Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Kuriositäten am Kaiserstuhl
Das kleine Bad Wimpfen in der Nähe von Heilbronn ist ein historisches Kleinod. Ein Spaziergang durch die Gassen der Stadt führt zurück bis ins Mittelalter
Viele Besuche kommen aus Süden nach Bad Wimpfen, auf dem kürzesten Weg von der Autobahn. Doch der Umweg aus Richtung Offenau im Norden lohnt sich. Erst aus diesem Blickwinkel, am Fuße des Berges, auf dem Bad Wimpfen über dem Neckar thront, wird klar, wie beeindruckend die kleine Stadt im Mittelalter den Reisenden erschienen sein muss, wenn sie nach langer, beschwerlicher Reise endlich die Kaiserpfalz vor Augen hatten.
Genau dort, im Burgviertel, sollte man auch mit dem Spaziergang beginnen. Zum Beispiel mit einem Stadtführer wie Christoph Waidler, der Geschichten kennt, wie man sie in keinem Reiseführer findet. Einem Großbrand anfangs des 14. Jahrhunderts ist es geschuldet, dass heute von der ums Jahr 1200 datierten Kaiserpfalz nur Teile erhalten sind: Der grob gehauene Rote Turm, in den sich der Kaiser bei Angriffen zurückziehen konnte und die Arkadenfenster der Palastruinen
zeugen ebenso von der einstigen Grandeur wie der 58 Meter hohe Blaue Turm, das Wahrzeichen der Stadt.
Bis Ende dieses Jahres kann man ihn nur von außen betrachten, denn er wird derzeit saniert. Der Grund: Nicht immer wurde in den vergangenen Jahrhunderten sachgemäß renoviert und restauriert. So drückt etwa der Aufbau aus dem Jahr 1852 viel zu schwer auf das Turmgemäuer. Immerhin war und ist die Anlage samt Blauem Turm die größte Kaiserpfalz nördlich der Alpen.
Ab 1300 waren die Bürger nur dem Kaiser Rechenschaft schuldig
Bewohnt war die Pfalz jedoch nicht zu jeder Zeit: Die staufischen Kaiser, darunter auch Barbarossa, regierten nicht von einer Hauptstadt aus, sondern zogen ständig durch das Reich, um so auch entlegene Landstriche zu kontrollieren und Recht zu sprechen.
Kam der Herrscher samt Hofstaat in Wimpfen vorbei, galt es, blitzschnell einen kaiserlichen Service auf die Beine zu stellen und alle Gefolgsleute und all die Adligen, die dann zum Hofe strömten, zu verköstigen. „Wahrscheinlich kam dann auf jeden Wimpfener ein Besucher“, vermutet Waidler. Auch nach dem Ende der Stauferzeit blieb Wimpfen – damals noch ohne den Zusatz „Bad“– ein wichtiger und wohlhabender Ort. In etwa ab dem Jahr 1300 waren die Bürger der Reichsstadt nur noch dem Kaiser Rechenschaft schuldig und regierten sich mit zwei gewählten Bürgermeistern und einem städtischen Gericht selbst.
Religiöse Spektakel mit blutigen Spezialeffekten
Viele Fachwerkhäuser zeugen heute von dieser Zeit, genau wie die Stadtkirche, nur wenige Gehminuten östlich des Burgviertels. Und die bietet allerlei Kuriositäten: Zum einen geben die Apostelbilder aus dem frühen 16. Jahrhundert Rätsel auf: „Apostel Philippus trägt das Gesicht Luthers und Apostel Matthäus verfügt erstaunlicherweise über sechs Zehen“, zeigt Waidler im Halbdunkel der Kirche. Spektakulär ist auch das hölzerne Kruzifix aus dem Jahr 1481 in der nördlichen Seitenkapelle.
Der besondere Clou an der eher unscheinbaren Jesusfigur ist, „dass man die Holznägel herausziehen kann, sodass die Arme dank der
Scharniere nach unten fallen“, so Waidler. Wahrscheinlich ging Jesus einst regelmäßig zu österlichen Darbietungen auf Prozession und wurde dafür vom Kreuz genommen. Zudem baute ein findiger Schnitzer einen kleinen, geheimen Hohlraum ein, der mit Tierblut gefüllt werden konnte.
Dass all das heute noch gut erhalten ist, hat einen einfachen Grund. 1622 tobte vor den Toren der Stadt eine der blutigsten Schlachten des Dreißigjährigen Krieges. Und: „1648 war Bad Wimpfen restlos ausgeplündert, gerade mal 37 Familien hatten überlebt“, weiß Waidler. Wimpfen versank in völliger Armut, so dass schlicht das Geld für Veränderungen fehlte.
Die Bedeutungslosigkeit erwies sich im Zweiten Weltkrieg als Segen: Bad Wimpfen war schlicht zu unwichtig, als dass es die Alliierten bombardiert hätten. Mit etwas Fantasie läuft man hier also heute durchs Mittelalter. Besonders gut geht dies bei einem der Zunftmärkte, zu denen die Bewohner mittelalterliche Gewänder anziehen. Allerdings erst 2022 wieder