Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Ein Flüchtling tanzt sein Schicksal
Bachmannpreis für Nava Ebrahimi
Auf der Flucht aus dem Iran in Richtung Kanada werden Mutter und Sohn in Thailand festgenommen und landen im Gefängnis. „Diese sechs Monate wurden zum Sperrgebiet, zum Tschernobyl der Familiengeschichte, die ohnehin an Boden verlor“, schreibt Nava Ebrahimi. Bei einer Begegnung mit seiner Cousine tanzt der schwule Kian auf einer Bühne in New York endlich bisher Ungesagtes. Mit ihrem Text „Der Cousin“hat die 1978 in Teheran geborene Schriftstellerin, die in Köln aufgewachsen ist und seit vielen Jahren in Graz lebt, die Jury des Bachmannpreises überzeugt.
Die mit
25.000 Euro dotierte Auszeichnung, einer der wich- tigsten Preise der deutschsprachigen Literaturszene, ging damit an eine von vorneherein hochgehandelte und bereits etablierte Autorin. Sie sei eine der spannendsten Stimmen der deutschen Gegenwartsliteratur, so die Jury. Der komplizierte und schwierige Text behandle auch eine der aktuellen Kernfragen, nämlich wie viel Show brauche es, damit Botschaften überhaupt noch wahrgenommen würden, so Juror Klaus Kastberger.
Es war ein enges Rennen um den Hauptpreis: Mit vier zu drei Stimmen bevorzugte die siebenköpfige Jury Ebrahimi vor der Berliner Autorin Dana Vowinckel. Vowinckel hat in „Gewässer im Ziplock“einen Blick auf die orthodoxe jüdische Szene geworfen. Juror Philipp Tingler war begeistert von den geschilderten Sinneseindrücken wie dem „Krachen der Zähne der Großmutter auf dem Joghurtlöffel“. Ohnehin bewege sich Vowinckel mit ihrem Thema in einem Feld, das aktuell mehr denn je auf Neugierde stoße, befand Kastberger. Die 1996 geborene Schriftstellerin erhielt mit dem Deutschlandfunk-Preis den am zweithöchsten dotierten Preis (12.500 Euro).