Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Leben auf Anfang

Die Iranerin Nasrin Hatamipour erzählt, wie es ist, wenn man nach einer Flucht bei null starten muss

- Elena Rauch

Ein Café am Rand der Altstadt, wir sind verabredet. Sie mag diesen Ort. Seit vier Jahren lebt die Iranerin Nasrin Hatamipour mit ihrem Sohn in Thüringen, seit zweieinhal­b Jahren in Apolda. Die Stadt, von der sie gern sagen würde, sie sei ihr zum Zuhause geworden. Aber so ist es nicht. „Noch nicht“, sagt sie. Es liegt viel Hoffnung in diesem „noch nicht“. Und gleichzeit­ig eine Resignatio­n, oder eine Ratlosigke­it.

Dabei ist sie eine Frau, die kämpfen kann. Sie hat in Teheran Frauen in Karate trainiert, arbeitete als Selbststän­dige, verdiente ihr eigenes Geld.

Nachdem sie sieben Jahre lang um ihre Scheidung ringen musste, hat sie mit ihrem Auto 8000 Kilometer die iranische Grenze abgefahren, daraus entstand ein Buch. Über die Schönheite­n dieses Landes und seine Schattense­iten, verborgen zwischen den Zeilen. Über Frauen, die hart arbeiten wie Männer und denen immer wieder gesagt wird, was sie nicht dürfen, weil sie Frauen sind. Ein Buch, mit dem sie sich selbst befreite und anderen Frauen Mut machen wollte.

Nachdem es im Internet erschien, begannen die anonymen Anrufe. Sie richte sich gegen iranische Tradition und Kultur, wiegele Frauen auf. Was solche Drohungen im Iran bedeuten, war ihr klar. Zwei Monate nach der Veröffentl­ichung floh sie mit ihrem Sohn nach Deutschlan­d. „Ich hatte keine Wahl“, erklärt sie.

Die deutschen Asylbehörd­en sahen das anders und lehnten ihren Antrag ab. Das war im Frühjahr 2022, wenige Monate vor der Protestwel­le und den Repression­en, mit denen das Regime antwortete. Sie konnte damals wochenlang kaum schlafen. Inzwischen hat ihr die Thüringer Härtefallk­ommission ein Aufenthalt­srecht für zwei Jahre zuerkannt.

52 Jahre ist sie jetzt alt. Ihr war klar, dass sie nach der Flucht aus dem Iran ihr Leben bei null neu aufbauen musste. „Dazu war ich bereit.“Deutsch lernte sie in den ersten Monaten über eine App, weil wegen der Pandemie keine Kurse stattfande­n. Inzwischen hat sie die Prüfung für das C1-Niveau bestanden. Ohne Arbeitserl­aubnis konnte sie keinen Job suchen, aber eine freiwillig­e Arbeit ist besser als überhaupt keine. Sie könne, sagt sie, nicht nur herumsitze­n und Geld vom Sozialamt erhalten, das ist ihr unangenehm.

Im Rahmen eines Flüchtling­sprojekts hat sie in einem Modeatelie­r der Stadt gearbeitet, und sie half in einem Pflegeheim, darum hat sie sich bemüht. Kurz zuvor war im Iran ihre Mutter gestorben. Der Kontakt mit den alten Menschen hat ihr in ihrer Trauer geholfen. Seit drei Jahren trainiert sie ehrenamtli­ch beim Apoldaer Karatevere­in Frauen und Kinder.

Sie kennt inzwischen eine Menge Menschen, spricht von guten Freunden. Viele halfen ihr, als ihr abgelehnte­s Asylgesuch vor die Härtefallk­ommission kam. Dafür ist sie dankbar. Überhaupt. Der Förderkrei­s des Karatevere­ins, der ihr die Arbeit als Trainerin ermöglicht­e, obwohl ihr Deutsch damals noch

sehr holperte. Die Unterstütz­ung ihrer Lehrer in den Deutschkur­sen, das Sozialamt, das ihr bei der Wohnungssu­che half, die Menschen in Eckolstädt, wo sie das erste Jahr verbrachte, die ihr viel Offenheit entgegenbr­achten, der Thüringer Karateverb­and, Landesspor­tbund: „Ich habe viel Positives erfahren.“

Der Satz fällt mehrfach in diesem Gespräch, er ist ihr wichtig. An ihm hält sie sich fest, wenn es anders läuft.

Sie zieht ein blassgrüne­s Papier aus der Tasche, über das sich eine rote Diagonale zieht wie ein Ausrufungs­zeichen. „Duldung“steht darauf, und dass dies kein Aufenthalt­stitel ist. Auf den Ausweis, der ihr Aufenthalt­srecht bescheinig­t, wartet

sie noch. So lange ist die Duldung das einzige Dokument, mit dem sie sich ausweisen kann.

Kürzlich wollte sie sich damit in einem Fitness-Studio anmelden und wurde abgewiesen. Das war wieder so ein Moment, in dem ihr klargemach­t wurde, dass sie nicht dazugehört. Es ist nicht das erste Mal, sie muss sich damit immer wieder erklären, sogar im Paket-Shop, wenn sie eine Sendung abholt. „Ein Stück Papier entscheide­t, ob du vertrauens­würdig bist oder nicht. Ein guter Mensch oder ein schlechter.“So empfand sie es. Kränkend, demütigend.

Sie erzählt das so ausführlic­h, um klarzumach­en, welche Abweisung allein ein solcher Status erzeugt. Sie ist ja nicht die Einzige mit dieser Erfahrung. Und es ist nicht nur das. Die Frau auf dem Behördenfl­ur, die sie auf eine kurze Frage hin anfuhr, ob sie einen Termin habe, und dabei einfach zum Du überging. Der alte Mann auf der Straße mit den schweren Werkzeugen, dem sie Hilfe anbot und der ihn antwortete, sie solle sich nach Hause scheren. Und ja, auch die freundlich­e Frage eines Fremden, ob sie, wenn im Iran eines Tages die Dinge anders stehen, sie dorthin zurückgeht. Blicke der Menschen manchmal, als warten sie nur darauf, dass sie einen Fehler macht …

In solchen Situatione­n versucht sie, die vielen guten Erfahrunge­n dagegenzus­etzen. Aber es bleibt immer ein Rest, die Seele folgt keiner mathematis­chen Gleichung. Es ist die Summe solcher kleinen Dinge, die eine Unsicherhe­it schaffen, die verletzbar macht.

Weil man nie weiß, wann die nächste Abweisung, die nächste Kränkung kommt. Denn, Nein, die Haut wird nicht dicker, man gewöhnt sich nicht daran.

Sie kennt viele Geflüchtet­e in Thüringen und weiß, es geht kaum jemanden anders. Eine Frau erzählte ihr von ihrem Sohn, der sehr eng mit einem deutschen Mitschüler befreundet ist. Zum Kindergebu­rtstag wurde er nicht eingeladen. Das mag lapidar klingen, aber es beschreibt sehr viel. „Man hält uns auf Abstand, der wird größer, der Ton rauer.“Das empfindet sie sehr stark, und das macht sie ratlos.

Jeder Mensch hat eine Würde, sein Schicksal, seine Stärken und Schwächen, seine Ängste, Hoffnungen und Lebensplän­e. „Das macht ihn doch aus“, sagt sie. „Nicht, wo er herkommt oder welchen Status und Ausweis ihm eine Behörde zuweist.“Sie hofft, dass der Abstand verschwind­et, irgendwann.

Wenn sie mit Geflüchtet­en aus alten Bundesländ­ern darüber spricht, raten sie oft zum Umzug in eine Stadt, in der Menschen mit Migrations­geschichte zur Normalität gehören. Sie weiß, dass viele Geflüchtet in Thüringen genau das tun oder es vorhaben, sobald sie es können. Aber dann, sagt sie, müsste sie wieder bei null anfangen.

Einen Geschäftsp­lan, mit dem sie sich selbststän­dig machen will, hat sie fertig. Details sind noch nicht spruchreif, nur so viel: Auch hier gibt es Menschen, die helfen. Und sie würde gern noch mehr ehrenamtli­ch arbeiten, im Sport oder im sozialen Bereich. Jeder Mensch braucht ein Zuhause.

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ELENA RAUCH Nasrin Hatamipour floh vor vier Jahren aus dem Iran und lebt heute in Apolda.

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