Thüringische Landeszeitung (Weimar)
„Ich schließe einen Lockdown aus“
CSU-Spitzenkandidat Alexander Dobrindt über Regeln für Ungeimpfte und den zähen Unionswahlkampf
Mit etwas Verspätung trifft Alexander Dobrindt zum Interview im Bundestag ein, nimmt sich dann aber viel Zeit für das Gespräch. Dafür, dass für den CSU-Spitzenkandidaten wegen des Wahlkampfs in diesem Sommer der Urlaub ausfällt und die Werte für die Union derzeit eher unerfreulich sind, wirkt er erstaunlich gelassen.
Die vierte Welle ist da, Delta breitet sich aus. Welche Lage haben wir am Tag der Bundestagswahl am 26. September? Womit rechnen Sie?
Alexander Dobrindt: Man kann da keine präzise Vorhersage treffen. Klar ist aber, dass wir zurzeit ein steigendes Infektionsgeschehen erleben. Das muss man ernst nehmen und sich darauf vorbereiten, weil wir noch eine große Gruppe von nicht geimpften Menschen haben.
Nächste Woche beraten Bund und Länder, wie sie auf die steigenden Inzidenten reagieren. Kommt eine neue Bundesnotbremse?
Nein, aber wir brauchen eine neue Betrachtungsweise des Infektionsgeschehens. Die Inzidenz hat als singulärer Wert ausgedient. Wir müssen einen neuen Skalenwert entwickeln, der sich zusammensetzt aus dem Dreiklang: Intensivbettenauslastung, Impffortschritt und Inzidenz. Dabei muss es sich um einen fließenden Skalenwert handeln, der den steigenden Impffortschritt immer wieder neu einbezieht.
Ist ein erneuter Lockdown eine Option?
Ich schließe einen erneuten Lockdown aus. Wir haben inzwischen über 50 Prozent vollständig Geimpfte und sollten alles daransetzen, die Impfdynamik wieder zu steigern. Ein Lockdown würde auch alle Geimpften betreffen. Dafür gibt es keine Rechtfertigung mehr, denn das Impfen ist der Weg in die Normalität. Bei hohen Infektionszahlen muss man vielmehr auf die Nichtgeimpften schauen. Sie sind es, die dann möglicherweise Einschränkungen in Kauf nehmen müssen. Für Geimpfte sehe ich das nicht.
Ab wann müssen sich Ungeimpfte auf solche Schritte einstellen?
Das kann nur der letzte Schritt sein und hängt besonders von der Entwicklung auf den Intensivstationen ab und von der Infektionslage in den Schulen. Hohe Ansteckung unter Schülern und eine starke Belastung des Gesundheitssystems können künftig dazu führen, dass es für Nichtgeimpfte Einschränkungen geben kann.
Was droht Ungeimpften konkret?
Die Normalität, die für Geimpfte herrschen muss, kann bei einer angespannten Infektionslage für Nichtgeimpfte möglicherweise nicht gleichermaßen gelten. Es ist zum Beispiel vorstellbar, dass Hotels, Restaurants oder Kulturveranstalter ihr Angebot auf Geimpfte beschränken. Deswegen ist es auch so wichtig, dass wir beim Impffortschritt mehr Dynamik entfachen.
Was hilft da? Mehr Anreize? Mehr Angebote?
Niedrigschwellige Angebote weiter zu steigern, ist der richtige Weg. Wir brauchen mobile Impfteams dort, wo sich die Leute im Alltagsleben aufhalten. Ich kann mir Impfungen in Einkaufszentren, in Diskotheken, aber auch zum Beispiel vor Moscheen vorstellen. Jeder Ort, an dem wir Menschen erreichen, die sich bislang nicht für das Impfen interessiert haben oder keinen Termin buchen wollen, hilft uns, die Impfquote zu erhöhen.
Viele Reiserückkehrer sind noch nicht geimpft.
Ich schlage vor, nicht nur Teststationen, sondern auch Impfstationen für Einreisende bereitzuhalten. An Flughäfen und Bahnhöfen sollten nicht geimpfte Reiserückkehrer schnell und unkompliziert ein Impfangebot bekommen.
Die Corona-Schnelltests sollen ab Mitte Oktober kostenpflichtig werden. Ist das klug?
Ich könnte mir das ab November vorstellen. Wer in den nächsten vier Wochen seine Erstimpfung bekommt, braucht sechs Wochen bis zur zweiten Dosis und weitere zwei Wochen bis zur vollen Wirksamkeit. Wenn wir jetzt die Impfangebote noch mal verstärken, dann ist es gerechtfertigt, die Tests im Laufe des Novembers kostenpflichtig zu machen. Kinder und Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden können, bleiben aber weiter von den Kosten befreit.
Bis zur Bundestagswahl sind es nur noch sieben Wochen. Die Umfragewerte von Armin Laschet sind im Sturzflug.
Armin Laschet steht zurzeit vor mehreren schwierigen Herausforderungen wie der Bewältigung der Folgen der Flutkatastrophe. Er hat die volle Unterstützung der CSU. Und wir arbeiten gemeinsam daran, dass die Union nicht nur stärkste Kraft wird, sondern dass gegen uns auch keine Regierung gebildet werden kann.
Gehören zur vollen Unterstützung auch die Querschüsse aus München? Söder spricht vom Wahlkampf im „Schlafwagenmodus“.
Ich sehe da keine Querschüsse. Aber es ist unsere Verantwortung, darauf hinzuweisen, dass wir mehr Dynamik und maximale Mobilisierung für die Unionsparteien brauchen. Unser Ziel muss ein Ergebnis über 30 Prozent sein. Da ist noch Luft nach oben. Meine Erfahrung mit Wahlkämpfen in der Vergangenheit ist, dass sie deutlich dynamischer, härter in der Auseinandersetzung und mit Mut zum Unterschied geführt worden sind. Erfolgreich sind Wahlkämpfe, wenn sie die drei „Ms“zusammenbringen: Mannschaft, Mut und Mobilisierung.
Söder rechnet mit einem „Wimpernschlagfinale“. Sie auch?
Ja, es wird ein Foto-Finish geben. Nichts ist entschieden. Die Richtungsentscheidung bedeutet auch, dass nach wie vor eine linke Mehrheit aus Grünen, SPD und der Linkspartei genauso möglich ist wie eine Ampel-Koalition oder auch Jamaika. Ich werbe sehr dafür, dass wir auch über eine DeutschlandKoalition reden aus Union, SPD und FDP. Sie hätte schon allein deswegen einen großen Vorteil, weil sie ohne eine Beteiligung der Grünen auskommt.
„Unser Ziel muss ein Ergebnis über 30 Prozent sein.“