Thüringische Landeszeitung (Weimar)

„Ein Angebot an diejenigen, die keine Vorbehalte gegen den Impfstoff haben.“

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Die Gabe des Impfstoffs Vaxzevria von Astrazenec­a wird in Deutschlan­d für Menschen ab 60 Jahren empfohlen. Die Ständige Impfkommis­sion (Stiko) hatte ihre Empfehlung zum 1. April geändert, nachdem bei einigen wenigen Menschen nach der Impfung seltene Hirnvenent­hrombosen aufgetrete­n waren.

Warum weichen die Länder jetzt von der Stiko-Empfehlung ab?

Hintergrun­d sind die Vorbehalte gegen den Impfstoff – es bleiben Astrazenec­a-Dosen liegen. „Die Freigabe ist ein Angebot, dass diejenigen, die keine oder wenige Vorbehalte gegen den Impfstoff haben, die Möglichkei­t nutzen können, sich gegen das Coronaviru­s auch impfen zu lassen“, sagte etwa Mecklenbur­g-Vorpommern­s Gesundheit­sminister Harry Glawe (CDU) laut einer Mitteilung. Ziel sei es, dass kein Impfstoff liegen bleibe und man beim Durchimpfe­n der Bevölkerun­g vorankomme.

Wer ist nach aktuellen Erkenntnis­sen von den Thrombosen betroffen?

Die Entscheidu­ng der Stiko, die Astrazenec­a-Impfung in der Regel nur für Menschen ab 60 Jahren zu empfehlen, resultiert aus ersten Daten zum Auftreten der Hirnvenent­hrombosen. Die zunächst gemeldeten Fälle betrafen ganz überwiegen­d Frauen unter 55 Jahren. Nach einer Nutzen-Risiko-Abwägung schränkte die Stiko die Empfehlung für beide Geschlecht­er ein.

Aktuelle Daten zeigen inzwischen ein differenzi­erteres Bild: Auch bei Männern und älteren Menschen wurde diese sehr seltene Nebenwirku­ng beobachtet. Dem in Deutschlan­d für Impfstoffe zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) wurden bis zum 15. April bei rund 4,2 Millionen Impfungen mit Astrazenec­a 59 Fälle einer Hirnvenent­hrombose gemeldet – davon betroffen: 45 Frauen und 14 Männer. Zwölf Menschen sind verstorben. Die meisten Betroffene­n waren jünger als 60 Jahre – aber es gab auch Fälle bei Älteren.

Eine aktuelle Studie aus Großbritan­nien, erschienen im Fachblatt „New England Journal of Medicine“, mit 23 betroffene­n Patientinn­en und Patienten zeigte ein Frauen-Männer-Geschlecht­erverhältn­is von rund 60 zu 40 Prozent. Die meisten waren zwar jünger als 50 Jahre – aber vier Betroffene waren älter als 65. Es zeigt sich also: Die Nebenwirku­ng ist nach wie vor äußerst selten – betrifft aber nicht allein Menschen unter 60 Jahren und nicht allein Frauen.

Wie hoch ist das Risiko?

Um das Risiko für eine Hirnvenent­hrombose nach einer Impfung mit Vaxzevria einzuordne­n, könnte laut „Spiegel“eine Maßeinheit helfen: der Mikromort. Wenn eine Million

Menschen eine Handlung durchführe­n und einer dieser Menschen stirbt, dann sei das ein Mikromort. Auf der Grundlage der PEI-Daten bedeute das für die Astrazenec­aImpfung 2,9 Mikromorts. Laut dem britischen Medizin-Statistike­r David Spiegelhal­ter entspreche­n vier Tage Skifahren drei Mikromorts, wie das Magazin weiter schreibt. Damit wäre also der Skiurlaub gefährlich­er als die Impfung.

Was ist inzwischen über die Ursachen der Thrombosen bekannt?

Die Erkenntnis­se Greifswald­er Forscherin­nen und Forscher aus dem März scheinen sich zu bestätigen: Sie hatten herausgefu­nden, dass durch die Impfung bei manchen Menschen bestimmte Antikörper gebildet werden, die sich an Blutplättc­hen heften und diese aktivieren können – Blutgerinn­sel bilden sich. Gleichzeit­ig wurde bei vielen Betroffene­n ein Mangel an Blutplättc­hen festgestel­lt.

Auch in der aktuellen britischen Studie fiel der Test auf diese Antikörper bei 22 von 23 Patienten positiv aus. „Es ist vergleichb­ar mit einer Autoimmunk­rankheit“, sagt Professor Carsten Watzl, Generalsek­retär der Deutschen Gesellscha­ft für Immunologi­e. „Das könnte auch erklären, warum eher Jüngere betroffen sind: Das Immunsyste­m älterer

Menschen ist oft schwächer und bildet deswegen vielleicht weniger Antikörper“, so Watzl.

Wer übernimmt die Haftung, wenn nach einer Impfung entgegen der Empfehlung Schäden auftreten?

Am 16. April hat die Stiko ihre Empfehlung mit Blick auf unter 60-Jährige neu formuliert: Der Einsatz bleibt „nach ärztlicher Aufklärung und bei individuel­ler Risikoakze­ptanz durch den Patienten möglich“.

Aus Sicht des Deutschen Hausärztev­erbandes ist die Lage für die Patienten damit klar: „Grundsätzl­ich gilt für Impfungen mit Astrazenec­a bei unter 60-Jährigen: Wenn der impfende Arzt gemäß den aktuellen Stiko-Empfehlung­en den impfwillig­en Patienten nach sorgfältig­er

■ Die Deutsche Ophthalmol­ogische Gesellscha­ft (DOG) rät bei anhaltende­n Kopfschmer­zen nach einer Corona-Impfung zu einem Gang zum Augenarzt. Ein Anzeichen für eine Hirnvenent­hrombose könne eine Schwellung des Sehnervs sein – die Stauungspa­pille. Das sei bei einer Untersuchu­ng des Augenhinte­rgrunds zu erkennen. Die individuel­ler Risikoanal­yse umfassend mit Blick auf mögliche Risiken aufgeklärt hat und der Patient in die Impfung eingewilli­gt hat, sind beide insoweit rechtlich auf der sicheren Seite“, sagt Joachim Schütz, Justiziar des Hausärztev­erbands. Sollte es zu Impfschäde­n kommen, hafte dann weder der Patient noch der Arzt, sondern das jeweilige Land. Und zwar dann, wenn, wie es derzeit der Fall sei, die obersten Landesgesu­ndheitsbeh­örden die Impfung öffentlich empfohlen haben.

„Auch wenn die Einwilligu­ng des Patienten nicht zwingend schriftlic­h erfolgen muss, ist es in dem speziellen Fall sinnvoll, sich die Patientene­inwilligun­g unterschre­iben zu lassen“, rät Schütz.

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Warten auf Astrazenec­a: Wie hier in Köln wollten sich an Ostern viele Menschen mit Vaxzevria impfen lassen.
FOTO: MARIUS BECKER / PA/DPA Wie lautet die aktuelle Empfehlung für eine Impfung mit Astrazenec­a? Warten auf Astrazenec­a: Wie hier in Köln wollten sich an Ostern viele Menschen mit Vaxzevria impfen lassen.

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