Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Glaube überdauert das Lager
Gutendorferin erinnert an die von den Nazis verfolgten und inhaftierten Zeugen Jehovas
Anlässlich des 79. Jahrestages der Befreiung des KZ Buchenwald macht die Gutendorferin Anita Brecht darauf aufmerksam, dass auch die Zeugen Jehovas zu den von den Nazis Verfolgten, Entrechteten und Ermordeten gehörten. In Buchenwald wurden fast 650 Angehörige der Glaubensgemeinschaft inhaftiert.
„Aus meiner Familie haben drei die Konzentrationslager Buchenwald, Ravensbrück und Auschwitz überlebt. Einer wurde in Buchenwald ermordet … Laut Historikern wurde bereits im Sommer 1933 eine Frauenschutzhaftabteilung in Moringen errichtet, einer der wenigen Orte, in denen Frauen in einem KZ inhaftiert wurden, davon waren 45,9 Prozent Zeuginnen Jehovas.
Nachdem Moringen aufgelöst wurde, kamen diese ins KZ Lichtenburg, wo sie die stärkste Häftlingsgruppe ausmachten. Zeitweilig war jede Dritte eine Zeugin Jehovas. 1939 wurden die meisten von dort ins KZ Ravensbrück überführt. Mindestens 88 von ihnen starben durch Zwangsarbeit, Gewalt, Hunchen ger, Hinrichtung, medizinische Versuche, wurden vergast oder kamen durch „Dunkeltransporte“in eine Tötungsanstalt. Ihnen wurde warme Kleidung entzogen, keine Krankenbehandlung gewährt, sie bekamen Schläge, wurden misshandelt, mussten Schwerstarbeit leisten wie Straßen-, Kanal- und Schachtarbeiten, dabei Essensentzug verkraften – und das alles ohne Rücksicht auf ihr Alter oder Krankheiten.
Kollektive Verweigerung gegen Arbeit für Kriegszwecke
Im Kollektiv entzogen sie sich dem Hitlergruß und dem Anhören von Hitlerreden, weil diese mit patriotischen Zeremonien verbunden waren. Zudem verweigerten sie das Schmücken des Lagers anlässlich nationalsozialistischer Feiertage, da diese mit ihren religiösen Grundsätzen unvereinbar waren. Immer wieder wird von kollektiven Verweigerungen berichtet, weil sie jegliche Arbeit für Kriegszwecke ablehnten. Viele von ihnen wurden 1942 nach Auschwitz deportiert und kamen dort ums Leben, andere wurden nach ihrer Rückkehr in Ravensbrück ermordet oder starben später im KZ Bergen-Belsen.
Ich kann mich erinnern, als meine Verwandte Emma Thiel mir dies schon in den 1970er-Jahren aus ihrem eigenen Leben im KZ Ravensbrück erzählte. Zur Strafe wurde sie sogar manchmal, beim Stehen auf dem Appellplatz im Winter bei Minusgraden, mit Wasser abgespritzt. Noch heute schaudert es mich, wenn ich darüber nachdenke. Und doch bin ich stolz auf sie. Konnten sie doch mit der schriftli
Abschwörung ihres Glaubens sofort entlassen werden, eine Unterschrift hätte genügt. Die Bibel blieb für sie das Wort Gottes, und die Prinzipien daraus prägten auch im Lager ihr Denken und Handeln.
Nach den anfänglichen Schwerstarbeiten waren sie später gefragte Arbeitskräfte im Lager, wegen ihrer Zuverlässigkeit und Unbestechlichkeit. Nachdem die Zeuginnen Jehovas auch noch die Häuser der SS-Familien mitbauen mussten, verlangten viele der SS-Frauen nach den ,akkuraten Bibelforscherinnen‘, um ihre Kinder zu betreuen. Das war grotesk, denn vielen Zeuginnen Jehovas wurden die eigenen Kinder weggenommen und in Erziehungsheime oder NS-treue Familien gesteckt. Die Arbeit in den SS-Familien brachte den Häftlingsfrauen Erleichterung, denn die Frauen der SS-Männer versorgten sie manchmal mit warmer Kleidung und zusätzlicher Nahrung, die sie im Lager auch mit anderen Häftlingen teilten. Ihr starker Zusammenhalt und die Solidarität rettete vielen das Leben.“