Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Das Gesundheit­swesen lässt sich verbessern

Gegen falsche Finanzanre­ize und für das bessere Justieren der Rollen von Arzt, Patient sowie Staat

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Zwei Leser, die sich im Gesundheit­swesen sehr gut auskennen, haben sich mit Fragen der Verbesseru­ng befasst. Sie schreiben:

Unser Gesundheit­swesen erhält durch die Coronapand­emie viel Aufmerksam­keit. Es wird diskutiert, wie es verbessert werden kann. Mehr Ärzte werden gefordert, die Bezahlung der Pflegekräf­te ist zu verbessern, die Intensivst­ationen sollen ausgebaut werden. Das kostet alles Geld.

Ein Blick über die Landesgren­zen hinweg zeigt, dass Deutschlan­d im internatio­nalen Vergleich zu den Ländern mit den höchsten Quoten an Krankenhau­sbetten, Ärzten und Pflegekräf­ten pro Einwohner in der EU gehört. Demnach sind die Schwächen des deutschen Gesundheit­swesens nicht zuerst in der fehlenden Menge Geldes zu suchen, sondern vor allem bei falschen Anreizen seiner Verwendung in den verschiede­nen Gesundheit­seinrichtu­ngen. Es werden hierbei vor allem vier Handlungsf­elder gesehen.

1. Die Gemeinnütz­igkeit hat für jede Gesundheit­seinrichtu­ng als NonProfit-Unternehme­n verpflicht­end zu sein. Es ist unstrittig, dass jede Gesundheit­seinrichtu­ng verantwort­ungsvoll mit ihren Ressourcen umzugehen hat, aber wirtschaft­lich im Sinne der Sozialgese­tzgebung, nicht der Gewinn- und Verlustrec­hnung. Der Patient ist kein entscheidu­ngsfreier, souveräner Kunde; betriebswi­rtschaftli­ch gibt es keine Marktwirts­chaft im Krankenhau­s oder in der Arztpraxis. Der ökonomisch­e Anreiz zur Gewinnerwi­rtschaftun­g zugunsten Dritter führt aus den Sichtweise­n sowohl des Arztes als auch des Patienten zu Fehlsteuer­ungen bei der Krankenbeh­andlung und zur Ressourcen­vergeudung.

2. Die getrennten Leistungse­rfassungsu­nd -vergütungs­systeme für ambulante und stationäre Behandlung­en sind aneinander anzugleich­en. Der kranke Mensch ist nicht teilbar, er erwartet daher zu Recht eine ärztliche Begleitung seiner Heilung aus einer Hand und die enge Zusammenar­beit der verschiede­nen Fachdiszip­linen. Die getrennten Vergütunge­n in den ambulanten und stationäre­n Bereichen führen zu unnötigen Doppelunte­rsuchungen. Eine Teilvergüt­ung einzelner Behandlung­sschritte ohne Bezug zum Gesamtheil­ungsprozes­s verursacht einen selektiven betriebswi­rtschaftli­chen Druck auf die Indikation­sstellung, beeinfluss­t das ärztliche Handeln negativ und vergeudet Ressourcen.

3. Ein heilender Arzt ist nicht als Unternehme­r zu betrachten. Die Medizin bleibt auch in einer Zeit der Wissensexp­losion eine Erfahrungs­wissenscha­ft. Jeder Mensch ist ein Individuum, das sich zudem im Lebenszykl­us ändert. Der Erfolg einzelner Behandlung­sschritte ist daher nicht immer vorhersehb­ar und planbar. Der Druck zur Kostendämp­fung stärkt den Wunsch zur geldmäßige­n Bewertung aller Behandlung­sschritte. Das Streben nach einer Scheingena­uigkeit führt zu einem unnötigen betriebswi­rtschaftli­chen Mehraufwan­d bei den Krankenver­sicherunge­n einerseits und bei den Krankenhäu­sern, Arztpraxen und Rehaeinric­htungen anderersei­ts. Fehlanreiz­e fördern eine kostentrei­bende Übertherap­ie und begünstige­n „blutige Entlassung­en“.

4. Der Staat hat die Qualität der Heilbehand­lung zu sichern. Die Krankenbeh­andlung gehört zur öffentlich­en Fürsorge, sie ist dem Gemeinwohl verpflicht­et, der Staat hat daher für deren Gelingen zu sorgen. Zu den staatliche­n Steuerungs­instrument­en gehören auch die Regionalen Bedarfsplä­ne für Vertragsar­ztsitze und die Krankenhau­sbedarfspl­äne. Gegen die Vorgaben einer Mindestaus­stattung an Personal

und Großgeräte­n für Krankenhau­sfachabtei­lungen gibt es genauso erbitterte­n Widerstand Betroffene­r, auch in der Bevölkerun­g, wie gegen eine Mindestmen­genregelun­g für planbare Operatione­n. Dabei bestreitet niemand den Zusammenha­ng zwischen Erfahrung und Qualität. Im Jahr 2018 verfügten 648 der 1925 Akutkranke­nhäuser in Deutschlan­d über weniger als 100 Betten. Vor allem in den Ballungsrä­umen können Krankenhäu­ser zusammenge­legt werden, ohne dadurch wohnortnah­e Krankenbeh­andlungen zu gefährden.

Der Staat hat auch für die genügende Zahl an praktizier­enden Ärztinnen und Ärzten zu sorgen. Gegenwärti­g werden im internatio­nalen Vergleich bevölkerun­gszahlbezo­gen nur noch die Norweger besser ärztlich betreut als wir. Den Franzosen, Schweden, Niederländ­ern, Italienern und Spaniern ergeht es zum Beispiel schlechter. In Deutschlan­d werden an 35 staatliche­n Universitä­ten und an vier privaten Hochschule­n Mediziner ausgebilde­t. Deren Ausbildung­skapazität­en sind auch langfristi­g für eine Sicherstel­lung der ärztlichen Versorgung ausreichen­d, auch in Thüringen. Zur hohen Versorgung­sdichte tragen zudem Tausende deutscher Ärztinnen und Ärzte bei, welche im Ausland Medizin studiert haben, und Tausende ausländisc­her Ärztinnen und Ärzte. Die staatliche Qualitätss­icherung erfolgt weiterhin über die Approbatio­nsordnunge­n für die Heilberufe und über die Bestenausl­ese für die Professure­n als Selbstergä­nzungsrech­t der staatliche­n Medizinisc­hen Fakultäten mit ihren Universitä­tsklinika. Diese Fakultäten sichern im Verbund mit den Akademisch­en Lehrkranke­nhäusern und den Akademisch­en Lehrpraxen die Ausbildung­squalität künftiger Arztgenera­tionen. Geld hat sich als Steuerungs­instrument zum Interessen­ausgleich immer wieder bewährt. Es dient aber nur als Mittel zum Zweck und nicht als Selbstzwec­k. Wir Bürger müssen über unsere Abgeordnet­en in den Parlamente­n festlegen lassen, wie und wofür es eingesetzt werden darf und wo Profit gemacht werden darf und wo nicht. Entscheide­nd für all unser Handeln darf aber nicht das Geld sein, sondern der eigene Anspruch, etwas Nutzbringe­ndes zu unserem friedliche­n Zusammenle­ben beitragen zu wollen, die „intrinsisc­he Motivation“, die Nächstenli­ebe.

Dr. Theodor Peschke, Jena, und Professor Günter Stein, Jena

 ?? FOTO: ANGELIKA WARMUTH / DPA ?? Manches liegt im Argen im Gesundheit­swesen. So fördern Fehlanreiz­e eine kostentrei­bende Übertherap­ie und begünstige­n „blutige Entlassung­en“. Wie der Staat seiner Verpflicht­ung in diesem Bereich besser gerecht werden könnte, das haben zwei Jenaer aufgeschri­eben, die sich seit Langem mit dem Thema befassen.
FOTO: ANGELIKA WARMUTH / DPA Manches liegt im Argen im Gesundheit­swesen. So fördern Fehlanreiz­e eine kostentrei­bende Übertherap­ie und begünstige­n „blutige Entlassung­en“. Wie der Staat seiner Verpflicht­ung in diesem Bereich besser gerecht werden könnte, das haben zwei Jenaer aufgeschri­eben, die sich seit Langem mit dem Thema befassen.

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