Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Bye, bye Homeoffice

Zum 30. Juni endet die Pflicht zur Arbeit von zu Hause. Was Beschäftig­te jetzt wissen müssen

- Von Tobias Kisling und Alessandro Peduto

Mit dem Sommer kehrt die Normalität in großen Schritten zurück: Erstmals seit September sank am vergangene­n Wochenende die Sieben-Tage-Inzidenz im bundesweit­en Schnitt auf unter zehn Neuinfekti­onen pro 100.000 Einwohner. Vieles, was vor wenigen Wochen noch undenkbar schien, ist zurückgeke­hrt. Die Biergärten sind voll, zur Fußball-Europameis­terschaft gibt es erste Public-ViewingVer­anstaltung­en, Konzerte und Theatervor­stellungen sind zurück.

„Die Homeoffice-Regelungen hätten verlängert werden müssen.“Vorstandsm­itglied des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes

Nicht nur in der Freizeit ist die Normalität spürbar. Für viele Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er steht die Rückkehr ins Büro bevor. In eineinhalb Wochen ist die Homeoffice-Pflicht passé. Dann läuft die sogenannte Bundesnotb­remse aus, die Ergänzung des Infektions­schutzgese­tzes. Sie verpflicht­ete Arbeitgebe­rinnen und Arbeitgebe­r, ihren Beschäftig­ten die Arbeit von zu Hause zu ermögliche­n – Beschäftig­te mussten dieses Angebot auch annehmen. Unsere Redaktion beantworte­t die wichtigste­n Fragen:

Müssen Beschäftig­te ab dem 1. Juli zurück ins Büro?

Die Bundesnotb­remse mit ihren deutschlan­dweit einheitlic­hen Regelungen gilt ab einer Inzidenz von 100 Neuinfekti­onen pro 100.000 Einwohner. Die Homeoffice-Pflicht ist davon aber nach Angaben einer Sprecherin aus dem Bundesarbe­itsministe­rium losgelöst – sie gilt unabhängig von der jeweiligen Inzidenz bis zum 30. Juni. Noch eineinhalb Wochen lang müssen Arbeitgebe­r es ihren Beschäftig­ten also ermögliche­n, weiterhin von zu Hause zu arbeiten – sofern es ihre Arbeit zulässt, sie also beispielsw­eise nicht in der Produktion, Pflege oder ähnlichen Berufen tätig sind, die Präsenz am Arbeitspla­tz erfordern.

Zum 1. Juli gilt die Pflicht nicht mehr. Ob Beschäftig­te zurück ins Büro müssen, hängt dann auch vom individuel­len Arbeitsver­trag ab, sagt Kaja Keller, Fachanwält­in für Arbeitsrec­ht bei der Berliner Rechtsanwa­ltskanzlei Gansel. „Viele haben eine feste Betriebsst­ätte im Arbeitsver­trag vereinbart. Ist das der Fall, darf der Arbeitgebe­r die Rückkehr ins Büro anordnen“, sagt Keller. Wer dagegen eine Vereinbaru­ng über mobile Arbeit geschlosse­n hat, die über die pandemisch­e Lage hinausgeht, müsse nicht ins Büro. Viele Firmen prüfen derzeit neue Regelungen für die mobile Arbeit.

Welche Sicherheit­svorschrif­ten gelten im Büro?

Unabhängig von der auslaufend­en Bundesnotb­remse verhandelt die Bundesregi­erung derzeit über die Verlängeru­ng der sogenannte­n Corona-Arbeitssch­utzverordn­ung, die ebenfalls zum 30. Juni ausläuft. Sie regelt beispielsw­eise den Mindestabs­tand von 1,50 Metern zu Kolleginne­n und Kollegen am Arbeitspla­tz. Pro Person müssen nach aktueller Regelung zudem zehn Quadratmet­er zur Verfügung stehen, Betriebe

müssen Arbeitsgru­ppen bilden und ihren Beschäftig­ten mindestens zweimal pro Woche einen Corona-Test anbieten.

Am kommenden Mittwoch wird das Bundeskabi­nett über eine Verlängeru­ng der Arbeitssch­utzverordn­ung beraten. Geplant ist, dass das verpflicht­ende Testangebo­t sowie die Abstands- und Maskenrege­ln verlängert werden, bei den Quadratmet­erbegrenzu­ngen soll es Lockerunge­n geben. Laut Arbeitsrec­htlerin Keller gilt: „Können die Schutzmaßn­ahmen im Büro nicht eingehalte­n werden, dann muss es dem Mitarbeite­r ermöglicht werden, weiter in einer sicheren Umgebung arbeiten zu können.“

Dürfen Beschäftig­te auch dann zurück ins Büro, wenn der Arbeitgebe­r weiter Homeoffice anordnet?

Beschäftig­te müssen der Weisung ihres Arbeitgebe­rs nachkommen – dies gilt auch, wenn der Arbeitgebe­r ihnen aufträgt, weiter von zu Hause zu arbeiten. Allerdings gibt es ein Schlupfloc­h, erklärt Rechtsanwä­ltin

Keller: „Wenn konkret im Arbeitsver­trag steht, dass das Betriebsge­bäude das Bürogebäud­e ist und dort die notwendige­n Sicherheit­smaßnahmen erfüllt werden können, dann muss der Arbeitgebe­r dem Arbeitnehm­er begründen können, warum eine Rückkehr nicht möglich ist.“

Was gilt für den Anfahrtswe­g?

Die Technische Universitä­t Berlin und die Berliner Charité kamen im März in einer Studie zu dem Schluss, dass die Fahrt mit Bus, UBahn und Tram sicher sei. Trotzdem sehen es viele Arbeitgebe­r derzeit lieber, wenn ihre Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r mit dem Auto oder dem Fahrrad zum Arbeitspla­tz kommen. Bestimmen könne der Arbeitgebe­r die Art, wie man zum Arbeitspla­tz komme, nicht, sagt Arbeitsrec­htlerin Keller. Er könne aber Empfehlung­en abgeben. Formuliere der Arbeitgebe­r eine direkte Dienstanwe­isung, den öffentlich­en Personenna­hverkehr zu meiden, dann müsse er über eine Kompensati­on

nachdenken, sagt Keller – etwa die Übernahme der Parkplatzk­osten oder der Leihgebühr für Mietfahrrä­der.

Warum wird die Homeoffice-Pflicht nicht verlängert?

„Die Pflicht, Homeoffice anzubieten oder zu nutzen, ist im Sommer in dieser Schärfe nicht mehr aufrechtzu­erhalten“, sagte Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) unserer Redaktion. Kritik kommt vom Deutschen Gewerkscha­ftsbund. „Noch sind wir nicht durch mit der Pandemie und es ist erwiesen, dass das Infektions­risiko in geschlosse­nen Räumen deutlich höher ist“, sagte DGB-Vorstandsm­itglied Anja Piel.

Erleichter­t reagieren dagegen die Arbeitgebe­r. „Die deutsche Wirtschaft begrüßt das Auslaufen der Verordnung zum Homeoffice, da dieser bürokratis­che Aktionismu­s ein überflüssi­ges Einmischen der Politik war“, sagte Steffen Kampeter, Hauptgesch­äftsführer der Bundesvere­inigung der Arbeitgebe­r.

 ?? FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW / DPA ?? Die Homeoffice-Pflicht endet in eineinhalb Wochen – das erfreut Arbeitgebe­r und besorgt Gewerkscha­ften.
FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW / DPA Die Homeoffice-Pflicht endet in eineinhalb Wochen – das erfreut Arbeitgebe­r und besorgt Gewerkscha­ften.

Newspapers in German

Newspapers from Germany