Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Könnte Reiner Schöne nicht im „Jedermann“singen?
Wir haben über Ihre Rolle als Tod im Weimarer „Jedermann“gesprochen, Herr Thieme. Dazu fällt mir Dieter Franke ein, der großartige Schauspieler vom Deutschen Theater. Grandios, wie der den Gevatter Tod in dem gleichnamigen Defa-Märchenfilm von 1980 gespielt hat: als müden alten Mann, der auf einem Ochsen ins Dorf trottet und hinter ihm eine johlende Kinderschar. Der Tod wird nicht ernst genommen, er wird verlacht, bis er plötzlich am Fußende des Bettes steht.
Ich kenne den Film leider nicht. Aber Dieter Franke war ein ganz Großer, leider auch längst vergessen, wie das unsere Bestimmung ist. Ja, sowas in der Art schwebt mir vor.
Der Tod darf nicht auftrumpfen. Auch die Mammons trumpfen nicht mehr auf. Gucken Sie sich doch an, wie Frau Lagarde, die Chefin der Europäischen Zentralbank, vor die Kameras tritt, wie eine höhere Beamtin, die ganz nebenbei existenzielle Dinge für die Wirtschaft verkündet.
Aber sie hat goldenes Haar.
Silbernes mittlerweile. Ich finde, beim Weimarer „Jedermann“hat Nicolai Tegerle, unser Regisseur, die Chance, etwas Neues zu versuchen. Die Besetzung besteht aus Leuten, die nicht ihr ganzes Leben am Stadttheater zugebracht und dadurch auch nicht diesen Stadttheater-Ton
haben, den wir alle zur Genüge kennen. Da ist die Stimme gut geölt, da ist jede Bewegung einstudiert und wird fünfzig Mal wiederholt. So etwas hat er mit uns nicht. Es ist eine Produktion der Suchenden. Alle suchen ihre Rolle. Ich bin, wie Sie wissen, seit 15 Jahren raus, ich suche mit. Übrigens ist auch meine „Faust“-Regisseurin dabei, Julia von Sell spielt den Glauben.
Auch eine spannende Rolle in unserer Zeit der Kirchenaustritte.
Eben. Um es auf den Punkt zu bringen: Ich freue mich wahnsinnig. Ich freue mich auf alles Kontroverse und auf alle Unzulänglichkeiten. Ich freue mich auf die Kollegen, die aus verschiedenen Sparten kommen. Die Hauptrolle spielt Julian Weigend, bekannt aus der TV-Serie „In aller Freundschaft“. Ferner ist unser großer Weimarer Schauspieler Reiner Schöne zu erleben, bisher leider nur als Stimme.
Reiner Schöne hat nach seiner Flucht aus der DDR bei der deutschen Uraufführung von „Hair“in München die Hauptrolle gesungen.
Er ist in Weimar geboren. Ich habe angeregt, ihn zu unseren Vorstellungen einzufliegen. Denn der sieht nach wie vor imponierend aus, ist so groß wie Sie, hat immer noch lange Haare.
Könnte der nicht im „Jedermann“singen?
Unbedingt. Der hat eine unglaubliche Stimme. Es soll ja auch ein bisschen Show geben. Keine Belehrung. Ich persönlich habe von diesen politischen Belehrungen von der Bühne herab die Schnauze voll.
Ich gucke auch „Heute“, ich gucke auch „Tagesschau“, und ich gucke Dokumentationen und kann mir schon irgendwie ein Bild von der Weltlage machen, so gut wie jeder andere. Ich muss mir nicht abends im Theater alles noch mal erklären lassen.
Es geht doch um Bekehrung!
Klar. Darum ist es ja so witzig. Der Regisseur hat keine Rolle gestrichen. Die guten Werke spielt Michaela Schaffrath, den Teufel die verführerisch schöne Eva Habermann. Das Böse ist weiblich.