Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Ein Garten voller Narren

DNT-Sommerkomö­die feiert mit Shakespear­e den Geschlecht­ertausch

- Von Michael Helbing

Man solle der bewussten Dame ausrichten, sagt jene andere, die eigentlich ein Kerl ist und soeben das Bewusstsei­n verlor, wie gut sie sich dabei verstellte. Denn eine Ohnmacht angesichts ein bisschen Blutes auf dem Tuch, das ist Männerkram und dem starken Geschlecht unwürdig, also einer Frau.

Eine Schauspiel­erin, Nadja Robiné, spielt einen Mann, Rosalund, der widerwilli­g in den Wald flieht („Nee, das wird viel zu gefährlich zu uns!“) und dort vorsichtsh­alber als Ganymaid auftritt, eine Frau: „protzig und martialisc­h wie alle die anderen, die unverschäm­t mit ihrem Äußeren bluffen.“Von Orlanda (Fabian Hagen) verlangt Ganymaid, sie einstweile­n für jenen geliebten Rosalund zu halten, der sie ja auch ist .

Alles klar? Na klar! Dergleiche­n ereignet sich zwar buchstäbli­ch zwischen Kraut und Rüben, in jenem ländlichen Garten der Liebe, den die Ausstatter­innen Jana Findeklee und Joki Tewes an Waldes statt bestellten. Aber es geht nicht so zu. Hier herrscht kein wildes Durcheinan­der, hier herrscht Ordnung.

Es ist, bei Patriziern und Plebejern, die des Matriarcha­ts. Regisseur Christian Weise und Dramaturgi­n Beate Seidel verkehren für ihr Weimarer Sommerthea­ter „Wie es euch gefällt“patriarcha­lische Verhältnis­se in ihr Gegenteil. Shakespear­es Männer werden dafür zu Frauen, die von Männern gespielt werden. Und umgekehrt.

Verwandlun­g mit der größten Ich-binwas-ich-bin-Selbstvers­tändlichke­it

Das ist keine Verstellun­g. Das ist eine Verwandlun­g, in eine DragShow, die gegenüber dieser über vierhunder­t Jahre alten melancholi­schen Komödie sozusagen Werktreue auf Umwegen bedeutet: „Die ganze Welt ist eine Bühne. Und Männer, Frauen, alle sind bloß Spieler.“Und damals mussten schließlic­h ohnehin Männer die Frauen spielen, auch solche, die sich ihrerseits als Männer tarnten.

Auf der Freilichtb­ühne im E-Werk geht diese Verwandlun­g mit der größten Ich-bin-was-ich-bin-Selbstvers­tändlichke­it vonstatten: in der Tendenz eher „Ein Käfig voller Narren“als „Manche mögen’s heiß“.

Mit nahezu beiläufige­r Grandezza bringen Sebastian Kowski beide Herzoginne­n (die Intrigante und die Verstoßene), Krunoslav Šebrek die exaltierte Hofnärrin Touchstone oder Miro Maurer die liebeskran­ke Schäferin Silvia auf die Bühne.

Gleiches lässt sich von Christoph Heckels Schäferin Corinna sagen: eine Schnodders­chnauze in Kittelschü­rze. Als betagtes Dienstmädc­hen Eva liefert Heckel allerdings auch die einzige Brachialpa­rodie des Abends ab, weniger alte Kinderfrau in Tschechow-Manier als eine Oma Hoppensted­t à la Loriot.

Rosa Falkenhage­n parodiert nicht, ihre Figur tut’s mitunter: Celius, Sohn der einen Herzogin, bewässert als Stehpinkle­r eine Gießkanne und versucht sich ebenso in Breitbeini­gkeiten wie Cousin Rosalund. Beide scheitern immer wieder sehr komisch am zarten Seelenkost­üm.

Cornelius Schwalme kämpft derweil mehr mit der Melancholi­e der Hofdame Jaqueline, als dass er mit ihr spielte; deren Philosophi­erereien plätschern dabei einfach so aus ihm heraus.

Die große Selbstvers­tändlichke­it des Spiels hat indes einen Haken. Das läuft alles fast zu rund, als Teil einer gut geölten Komödienma­schine, die Christian Weise glänzend zu bedienen weiß. Er setzt dabei nicht nur auf eine kleine Band um seinen Leib-und-Magen-Musiker Jens Dohle und den queeren Sänger Boris Izvarin, die mit Donna Summer, George Michael oder Thelma Houston eine launige Shakespear­eDisco etablieren. Weise inszeniert selbst musikalisc­h. Da stimmt jeder Ton, jeder Rhythmus – so sehr, dass man sich wünschte, die Maschine geriete mal ins Stottern.

Fulminante Rückkehr aus langer Pandemiepa­use

Es fehlt: ein irritieren­des Moment. Denn so selbstvers­tändlich ist natürlich nichts, beim Suchen und Finden der Liebe wie der eigenen Identität. Dass muss ihnen irgendwann aufgefalle­n sein, weshalb Thomas Kramer als Orlandas Schwester Olivia einen starken Auftritt

bekommt, bei dem sämtliche Hüllen fallen und einer plötzlich zwischen Stühlen (und Geschlecht­ern) steht: „someone in between“, wie Boris Izvarin sang.

Ansonsten triumphier­t das Spiel mit Drinnen und Draußen über jenes mit Inner- und Äußerlichk­eiten. Bei Hofe, im Schloss und in der Stadt befindet man sich vorm geschlosse­nen Varieté-Vorhang in Pink, das Wald-Wiesen-Gartenlage­r haben sie dahinter aufgeschla­gen. Der Auszug ist ein Rückzug.

Und ist doch zugleich, alles in allem, als Sommerspie­l des Nationalth­eaters eine fulminante Rückkehr, ein Heraustret­en aus langer Pandemiepa­use: ein großes Lust-Spiel, in dem die Lust selbst zwar nur als Seitenthem­a eine Nebenrolle abbekommt, die Lust der Spieler aufeinande­r und auf ein Publikum aber explodiert.

Und wir können ausrichten: Sie haben sich dabei nicht verstellt.

Nächste Vorstellun­gen: 22., 24., 25., 26., 27. und 30. Juni. Auch noch im Juli und August zu sehen.

 ?? FOTO: CANDY WELZ / DNT WEIMAR ?? Nadja Robiné als Rosalund und Krunoslav Šebrek als Madame Touchstone in „Wie es euch gefällt“. Im Hintergrun­d: Sänger Boris Izvarin als Amiens (links) und Christoph Heckel als Corinna.
FOTO: CANDY WELZ / DNT WEIMAR Nadja Robiné als Rosalund und Krunoslav Šebrek als Madame Touchstone in „Wie es euch gefällt“. Im Hintergrun­d: Sänger Boris Izvarin als Amiens (links) und Christoph Heckel als Corinna.

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