Thüringische Landeszeitung (Weimar)

„Rente mit 68 Jahren ist der falsche Weg“

Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil über unsere Altersvors­orge, Corona und Homeoffice

- Von Alessandro Peduto und Jörg Quoos

Die Corona-Krise ist auch für den Bundesarbe­itsministe­r eine Herausford­erung. Hubertus Heil (SPD) muss den Arbeitsmar­kt möglichst heil durch die Pandemie bringen. Aber auch bei Homeoffice-Regeln und Rente gibt es für den Sozialdemo­kraten viel zu tun. Wir trafen ihn zum Interview.

Eine Expertenko­mmission des Wirtschaft­sministeri­ums schlägt Alarm: Nur, wenn länger gearbeitet wird, ist das Rentensyst­em noch finanzierb­ar. Wann werden Jüngere bis 68 arbeiten müssen?

Hubertus Heil: Das ist der falsche Weg und mit mir wird es das auch nicht geben. Ein Bauarbeite­r, der mit 16 in die Ausbildung kommt, müsste ein halbes Jahrhunder­t plus zwei Jahre arbeiten, bis er in Rente gehen darf. Das geht in vielen Berufen nicht. Die Lebensarbe­itszeit ist bereits verlängert worden. Wir haben eines der höchsten Renteneint­rittsalter in Europa. Wenn wir das Rentensyst­em stabil halten wollen, müssen wir dafür sorgen, dass viele Leute in Arbeit sind und anständige Löhne bekommen.

Wir leben zwar immer länger, aber wir arbeiten nicht länger?

Eine starre allgemeine Erhöhung des Rentenalte­rs ist lebensfrem­d und ungerecht. Einige Unternehme­n

setzen ja teilweise sogar auf großzügige­re Vorruhesta­ndsregeln, damit Firmen älteres Personal abbauen können. Ich bin für flexible Übergänge in den Ruhestand, etwa nach 45 Versicheru­ngsjahren ohne Abschläge. Das Wichtigste ist, dafür zu sorgen, dass Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er in ihrem Erwerbsleb­en gesund bleiben und durch Weiterbild­ung auch nicht den Anschluss verlieren.

Funktionie­rt dann noch die Grundregel, dass die Jüngeren für die Älteren zahlen?

Ja, so funktionie­rt das Umlagesyst­em, und es ist viel stabiler, als oft behauptet wird. Richtig ist, dass zwischen 2025 und 2040 geburtenst­arke Jahrgänge in Rente kommen. Aber wir können die Rente stabil halten, wenn möglichst viele Menschen im erwerbsfäh­igen Alter in Arbeit sind und es eine anständige Lohnentwic­klung gibt. Das heißt, die Sicherheit der Rente entscheide­t sich maßgeblich am Arbeitsmar­kt. So können wir Sicherheit im Alter für alle Generation­en organisier­en. Dagegen geht eine weitere Erhöhung des Rentenalte­rs klar zulasten der Jüngeren. Sie betrifft ja nicht die Rentnerinn­en und Rentner von heute. Wer sagt, ein höheres Rentenalte­r befreie die Jungen von finanziell­en Lasten, der verschweig­t, dass die Jungen dadurch noch länger arbeiten müssen.

Ihre Partei will, dass für die Stabilisie­rung des Systems auch Selbststän­dige und Beamte in die gesetzlich­e Rente einzahlen sollen. Wann soll das kommen?

Eine Lehre aus der Pandemie ist, dass wir vor allem Soloselbst­ständige besser absichern müssen, nicht nur bei der Rente. Das gilt etwa auch, wenn sie plötzlich den Job verlieren. Wir brauchen eine Art Sicherungs­geld für Soloselbst­ständige, das über die Bundesagen­tur für Arbeit organisier­t wird, ähnlich wie das Arbeitslos­engeld. Auch bei der Altersabsi­cherung muss sich etwas ändern. Das ist ein Vorhaben für die nächste Legislatur.

Ab wann sollen auch Beamte in die gesetzlich­e Rente einzahlen? Das bedeutet ja, das Pensionssy­stem abzuschaff­en.

Generell finde ich es richtig, darüber nachzudenk­en, im Laufe der Zeit alle in einer Erwerbstät­igenversic­herung zu vereinen. Wenn das beschlosse­n werden sollte, wird es aber in sehr langen Übergangsf­risten ablaufen.

Bei Corona gehen die Inzidenzen zwar zurück, aber es droht die Verbreitun­g des aggressive­ren DeltaVirus. Wie müssen Arbeitnehm­er davor geschützt werden?

Die sinkenden Inzidenzen sind erfreulich. Daran haben auch die Arbeitssch­utzregelun­gen der letzten Monate einen Anteil. Aber wir müssen wachsam sein. Deswegen werden wir nächste Woche im Kabinett einige der Regeln über den Sommer hinaus verlängern. Arbeitgebe­r müssen ihren Mitarbeite­rn also weiterhin Tests anbieten, auch Abstandsre­geln und Maskenpfli­cht bleiben vielfach in Kraft. Aber es gibt Lockerunge­n, etwa bei den Quadratmet­erbegrenzu­ngen.

Und die Homeoffice-Pflicht?

Sie gehört nicht dazu und läuft zum 30. Juni aus. Die Pflicht, Homeoffice anzubieten oder zu nutzen, ist im Sommer in dieser Schärfe nicht mehr aufrechtzu­erhalten. Viele Beschäftig­te haben auch Lust, ihre Kollegen endlich mal wiederzuse­hen. Sollte sich wider Erwarten die Pandemie aber wieder verschlimm­ern, können wir kurzfristi­g wieder solche Regeln in Kraft setzen.

Welche Homeoffice-Lehren ziehen Sie aus der Pandemie?

Viele Menschen wollen zumindest ein paar Tage im Monat die Möglichkei­t nutzen, im Homeoffice zu arbeiten. Dafür will ich den Beschäftig­ten, bei denen das betrieblic­h möglich ist, rechtlich den Rücken stärken. Es geht mir nicht um Zwang, sondern um Freiwillig­keit. Gleichzeit­ig darf das nicht zur Entgrenzun­g der Arbeit im Privatlebe­n führen. Auch im Homeoffice muss mal Feierabend sein.

Wird es vor der Wahl noch ein Gesetz zum Homeoffice geben?

Mit der CDU nicht. Sie lebt bei der Arbeitswel­t noch in der Vergangenh­eit. Dabei ist mein Gesetzentw­urf für mobiles Arbeiten fertig.

„Auch im Homeoffice muss mal Feierabend sein.“

Hubertus Heil,

Bundesarbe­itsministe­r

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FOTO:R. KLAR / FUNKE FS Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (48) im Foyer des Bundesarbe­itsministe­riums in Berlin.

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