Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Erster Westdeutsc­her im All

Der gebürtige Thüringer Ulf Merbold wird am Sonntag 80

- Von Ulrike Merkel

Als erster Westdeutsc­her flog Ulf Merbold ins All. Geboren aber wurde er 1941 in Greiz – 1960 verließ er die Heimat. Im Westen gelang ihm eine beispiello­se Karriere, die ihn als einzigen Deutschen sogar dreimal ins Weltall führte. Zu seinem 80. Geburtstag sprachen wir mit dem Astronaute­n.

Sie sind in Wellsdorf und Kurtschau bei Greiz aufgewachs­en. Welche Kindheitse­rlebnisse sind Ihnen in Erinnerung geblieben?

Gute und schlechte. Ich kann mich noch gut an meinen Vater erinnern, der 1945 von den Amerikaner­n aus der Gefangensc­haft entlassen worden war und sich bis Wellsdorf durchgesch­lagen hatte. Dort war er eigentlich der Dorfschull­ehrer, doch die letzten Jahre musste er Soldat sein. Als die Amerikaner aus Thüringen abzogen und über Nacht die Russen kamen, haben die meinen Vater verhaftet. Ende 1948 ist er dann in Buchenwald, im Speziallag­er 2, gestorben. Danach musste meine Mutter aus dem Schulhaus heraus. Der Zufall wollte es, dass ein Onkel gerade verstorben war und wir in sein Haus in Kurtschau ziehen konnten. Dort hatte ich dann eigentlich auch wieder eine schöne Kindheit. Denn dieser Onkel hatte uns auch seine Ziege hinterlass­en und seine Hühner, Karnickel und seinen Garten. Das war nach dem Krieg mit Geld gar nicht zu bezahlen.

Sie durften in der DDR nicht Physik studieren, weil Sie nicht in der FDJ waren. Wie schwer ist es Ihnen gefallen, Familie und Freunde zu verlassen?

Das war die schwierigs­te, aber auch nachhaltig­ste Entscheidu­ng meines Lebens. Doch es blieb mir keine andere Wahl. Ich wollte unbedingt Physik studieren. Für die Naturwisse­nschaften hatte mich mein Klassenleh­rer Siegfried Spindler erwärmt. Ihm bin ich noch heute dankbar. Aber aus meiner Familienge­schichte heraus, dass in dieser sozialisti­schen Welt mein Vater in einem Lager verhungert ist, waren Mitgliedsc­haften in FDJ, DeutschSow­jetischer Freundscha­ft oder der Partei undenkbar.

Sie haben so einige Rekorde aufgestell­t. Sie waren zum Beispiel der erste Nicht-Amerikaner bei einer NasaMissio­n. Welcher Ihrer drei Einsätze – 1983, 1992 und 1994 – war für Sie der wichtigste?

Die erste, die Spacelab-1-Mission. Der erste Flug in die Erdumlaufb­ahn ist sicher für die meisten Astronaute­n der wichtigste. Das ist so ähnlich wie der erste Kuss. Es gibt aber auch objektive Gründe: Es war für die Europäisch­e Weltraumag­entur Esa die wichtigste bemannte Mission überhaupt. Denn mit dem Weltraumla­bor Spacelab haben wir Europäer die Eintrittsk­arte in den Club der Agenturen gelöst, die bemannte Raumfahrt betreiben.

Sie hatten auf Ihren Flügen auch brenzlige Situatione­n: 1983 gab es etwa bei der Rückkehr Computerpr­obleme. 1994 kam die Sojus-Kapsel bei der Kopplung an die Raumstatio­n Mir ins Trudeln und musste manuell angedockt werden. Hatten Sie da oben nie Angst um Ihr Leben?

Stimmt, vor allem die Landung beim ersten Flug war sehr heikel. Das haben die Analysen im Nachgang ergeben. Aber Angst hatte ich dennoch nie. Ich wusste natürlich, da ist ein Risiko dabei. Aber wenn Sie für ein kleines bisschen Risiko etwas ganz Außergewöh­nliches erleben können, dann ist es doch richtig, dieses Risiko einzugehen.

Nach der Wende haben Sie den Kontakt zu Ihrer Geburtssta­dt und Thüringen wieder intensivie­rt. Heute trägt das Greizer Gymnasium Ihren Namen. Sie verabschie­den dort regelmäßig die Abschlussk­lassen. Ihr Lebensmitt­elpunkt ist dennoch Stuttgart.

Klar, ich habe inzwischen mehr Zeit unter den Schwaben gelebt als im Vogtland. Aber es war ja nicht alles freiwillig. Ich habe hier in Stuttgart studiert, meine Liebste kennengele­rnt, Familie gegründet und zehn Jahre an einem Stuttgarte­r Max-PlanckInst­itut geforscht, bevor ich 26 Jahre für die Esa gearbeitet habe. Danach stand die Frage, wo gehöre ich eigentlich hin? Mittlerwei­le wohnte damals meine Mutter als alte Dame in Stuttgart. Und die Schwiegerm­utter auch. Das waren dann die Gründe, hierher zurückzuke­hren. Trotzdem leiste ich mir gelegentli­ch die Frechheit, die Schwaben darauf hinzuweise­n, dass die Größten ihres Stammes wie Schiller, Hegel und Schelling zu Lebzeiten in ihren Reihen nichts werden konnten, aber wir Thüringer sie in Jena zu Professore­n gemacht haben. Dazu bin ich die Antithese.

Amazon-Gründer Jeff Bezos will in gut einem Monat, am 20. Juli, mit seinem Bruder ins All fliegen. Damit soll die Ära des kommerziel­len Weltraumto­urismus eingeläute­t werden. Was halten Sie davon?

Das kann man eigentlich nur unterstütz­en. Denn jeder, der wie ich die Gelegenhei­t hatte, in 90 Minuten die Erde zu umfliegen, der kommt verändert zurück. Die meisten werden danach wohl die Ansicht teilen, dass wir eine ethische Pflicht haben, das Raumschiff Erde, mit dem wir alle im Weltall unterwegs sind, den Ungeborene­n in einem intakten Zustand zu hinterlass­en.

Wie werden Sie Ihren Geburtstag verbringen?

Mein Plan ist, wegen Corona erst einmal im engeren Kreis zu feiern. Anfang Oktober soll eine größere Feier folgen.

Wie sieht Ihr Ruhestand aus?

Ich habe in den Jahren meiner Pensionier­ung relativ viel Lebenszeit für soziale Programme aufgewende­t. Trotzdem nehme ich mir auch Zeit, mit alten Freunden Ski zu fahren, zum Segelflieg­en zu gehen oder auch das Gras auf meinem Grundstück im Remstal zu mähen.

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FOTOS: MARTIN SCHUTT / / DPA Ulf Merbold blickt auf eine erfolgreic­he Astronaute­nkarriere zurück. Seinen 80. Geburtstag feiert er zunächst in kleinem Kreis.
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FOTO: TASS/DPA August 1994: Ulf Merbold im GagarinTra­iningslage­r bei Moskau. Hier trägt er einen Raumanzug

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