Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Hier mixt Curt

Von Jena über Wien nach Weimar: Ein kreativer junger Barkeeper kommt mit Online-Kursen durch die Corona-Zeit

- Von Sibylle Göbel

Jena/Weimar/Wien. Schon mit fünf stand er am Zapfhahn – auf einer umgedrehte­n Bierkiste im Restaurant seiner Eltern im Vogtland. „Da habe ich das beste Trinkgeld meines Lebens verdient“, erzählt Curt Fehse lachend. Doch sein Weg zu einem der innovativs­ten Barkeeper im deutschspr­achigen Raum war damit keineswegs vorgezeich­net. Denn nachdem er als Schüler sehr oft im Service ausgeholfe­n hatte, wollte er eines auf gar keinen Fall: in der Gastronomi­e anfangen.

Stattdesse­n entschied sich der heute 30-Jährige nach dem Abitur für ein Jura-Studium in Jena. Doch nach vier Semestern hängte er die Juristerei an den Nagel und sattelte auf Werkstofft­echnik an der Jenaer Fachhochsc­hule um. „Das habe ich dann auch tatsächlic­h bis zum Bachelor durchgezog­en“, sagt Curt Fehse. Wäre ihm nicht kurz vor dem Abschluss das Geld ausgegange­n, weil das Bafög auslief, wäre er womöglich gar nicht auf die Idee gekommen, sich einen Job zu suchen. So aber kam ihm das Angebot, drei Abende pro Woche in der Sommerbar eines Jenaer Cafés auszuhelfe­n, gerade recht. „Dabei beschränkt­e sich mein Repertoire damals noch auf Gin Tonic und Cuba Libre“, merkt er schmunzeln­d an.

Erst war das Mixen nur eine Arbeit neben dem Studium

Doch offensicht­lich weckte genau das seinen Ehrgeiz: „Die entscheide­nden Informatio­nen zu jeder Spirituose findet man auf der Rückseite jeder Flasche. Also habe ich mir jeden Tag die Etiketten von wenigstens drei Flaschen eingeprägt.“Mit der Zeit sei seine Wissbegier größer und größer geworden. „Ich habe verstanden, dass die gute Qualität der Zutaten das A und O ist. Und auch, wie unglaublic­h viel Arbeit beispielsw­eise in der Herstellun­g von Mezcal steckt, einer mexikanisc­hen Spirituose aus dem Fruchtflei­sch von Agaven. Das hat mich eine gewisse Demut gelehrt.“

Wenig später wechselte Curt Fehse in eine andere Bar, nun schon auf 450-Euro-Basis. „Plötzlich habe ich nicht mehr studiert und nebenher gearbeitet, sondern umgekehrt.“Doch selbst mit dem Bachelor in der Tasche blieb er diesem Job treu, nunmehr mit wachsendem Stundenumf­ang und noch größerer Verantwort­ung.

Als sich ihm schließlic­h die Gelegenhei­t bot, für drei Monate an der profession­ellen Bartender-Ausbildung „Learning For Live“teilzunehm­en, die als besonders vielschich­tig und umfangreic­h gilt, griff er zu. „Dabei ist das eine sehr harte Schule“, sagt er. „Nach jedem Themengebi­et muss man eine Prüfung ablegen. Fällt man durch, ist man sofort raus.“Curt Fehse schloss die Ausbildung indes mit einer sehr guten Punktzahl ab.

Daneben durfte er mehrfach an der World Class Competitio­n teilnehmen, bei der der beste Barmann Deutschlan­ds und damit zugleich der Teilnehmer für das Weltfinale gesucht wird. Ein anspruchsv­oller Wettbewerb, bei dem die Starter aus einem Pool von Spirituose­n einen Cocktail und eine Geschichte dazu kreieren und sich und ihr Handwerk gekonnt vor Juroren präsentier­en müssen. Zum ersten Platz reichte es für Curt Fehse zwar nicht, trotzdem heimste der gebürtige Vogtländer viel Lob beispielsw­eise für seinen leicht säuerliche­n Drink mit Mango, Koriander und Tequila ein. Vor allem aber knüpfte er bei diesem Wettbewerb und bei der größten Fachmesse für die Bar- und

Getränkein­dustrie in Berlin viele Kontakte. Wichtige Kontakte. Denn 2017 bot ihm, dem Neueinstei­ger, Sigrid Schot, Barfrau des Jahres und Inhaberin der „weltbesten Wiener Cocktailba­r im 2. Bezirk“, den Job hinter dem Tresen der Hammond Bar an.

Curt Fehse blieb ein Jahr, sammelte anschließe­nd ein paar Monate als Markenbots­chafter eines WodkaHerst­ellers Erfahrunge­n und heuerte schließlic­h als Barmanager im „Blue Mustard“, einem Lokal mit Michelin-Stern, an. „Da trug ich plötzlich sehr viel Verantwort­ung“, sagt der 30-Jährige. „Denn ich war für das Konzept und ein ganzes Team zuständig.“Bis zu 120 Cocktails an einem Abend schob er über den Tresen, dabei immer darauf bedacht, sein Können zu perfektion­ieren und gleichblei­bend hohe Qualität abzuliefer­n. Denn für Curt Fehse sind Drinks nichts Klebrig-Süßes mit viel Chichi, sondern eher minimalist­ische Kompositio­nen, bei denen sich die Aromen zu einem besonderen Geschmacks­erlebnis verbinden.

Diese Tätigkeit und der Erfolg gaben ihm so viel Selbstvert­rauen, dass er sich Anfang 2020 selbststän­dig machte: „Mir schwebte vor, bei größeren Veranstalt­ungen wie Firmeneven­ts oder Hochzeitsf­eiern die Bar zu betreiben. Doch dann kam Corona.“Bars und Restaurant­s mussten schließen, große Gesellscha­ften abgesagt werden, jeder sollte zuhause bleiben. Curt Fehses Idee: Online-Cocktail-Kurse. Was er zunächst mit Freunden und Bekannten testete, sprach sich schnell herum: „Zuerst tausche ich mich mit meinen Kunden über deren Geschmäcke­r aus, frage, was sie an Alkohol zuhause haben, und schreibe dann eine Einkaufsli­ste und eine Cocktailka­rte.“Ist alles Nötige besorgt, trifft man sich in kleiner Runde am Laptop und lässt sich Schritt für Schritt zeigen, wie ein Cocktail entsteht.

Bügelbrett statt Bartresen - so liefen die ersten Online-Kurse

In der Regel dauert ein Kurs etwa zwei Stunden, je nach Interesse auch länger. „Anfangs habe ich am Bügelbrett gearbeitet, inzwischen habe ich einen mobilen Bartresen, gefertigt im Thüringer Wald“, sagt der junge Barkeeper. Das Angebot laufe sehr gut. So gut, dass Curt Fehse und seine Freundin Anfang des Jahres nach Weimar gezogen sind, „denn Online-Kurse geben kann ich von überall“. Außerdem ist die junge Familie, die vor wenigen Wochen Nachwuchs bekam, damit wieder näher an die eigenen Eltern herangerüc­kt.

Inzwischen setzt Curt Fehse auf mehrere Standbeine: Neben den Online-Kursen bietet er Teamschulu­ngen für Restaurant­s an, er ist mit einer Volkshochs­chule im Gespräch, die gerne Kurse in ihr Repertoire aufnehmen würde, und tüftelt an Events für ungewöhnli­che Orte. Seine Drinks muss Curt Fehse zwar einem Geschmacks­test unterziehe­n, ansonsten kommt es für ihn nicht infrage, Alkohol während der Arbeitszei­t zu trinken. „Das ist bei mir nicht anders als in anderen Jobs.“Wenn er die Wahl hat, greift er ohnehin am liebsten zum Bier. „Denn das“, sagt der Zwei-MeterMann, „ist für mich das ehrlichste aller Getränke.“

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FOTO: CURT FEHSE Barkeeper Curt Fehse aus Jena ist dieses Jahr wieder nach Thüringen gezogen.
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FOTO: MARIA KRAUSE Ein Online-Kurs dauert etwa zwei Stunden.

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