Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Könnte Reiner Schöne nicht im „Jedermann“singen?

- Weimar, 12. und 13. sowie 18. bis 20. Juli, Weimarhall­enpark

Wir haben über Ihre Rolle als Tod im Weimarer „Jedermann“gesprochen, Herr Thieme. Dazu fällt mir Dieter Franke ein, der großartige Schauspiel­er vom Deutschen Theater. Grandios, wie der den Gevatter Tod in dem gleichnami­gen Defa-Märchenfil­m von 1980 gespielt hat: als müden alten Mann, der auf einem Ochsen ins Dorf trottet und hinter ihm eine johlende Kinderscha­r. Der Tod wird nicht ernst genommen, er wird verlacht, bis er plötzlich am Fußende des Bettes steht.

Ich kenne den Film leider nicht. Aber Dieter Franke war ein ganz Großer, leider auch längst vergessen, wie das unsere Bestimmung ist. Ja, sowas in der Art schwebt mir vor.

Der Tod darf nicht auftrumpfe­n. Auch die Mammons trumpfen nicht mehr auf. Gucken Sie sich doch an, wie Frau Lagarde, die Chefin der Europäisch­en Zentralban­k, vor die Kameras tritt, wie eine höhere Beamtin, die ganz nebenbei existenzie­lle Dinge für die Wirtschaft verkündet.

Aber sie hat goldenes Haar.

Silbernes mittlerwei­le. Ich finde, beim Weimarer „Jedermann“hat Nicolai Tegerle, unser Regisseur, die Chance, etwas Neues zu versuchen. Die Besetzung besteht aus Leuten, die nicht ihr ganzes Leben am Stadttheat­er zugebracht und dadurch auch nicht diesen Stadttheat­er-Ton

haben, den wir alle zur Genüge kennen. Da ist die Stimme gut geölt, da ist jede Bewegung einstudier­t und wird fünfzig Mal wiederholt. So etwas hat er mit uns nicht. Es ist eine Produktion der Suchenden. Alle suchen ihre Rolle. Ich bin, wie Sie wissen, seit 15 Jahren raus, ich suche mit. Übrigens ist auch meine „Faust“-Regisseuri­n dabei, Julia von Sell spielt den Glauben.

Auch eine spannende Rolle in unserer Zeit der Kirchenaus­tritte.

Eben. Um es auf den Punkt zu bringen: Ich freue mich wahnsinnig. Ich freue mich auf alles Kontrovers­e und auf alle Unzulängli­chkeiten. Ich freue mich auf die Kollegen, die aus verschiede­nen Sparten kommen. Die Hauptrolle spielt Julian Weigend, bekannt aus der TV-Serie „In aller Freundscha­ft“. Ferner ist unser großer Weimarer Schauspiel­er Reiner Schöne zu erleben, bisher leider nur als Stimme.

Reiner Schöne hat nach seiner Flucht aus der DDR bei der deutschen Uraufführu­ng von „Hair“in München die Hauptrolle gesungen.

Er ist in Weimar geboren. Ich habe angeregt, ihn zu unseren Vorstellun­gen einzuflieg­en. Denn der sieht nach wie vor imponieren­d aus, ist so groß wie Sie, hat immer noch lange Haare.

Könnte der nicht im „Jedermann“singen?

Unbedingt. Der hat eine unglaublic­he Stimme. Es soll ja auch ein bisschen Show geben. Keine Belehrung. Ich persönlich habe von diesen politische­n Belehrunge­n von der Bühne herab die Schnauze voll.

Ich gucke auch „Heute“, ich gucke auch „Tagesschau“, und ich gucke Dokumentat­ionen und kann mir schon irgendwie ein Bild von der Weltlage machen, so gut wie jeder andere. Ich muss mir nicht abends im Theater alles noch mal erklären lassen.

Es geht doch um Bekehrung!

Klar. Darum ist es ja so witzig. Der Regisseur hat keine Rolle gestrichen. Die guten Werke spielt Michaela Schaffrath, den Teufel die verführeri­sch schöne Eva Habermann. Das Böse ist weiblich.

 ?? QUILITZSCH ?? Frank Quilitzsch (l.) fragt, Thomas Thieme antwortet.
QUILITZSCH Frank Quilitzsch (l.) fragt, Thomas Thieme antwortet.

Newspapers in German

Newspapers from Germany