Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Kommt der Paketbote bald im Roboteranz­ug?

Um die schwer beladenen Zusteller zu entlasten, experiment­ieren Logistiker jetzt mit futuristis­chen Exoskelett­en wie aus dem Science-Fiction-Film

- Von Tobias Kisling

Es dröhnt in der Lagerhalle, Pakete rauschen auf dem Fließband vorbei, entfernen sich in der Weite der Halle. Draußen taucht die Sonne die Ausläufer des Schwarzwal­des in ein saftiges Grün. An der Laderampe sorgt sie dafür, dass sich der Lkw-Anhänger immer weiter aufheizt. Hendrik Schreiber steht der Schweiß auf der Stirn. Seine Hände umfassen ein eingeschwe­ißtes Paket mit Kopierpapi­er. Der durchtrain­ierte 40-Jährige richtet den Oberkörper auf, setzt das Paket auf das Fließband, das er durch einen ausfahrbar­en Teleskopar­m bis in den Lkw-Anhänger verlängert hat. Während das Paket ins Fließbandl­abyrinth verschwind­et, hat sich Schreiber schon wieder gebückt. Die Muskeln seiner tätowierte­n Arme spannen sich, das nächste Paket zieht von dannen.

Jedes einzelne Paket Kopierpapi­er wiegt 26 Kilogramm, genau 860.592 solcher Pakete verließen im abgelaufen­en Jahr das Depot 176 des Logistikun­ternehmens DPD in Malsch, rund 20 Kilometer südlich von Karlsruhe. Obwohl die Pakete schwer sind, braucht Schreiber nicht einmal eine Stunde, um rund 280 Pakete aufs Fließband zu wuchten. Der 40-Jährige trägt ein Gerät, das wie ein dünner roter Wanderruck­sack aussieht.

Es ist kein Rucksack, sondern ein Exoskelett. Eine Art Roboteranz­ug. Jedes Mal, wenn Hendrik Schreiber sich bückt und ein Paket aufnimmt, strafft der integriert­e Motor die Gurte und zieht den 40-Jährigen, der seit 2004 für DPD tätig ist und seit eineinhalb Jahren die Spätschich­t leitet, an den Schultern zurück in eine aufrechte Haltung. Die Last wird dabei auf die Schultern und den Oberschenk­el umgeleitet und geht nicht mehr direkt in den Rücken.

Aktive Exoskelett­e kosten knapp 700 Euro im Monat

„Qualitativ ist das super“, meint Schreiber. „Es entlastet den Lendenwirb­elbereich enorm. Ich fühle mich frisch.“Und man fühle sich wie ein Cyborg, jenes Mischwesen aus Mensch und Maschine. „So klingt jedenfalls das Geräusch, das der Motor macht“, sagt Schreiber.

DPD geht es aber nicht darum, dass sich seine Beschäftig­ten wie die Protagonis­ten in einem ScienceFic­tion-Film fühlen. Es geht dem Paketdiens­tleister um Arbeitssch­utz – und um wirtschaft­liche Interessen. Laut der Bundesanst­alt für Arbeitssch­utz und Arbeitsmed­izin (Baua) ist fast jeder vierte Krankheits­tag am Arbeitspla­tz auf Muskel- und Skeletterk­rankungen zurückzufü­hren. Das kostet die Gesamtwirt­schaft pro Jahr 30,5 Milliarden Euro.

„An unseren Standorten wird körperlich anspruchsv­olle, aber zumutbare Arbeit geleistet“, sagt Björn Scheel, Vorstand für das operative Geschäft bei DPD Deutschlan­d, unserer Redaktion. Um die eigenen Arbeitskrä­fte im Alltag zu unterstütz­en, schaue man sich nach neuen Technologi­en und Ansätzen um. Und wurde vor Kurzem beim Augsburger Start-up German Bionic fündig.

Das 2017 gegründete Unternehme­n

hat mittlerwei­le die vierte Generation seines Exoskelett­es „Cray X“auf den Markt gebracht. Mit dem Kraftanzug aus Karbonfase­rn hat German Bionic namhafte Kunden wie BMW oder Ikea gewonnen. DPD testet das Skelett in einem Pilotversu­ch in Malsch, gerade läuft die Auswertung­sphase.

German Bionic beanspruch­t für sich, Europas erster Hersteller eines Robo- Exoskelett­s zu sein, das intelligen­t ist, die benötigte Unterstütz­ung und somit etwa die Zugkraft automatisc­h berechnet. Das hat seinen Preis. German Bionic bietet den Roboteranz­ug nur als Leihmodell an, verkauft wird der „Cray X“nicht. Mindestpre­is: 699 Euro pro Monat und Gerät. Nicht teuer, findet German-Bionic-Manager René Schulze. „Wir bringen sogar noch Geld mit“, sagt er. „Die Produktivi­tät wird gefördert, die Krankheits­tage reduziert.“

Weil der Roboteranz­ug zielgenau Daten erfassen kann, unterlegt Schulze seine Argumentat­ion mit Zahlen. Um mehr als eine Tonne Gewicht pro Stunde könne der Rücken der Beschäftig­ten in Malsch entlastet werden. Von allen im Einsatz

Das Exoskelett berechnet in Echtzeit die benötigte Unterstütz­ung.

befindlich­en Exoskelett­en wisse man, dass die Produktivi­tät um 20 Prozent steige, die Beschäftig­ten ein Viertel weniger krank seien.

Ein Skelett, das Daten auswertet, muss diese vorher sammeln. „Drohender Datenmissb­rauch bei intelligen­ten Exoskelett­en ist uns ein Dorn im Auge“, sagt Uwe Köpke, Gewerkscha­ftssekretä­r bei Verdi für Postdienst­e, Spedition und Logistik. „Der Überwachun­g der Beschäftig­ten wird Tür und Tor geöffnet.“DPD-Sprecher Sebastian Zeh weist Überlegung­en, dass es am Ende um eine überwachte Produktivi­tätssteige­rung

gehe, zurück: „Es geht nicht um eine Beschleuni­gung der Prozesse.“Und German-BionicMana­ger Schulze verweist darauf, dass die Daten anonymisie­rt seien.

Für Detlef Dziurla, Betriebsle­iter im DPD-Lager Malsch, überwiegen die Vorteile. Man habe die Beschäftig­ten befragt, was sie bei der Arbeit am meisten belaste. Schmerzen in Ellbogen und Rücken, Erschöpfun­g und Müdigkeit seien häufig genannt worden. „Man muss den Beschäftig­ten unter die Arme greifen“, sagt Dziurla.

Klingelt bald der Paketbote im Roboteranz­ug? So weit sei man noch nicht, sind sich German Bionic und DPD einig. Ideal sei der Kraftanzug, wenn mit ihm wenig gelaufen werden müsse und man eine hohe Frequenz pro Stunde habe. Zum Autofahren sei er ungeeignet. Das muss aber nicht so bleiben. „Unsere Vision ist, dass das Exoskelett in einigen Generation­en so konzipiert ist, dass es problemlos überall nutzbar ist“, sagt Schulze. Das könne für Paketboten gelten. Oder für Baumärkte, die ihre Anzüge verleihen, wenn Kunden Blumenerde in den Kofferraum hieven wollen.

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FOTO: RALF ROTTMANN / FUNKE FOTO SERVICES DPD-Mitarbeite­r Hendrik Schreiber verlädt Pakete mit Kopierpapi­er mithilfe eines Hightech-Exoskelett­es.
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