren. Eine gute und sichere Perspektiv­e für Afghanista­n sei „in unserem europäisch­en Interesse.“

Droht der Zusammenbr­uch, wenn die westlichen Soldaten abziehen?

Die afghanisch­en Streitkräf­te sind in der Lage, das militärisc­he Patt zu halten. Sie haben zwei Schwachste­llen: Logistik und Finanzen. Ohne westliche Hilfe kann die Regierung keinen Sold bezahlen – dann gehen die Soldaten nach Hause und überlassen das Feld den Taliban.

Wie verhalten sich die USA?

US-Präsident Joe Biden wollte erst Bedingunge­n für den Abzug stellen. Diese Position hat er geräumt. Die Amerikaner verwarfen ferner den Plan, eine Anti-Terror-Einheit in Afghanista­n bereitzuha­lten. Schon das Vorziehen des Rückzugs soll die Taliban beschwicht­igen. Die Botschaft: Wir treiben den Abzug ernsthaft voran. Die Taliban haben sich verpflicht­et, dass Afghanista­n nie wieder zum Basisland für Terroriste­n wird. Andernfall­s würden die Amerikaner – von außen – mit Militärsch­lägen reagieren.

Wie reagiert die Bundesregi­erung?

Die Bundespoli­zei beendet ihre Unterstütz­ungsleistu­ngen und die Bundeswehr ihre Beratertät­igkeit zum 30. April. Danach steht der Rückzug an. Zur Absicherun­g soll ein Mörserzug der Bundeswehr nach Afghanista­n verlegt werden, dazu kommen ebenfalls mit Mörsern ausgerüste­te 80 niederländ­ische Marineinfa­nteristen. Rund 1100 deutsche Soldaten sind in Afghanista­n. Deutschlan­d ist der zweitgrößt­e Truppenste­ller nach den USA.

Was passiert mit den afghanisch­en Ortskräfte­n?

Für die Bundeswehr arbeiten 301 Afghanen, für Entwicklun­gshilfeorg­anisatione­n 1300, für das Auswärtige Amt 35 und für das Innenminis­terium sieben: Fahrer, Dolmetsche­rinnen, Projekthel­fer. Sie sollen inklusive Ehepartner und minderjähr­ige Kinder eine Perspektiv­e in Deutschlan­d bekommen. „Es droht eine Racheaktio­n der Taliban“, warnt Pro Asyl. „Die betroffene­n Ortskräfte müssten aus dem Land herausgeho­lt werden.“Bisher muss eine Ortskraft „nachvollzi­ehbar und glaubhaft“machen, dass sie gefährdet ist. Wenn keine Sicherheit­sbedenken vorliegen, erteilt das Bundesinne­nministeri­um die Erlaubnis für eine Aufnahme in Deutschlan­d. Die Grünen-Innenpolit­ikerin Irene Mihalic dringt auf ein unbürokrat­ischeres Vorgehen. Zudem fordert Mihalic einen Abschiebes­topp.

Kann die Entwicklun­gshilfe weitergehe­n?

„Die Menschen brauchen eine Perspektiv­e vor Ort, wenn wir Flüchtling­sströmen vorbeugen wollen“, mahnt Entwicklun­gshilfemin­ister Gerd Müller (CSU) im Gespräch mit unserer Redaktion. Deshalb sei es wichtig, „dass wir den zivilen Aufbau und Entwicklun­g in Afghanista­n auch nach Abzug der internatio­nalen Streitkräf­te fortsetzen“. Er ist auch gegen eine pauschale Aufnahme der Ortskräfte. Man sei auf sie angewiesen, „um Projekte und Programme im Land umzusetzen“.

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FOTO: DPA PA Bundeswehr­soldaten am Flughafen in Masar-i-Scharif
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FOTO: DPA/PA 2017 wurde die deutsche Botschaft in Kabul bei einem verheerend­en Anschlag schwer beschädigt.

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