Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Weimar ist nur auf dem Papier eine Insel der Glückselig­en

Debatte zum Gesundheit­swesen mit Schwerpunk­t zu Defiziten bei kassenärzt­licher Versorgung

- Susanne Seide

Unter dem Motto „Wie steht es um unser Gesundheit­swesen?“stand am Dienstagab­end das zweite Weimar-Forum im Haus der Weimarer Republik. Das Gespräch vereinte drei Themenschw­erpunkte: Tomas Kallenbach, Geschäftsf­ührer des Sophien- und HufelandKl­inikums, Isabelle Oberbeck, Leiterin des städtische­n Gesundheit­samtes, und Thomas Schröter, Vorstand der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g (KV) Thüringen, stellten sich zunächst den Fragen des Moderators Hartmut Kaczmarek.

Hier wie später auch bei den Publikumsf­ragen stellten sich schnell die Defizite bei der kassenärzt­lichen Versorgung als das Schwerpunk­tthema heraus. Weimar ist zwar auf dem Papier beispielsw­eise im Vergleich zum ländlichen Raum bei der Zahl der niedergela­ssenen Ärzte eine Insel der Glückselig­en, weil es nicht einen freien Arztsitz gibt. In einzelnen Fachbereic­hen und auch durch die Medizinisc­hen Versorgung­szentren (MVZ) sehe die Realität aber anders aus, betonte Thomas Schröter.

In einzelnen Bereichen dramatisch­e Situation

Die augenärztl­iche Versorgung nannte er prekär: Immer mehr Augenärzte würden ambulante Operatione­n vornehmen, wodurch die Zeit für andere Behandlung­en und Sprechstun­den fehle. Daher habe es im Süden von Weimar zwei halbe „Sonderbeda­rfszulassu­ngen“gegeben. Probleme seien auch dadurch entstanden, dass zwei AugenarztP­raxen an MVZ angegliede­rt wurden, sagte der KV-Vorstand.

Die Praxiszent­ren sieht die KV kritisch: Nach Angaben von Thomas Schröter würden die Fallzahlen 20 Prozent niedriger liegen als bei niedergela­ssenen Ärzten. Zudem gebe es dort bei den Ärzten mehr Fluktuatio­n und Lücken in der Nachbesetz­ung freier Stellen.

„Die Versorgung­seffizienz nimmt ab“, konstatier­te der KV-Vorstand. Hinzu komme wie beim MVZ der Zentralkli­nik Bad Berka, die er

nicht namentlich nannte, eine seit Dezember andauernde Vakanz im Fachbereic­h Kardiologi­e.

Die Situation in Weimar sei so dramatisch, dass es angesichts der monatelang­en Wartezeite­n einen zusätzlich­en Sitz geben soll. Auf die Nachbesetz­ung im MVZ habe die KV keinen Einfluss, hoffe aber auf den Mai.

Allerdings könnten freie Stellen bis zu einem Jahr unbesetzt bleiben, ohne dass den Betreibern Konsequenz­en drohen. Je schlechter die Facharzt-Versorgung ist, desto höher sei die Belastung der Hausärzte, sagte Thomas Schröter auf einen Hinweis aus dem Publikum, dass auch sie keine Patienten mehr aufnehmen würden.

Fachkräfte­mangel treibt auch Tomas Kallenbach und Isabelle Oberbeck um. Die Leiterin des Gesundheit­samtes erläuterte, dass dieses angesichts der Corona-Pandemie personell um umgerechne­t sieben Vollzeitst­ellen aufgestock­t worden ist. Die mediale Präsenz, die die Leiterin

bundesweit zu einer gefragten Expertin werden ließ, habe beim Gewinnen von Personal geholfen. Allerdings sei die Leitung des sozialpsyc­hiatrische­n Dienstes unbesetzt.

Einheitlic­he Regeln bei Pandemie angemahnt

Isabell Oberbeck fordert als Anreiz einen Tarifvertr­ag für den öffentlich­en Gesundheit­sdienst, weil die Ärzte dort weniger verdienen als in Kliniken oder Praxen. Angemahnt hat sie ein Landesgesu­ndheitsamt als Aufsichtsb­ehörde.

Thüringen habe als einziges Bundesland keine solche Behörde, die in Fällen wie der Pandemie einheitlic­he Empfehlung­en ausspricht, sagte die Amtsleiter­in mit Blick auf die unterschie­dlichen Regelungen, die es selbst in Weimar und im Weimarer Land gab.

Auch ohne Pandemie gehe die Arbeit keineswegs aus. Als Beispiele nannte sie regelmäßig­e Proben des Trinkwasse­rs. Täglich Brot sei zudem unter anderem der Umgang

mit Viren wie bei Hirnhauten­tzündungen oder die Bekämpfung von Krätze.

Das Klinikum begegnet dem Fachkräfte­mangel mit mehr Ausbildung und mehr Mitarbeite­rn aus dem Ausland. Unter den rund 1000 Mitarbeite­rn betrage deren Anteil in der Pflege fünf und bei den Ärzten zehn Prozent, sagte Tomas Kallenbach. Durch das gezielte Anwerben von Berufsnach­wuchs aus Vietnam und Pakistan sei bereits die Hälfte der Pflegeschü­ler Ausländer.

Auf Distanz ging Tomas Kallenbach zu Aussagen eines Kassen-Vorstandes, wonach es in der Region zu viele Kliniken mit ähnlichen Aufgaben geben würde. Alle hätten unterschie­dliche Fachbereic­he sowie unterschie­dliche regionale beziehungs­weise überregion­ale Bedeutung, sagte er mit Blick auf die Einrichtun­gen in Weimar, Bad Berka, Blankenhai­n und Apolda. Nachgedach­t werden könne aber über die Zusammenle­gung von Einrichtun­gen unter einem Trägerdach.

 ?? SUSANNE SEIDE ?? Beim Weimar-Forum zum Thema Gesundheit­swesen sind hier Tomas Kallenbach, Isabelle Oberbeck, Hartmut Kaczmarek und Thomas Schröter (von links) zu sehen.
SUSANNE SEIDE Beim Weimar-Forum zum Thema Gesundheit­swesen sind hier Tomas Kallenbach, Isabelle Oberbeck, Hartmut Kaczmarek und Thomas Schröter (von links) zu sehen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany