Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Kutsche ohne Pferde – aber mit zehn PS
Dirk Trommler kehrt mit einem Elektrogefährt in der Optik einer klassischen Droschke auf den Bock zurück
Die neugierigen Blicke waren ihm gewiss. Viele Passanten stoppten und hoben den Daumen, abends konnte Dirk Trommler zig nette Nachrichten auf seinem Handy lesen. Die Aufmerksamkeit galt seiner Jungfernfahrt mit einer nagelneuen E-Kutsche, die am Donnerstag direkt vom Hersteller aus Landshut angeliefert worden ist. Ganz ohne Pferde entspricht sie einem Mehrspänner, denn das Gefährt hat 10 Pferdestärken.
Tierschutz-Vorschriften werden immer strenger
Im Jahr 2021 hatte Dirk Trommler seine Fahrten mit der Postkutsche eingestellt und alles abgemeldet. Immer überbordender seien die Anforderungen geworden, vor alle die Reglementierungen, wie lange die Pferde unterwegs sein dürfen. Beispielsweise zählten zuletzt auch die Anfahrten mit zur Arbeitszeit der Tiere, sodass von zu Hause bis zum Zeitpunkt, da die Kutsche losfahren konnte, bei Dirk Trommler bereits eineinhalb Stunden auf der „Stechuhr“standen. Und nach vier Stunden wurde die erste Pause fällig.
Also verkaufte er seine Pferde, wobei er Sara und Jonas immer noch regelmäßig in der Nähe von Münster besucht und eine Stute im Seebad Lubmin ebenso in guten Händen weiß wie einen Wallach in Isseroda.
Bereits um das Jahr 2010 hatte der Kutscher aus Leidenschaft Ausschau nach Alternativen gehalten, wollte sich dafür wappnen, dass seine Pferde einmal krankheitsbedingt ausfallen könnten. Allerdings wollte ein Hersteller aus der Fränkischen Schweiz neben dem kompletten Kaufpreis für eine Kutsche mit leisem Verbrennermotor ein Franchise-System, das Zusatzkosten verursacht hätte. Interesse weckten bei Dirk Trommler auch kleine E-Busse aus Klagenfurt. Allerdings war seinerzeit das Ladenetz in Weimar noch zu schlecht, sagt er rückblickend. „Die Idee schwirrte aber immer durch meinen Kopf.“
Das absolut leise Gefährt aus Landshut hat natürlich auch einen besseren Akku, als es noch vor mehr als zehn Jahren der Fall war. Damit kommt die E-Kutsche rund 70 Kilometer weit, kann per „Ökotaste“konstant auf Schrittgeschwindigkeit gehalten werden oder maximal 25 Kilometer pro
Stunde schaffen. Für die Passagiere sei das Gefühl wie in einer richtigen alten Droschke. Höhe, Breite und Länge entsprechen den Originalen, ebenso die eine Tonne Gewicht und die Federung. Dirk Trommler indes muss sich umstellen: Er hat jetzt ein Holzlenkrad statt Zügel und Armaturen aus dem maritimen Bereich, damit diese auch wasserfest sind. Ansonsten ist er für sein Comeback auf dem Bock bestens gewappnet: Seinen Zylinder hat er aufgehoben, ebenso seine Mäntel für Sommer, Winter und Regen sowie die obligatorische Fliege, nur die Peitsche kann er künftig zu Hause lassen.
Prüfung für den Taxischein musste bestanden werden
Für die elektrischen Kutschfahrten musste der 53-Jährige noch einmal die Unterrichtsbank drücken, die Prüfung für den Taxi- und Mietwagenschein bestehen und nachweisen, dass sein Punktekonto in Flensburg nicht über Gebühr belastet ist. Bevor er Fahrgäste mitnehmen darf, bedarf es noch einer abschließenden Genehmigung von der Stadt. Voraussichtlich um Himmelfahrt könne er wohl loslegen, sagt Dirk Trommler.
Mit Anja Schaarschmidt stellt eine weitere aus dem Stadtbild bekannte Kutscherin um. Ihre E-Kutsche wird derzeit noch restauriert sowie technisch auf den neusten Stand gebracht und soll ab Juli startklar sein.