Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Ein Garten voller Narren
DNT-Sommerkomödie feiert mit Shakespeare den Geschlechtertausch
Man solle der bewussten Dame ausrichten, sagt jene andere, die eigentlich ein Kerl ist und soeben das Bewusstsein verlor, wie gut sie sich dabei verstellte. Denn eine Ohnmacht angesichts ein bisschen Blutes auf dem Tuch, das ist Männerkram und dem starken Geschlecht unwürdig, also einer Frau.
Eine Schauspielerin, Nadja Robiné, spielt einen Mann, Rosalund, der widerwillig in den Wald flieht („Nee, das wird viel zu gefährlich zu uns!“) und dort vorsichtshalber als Ganymaid auftritt, eine Frau: „protzig und martialisch wie alle die anderen, die unverschämt mit ihrem Äußeren bluffen.“Von Orlanda (Fabian Hagen) verlangt Ganymaid, sie einstweilen für jenen geliebten Rosalund zu halten, der sie ja auch ist .
Alles klar? Na klar! Dergleichen ereignet sich zwar buchstäblich zwischen Kraut und Rüben, in jenem ländlichen Garten der Liebe, den die Ausstatterinnen Jana Findeklee und Joki Tewes an Waldes statt bestellten. Aber es geht nicht so zu. Hier herrscht kein wildes Durcheinander, hier herrscht Ordnung.
Es ist, bei Patriziern und Plebejern, die des Matriarchats. Regisseur Christian Weise und Dramaturgin Beate Seidel verkehren für ihr Weimarer Sommertheater „Wie es euch gefällt“patriarchalische Verhältnisse in ihr Gegenteil. Shakespeares Männer werden dafür zu Frauen, die von Männern gespielt werden. Und umgekehrt.
Verwandlung mit der größten Ich-binwas-ich-bin-Selbstverständlichkeit
Das ist keine Verstellung. Das ist eine Verwandlung, in eine DragShow, die gegenüber dieser über vierhundert Jahre alten melancholischen Komödie sozusagen Werktreue auf Umwegen bedeutet: „Die ganze Welt ist eine Bühne. Und Männer, Frauen, alle sind bloß Spieler.“Und damals mussten schließlich ohnehin Männer die Frauen spielen, auch solche, die sich ihrerseits als Männer tarnten.
Auf der Freilichtbühne im E-Werk geht diese Verwandlung mit der größten Ich-bin-was-ich-bin-Selbstverständlichkeit vonstatten: in der Tendenz eher „Ein Käfig voller Narren“als „Manche mögen’s heiß“.
Mit nahezu beiläufiger Grandezza bringen Sebastian Kowski beide Herzoginnen (die Intrigante und die Verstoßene), Krunoslav Šebrek die exaltierte Hofnärrin Touchstone oder Miro Maurer die liebeskranke Schäferin Silvia auf die Bühne.
Gleiches lässt sich von Christoph Heckels Schäferin Corinna sagen: eine Schnodderschnauze in Kittelschürze. Als betagtes Dienstmädchen Eva liefert Heckel allerdings auch die einzige Brachialparodie des Abends ab, weniger alte Kinderfrau in Tschechow-Manier als eine Oma Hoppenstedt à la Loriot.
Rosa Falkenhagen parodiert nicht, ihre Figur tut’s mitunter: Celius, Sohn der einen Herzogin, bewässert als Stehpinkler eine Gießkanne und versucht sich ebenso in Breitbeinigkeiten wie Cousin Rosalund. Beide scheitern immer wieder sehr komisch am zarten Seelenkostüm.
Cornelius Schwalme kämpft derweil mehr mit der Melancholie der Hofdame Jaqueline, als dass er mit ihr spielte; deren Philosophierereien plätschern dabei einfach so aus ihm heraus.
Die große Selbstverständlichkeit des Spiels hat indes einen Haken. Das läuft alles fast zu rund, als Teil einer gut geölten Komödienmaschine, die Christian Weise glänzend zu bedienen weiß. Er setzt dabei nicht nur auf eine kleine Band um seinen Leib-und-Magen-Musiker Jens Dohle und den queeren Sänger Boris Izvarin, die mit Donna Summer, George Michael oder Thelma Houston eine launige ShakespeareDisco etablieren. Weise inszeniert selbst musikalisch. Da stimmt jeder Ton, jeder Rhythmus – so sehr, dass man sich wünschte, die Maschine geriete mal ins Stottern.
Fulminante Rückkehr aus langer Pandemiepause
Es fehlt: ein irritierendes Moment. Denn so selbstverständlich ist natürlich nichts, beim Suchen und Finden der Liebe wie der eigenen Identität. Dass muss ihnen irgendwann aufgefallen sein, weshalb Thomas Kramer als Orlandas Schwester Olivia einen starken Auftritt
bekommt, bei dem sämtliche Hüllen fallen und einer plötzlich zwischen Stühlen (und Geschlechtern) steht: „someone in between“, wie Boris Izvarin sang.
Ansonsten triumphiert das Spiel mit Drinnen und Draußen über jenes mit Inner- und Äußerlichkeiten. Bei Hofe, im Schloss und in der Stadt befindet man sich vorm geschlossenen Varieté-Vorhang in Pink, das Wald-Wiesen-Gartenlager haben sie dahinter aufgeschlagen. Der Auszug ist ein Rückzug.
Und ist doch zugleich, alles in allem, als Sommerspiel des Nationaltheaters eine fulminante Rückkehr, ein Heraustreten aus langer Pandemiepause: ein großes Lust-Spiel, in dem die Lust selbst zwar nur als Seitenthema eine Nebenrolle abbekommt, die Lust der Spieler aufeinander und auf ein Publikum aber explodiert.
Und wir können ausrichten: Sie haben sich dabei nicht verstellt.
Nächste Vorstellungen: 22., 24., 25., 26., 27. und 30. Juni. Auch noch im Juli und August zu sehen.