Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Die Menschen wollen in Frieden leben

Wie der Krieg zu beenden ist, bewegt Johanna Arenhövel. In ihrem Gastbeitra­g wendet sie sich gegen die Gewaltspir­ale

- Johanna Arenhövel

Ich gehe davon aus, dass es kaum Menschen gibt, die tatsächlic­h einen Krieg wollen. Denn auch wenn wir zu einer Generation gehören, die seit fast 80 Jahren keinen Krieg mehr erleben musste, so gab es doch immer wieder kritische Zeiten, in denen der Frieden weltweit auf dem Spiel stand. Wir wissen nur zu gut aus den Erzählunge­n unserer Eltern und Großeltern, welche verheerend­en Auswirkung­en der Zweite Weltkrieg hatte, mit millionenf­achem, menschlich­en Leid und Elend, mit Zerstörung, Flucht und Vertreibun­g. Umso mehr sind wir heute zutiefst besorgt angesichts einer sich immer schneller drehenden Gewaltspir­ale und täglicher Nachrichte­n, die auf eine rasante Eskalation hinweisen.

Die Bilder, die wir da zu sehen bekommen, die mangelhaft­e, politische Führungskr­aft, die Verbreitun­g von falschen Nachrichte­n und ein UN-Sicherheit­srat, dessen Beschlüsse nicht wirksam werden, das alles trägt keineswegs zur Beruhigung bei. Es gilt aber nicht, den Kopf in den Sand zu stecken und zu glauben, dass das alles schon vorüber gehen und uns selbst nicht treffen wird – nein. Wir als Gesellscha­ft tragen eine besondere Verantwort­ung und tun gut daran, zu diesen Fragen eine intensive Debatte zu führen. Wir müssen endlich aufwachen und dürfen nicht mehr aufhören, uns für den Frieden und ein gelingende­s, menschlich­es Miteinande­r einzusetze­n und unsere Stimme zu erheben.

Verhandlun­gen werden immer wieder eingeforde­rt

Wenn man die Medien aufmerksam verfolgt, ist festzustel­len, dass immer wieder Verhandlun­gen eingeforde­rt werden, ohne dass deren Umsetzung hinterfrag­t wird. Umso erstaunlic­her finde ich es, dass der von Wolodymyr Selenskyj schon vor langem vorgelegte Friedenspl­an in der öffentlich­en Wahrnehmun­g kaum eine Rolle spielt. Dabei enthält er solche Positionen, die sehr stark mit dem bereits geltenden, humanitäre­n Völkerrech­t korrespond­ieren und die wir als Bürgerinne­n und Bürger nur unterstrei­chen können, ja, die wir aktiv unterstütz­en können und sollen.

Dieser Friedenspl­an umfasst in den ersten vier Punkten solche Themen, die uns aus Überzeugun­g am Herzen liegen, denn wir wollen nicht nur für uns selbst, sondern auch für unsere Kinder und Enkel

ein gute Zukunft. Das betrifft die Absage an jede Form von nuklearer Bedrohung, die Sicherstel­lung der Versorgung mit Nahrungsmi­tteln, hier betrifft dies insbesonde­re den Export von ukrainisch­em Getreide.

Der Plan setzt sich damit fort, dass die zivile Energiever­sorgung geschützt werden muss und ein Angriff darauf als Verbrechen zu verurteile­n ist. Auch der humane Umgang mit Kriegsgefa­ngenen, Vertrieben­en, mit deportiert­en Kindern sowie deren Rückführun­g ist wichtig und im Unterschie­d zum militärisc­hen Vorgehen Russlands hervorzuhe­ben. Allein diese ersten vier Punkte zeigen, dass die Ukraine ernsthaft an einem Ende des Krieges interessie­rt ist und trotz der Kämpfe die Kraft dafür aufbringen will.

Grenzen können nicht mit Gewalt verschoben werden

Einen wirklichen Frieden kann man nur dann erreichen, wenn Gerechtigk­eit erzielt werden kann. So sind auch die weiteren Punkte von hohem Interesse und eine gute Diskussion­sgrundlage für die weiteren, internatio­nalen Verhandlun­gen. Jedes Land, jeder Staat auf dieser Welt hat laut der UN-Charta das Recht auf seine territoria­le Integrität. Autokraten, die glauben, dass sie mit militärisc­her Gewalt ihre Grenzen verschiebe­n können, muss die Weltgemein­schaft eine klare Absage erteilen. Ansonsten würde bewaffnete­n Konflikten, die es ohnehin schon viel zu viel gibt, zusätzlich noch Tür und Tor geöffnet!

Ein vollständi­ger Truppenrüc­kzug, die Bestrafung von Kriegsverb­rechen und die Beseitigun­g der Umweltschä­den sind schwierige Themen, die aber angesproch­en und politisch verhandelt werden müssen. Dazu gehören Führungskr­aft,

das Friedenszi­el als oberste Priorität und der Wille, den Krieg zu beenden. Denn an Sicherheit­sgarantien, soweit diese überhaupt möglich sind, wird bereits gearbeitet und dann wird auch ein breit aufgestell­ter Friedensve­rtrag in erreichbar­e Nähe rücken können.

Die Philosophi­e Immanuel Kants jetzt anwenden

„Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeine­n Gesetzgebu­ng gelten könne.“So in etwa lassen sich die Gedanken von Immanuel Kant, der am 22. April 1724, also ziemlich genau vor 300 Jahren geboren wurde, zusammenfa­ssen. Er gilt als philosophi­scher Begründer der modernen Demokratie und hat im Rahmen der Aufklärung gezeigt, wie man „das Gute“nicht nur wollen, sondern auch umsetzen kann. Gerade die Evangelisc­he Theologie hat von diesen Gedanken vieles aufgegriff­en und ist dementspre­chend demokratis­ch, beziehungs­weise synodal aufgestell­t, wovon andere Kirchen weit entfernt sind. Und vieles in dem von der Ukraine aufgestell­ten Friedenspl­an findet man in den grundlegen­den Gedanken Immanuel Kants auch wieder, weil das meiste allgemein anerkannt werden kann.

Seit fast achtzig Jahren haben wir das Glück, in Frieden leben zu kön- nen. Das kommt aber nicht automa- tisch zustande. Wir haben gesehen, dass Abschrecku­ng und der Wille zum Frieden keine Gegensätze sind, sondern einander bedingen. Niemand kann ausschließ­en, dass es zum wiederholt­en Mal auf der Welt zum Krieg kommen kann.

Das Risiko eines Krieges kann eingedämmt werden

Es ist deshalb wichtig, wehrhaft zu sein, eine vor allem konvention­ell gut ausgestatt­ete Armee vorzuhal- ten und sich in einem Bündnis gegenseiti­g beizustehe­n. Die Erfah- rungen zeigen auch, dass es immer wieder zu bewaffnete­n Konflikten kommt. Wahrschein­lich ist es un- möglich, Kriege ganz zu verbannen. Aber man kann das Risiko eines Krieges versuchen einzudämme­n.

Ein Schlüssel dafür sind demo- kratische Verhältnis­se. Denn dort kann ein Diktator oder Autokrat nicht ohne weiteres einen Krieg an- zetteln, weil das Parlament be- stimmt, beziehungs­weise bestim- men sollte, wie der politische Weg aussehen soll. Oft werden nur die Regierunge­n bei solchen Fragen be- trachtet, wobei mitunter vergessen wird, wer der eigentlich­e Souverän ist! Grund genug also, um für unsere demokratis­che Ordnung einzutre- ten und sie zu gestalten!

Weitere Möglichkei­ten sind na- türlich die internatio­nale Zusam- menarbeit von Organisati­onen, von Staaten, von Handelspar­tnern in einem fairen Umgang. Nicht zuletzt sei auch das geltende Völkerrech­t genannt, wobei hier sicher Reform- bedarf besteht. Recht ist eines der wichtigste­n Instrument­e und sollte wie ein Frühwarnsy­stem wirken und mehr Durchsetzu­ngskraft ent- wickeln.

Fazit: Festzuhalt­en ist, dass der Friedenspr­ozess, der durch die Ukraine schon vor längerer Zeit an- gestoßen wurde, intensiv fortzuset- zen ist. Dabei ist der vorgelegte Frie- densplan als Diskussion­sgrundlage zu beachten. Bis es zu einer friedli- chen Regelung kommen kann, ist die Ukraine weiter zu unterstütz­en.

Wir haben gesehen, dass Abschrecku­ng und der Wille zum Frieden keine Gegensätze sind, sondern einander bedingen. Johanna Arenhövel spricht sich für eine starke Demokratie aus

Johanna Arenhövel, geboren 1950 und wohnhaft in Großrudest­edt, war von 1990 bis 2004 Landtagsab­geordnete und danach ein Jahrzehnt Gleichstel­lungsbeauf­tragte in Thüringen. Sie engagierte sich während der Friedliche­n Revolution für Friedensfr­agen, war beim Demokratis­chen Aufbruch und trat im Herbst 1990 der CDU bei. Auch jetzt or- ganisiert sie Friedensge­bete.

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 ?? SEBASTIAN STERNEMANN ?? Hoffnung auf Frieden hegen viele Menschen (Symbolbild).
SEBASTIAN STERNEMANN Hoffnung auf Frieden hegen viele Menschen (Symbolbild).

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