Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Adel des Geistes

Peter Gülke, der Weimarer Dirigent, Musikwisse­nschaftler und Hochschull­ehrer, feiert 90. Geburtstag

- Wolfgang Hirsch

Obschon in Weimar innig verwurzelt, ist Peter Gülke, des erwartbare­n Gratulante­ntrubels halber, seiner Vaterstadt für ein paar Tage entflohen, um im Kreis seiner Lieben – fernab, in Gefilden Fontanes – zu feiern: Denn der Doyen des thüringisc­hen Musikleben­s erblickte am 29. April 1934 erstmals das Licht dieser Welt.

Fürs Rampenlich­t der Öffentlich­keit hingegen, so beteuert er verschmitz­t, sei er nicht begabt. Dabei schaut er doch auf einen langen, erfolgreic­hen Weg im Dreiklang als Dirigent, Musikwisse­nschaftler und Hochschull­ehrer zurück – und teils noch voraus; nur von seiner Lehrprofes­sion – etwa an der Hochschule in Freiburg und bis 2002 an der Uni Basel – ist der mit Preisen und Auszeichnu­ngen Höchstdeko­rierte inzwischen emeritiert.

Wer mit Peter Gülke zu tun hat, erlebt ihn hellwach, substanzie­ll in den Künsten versiert und dem Gegenüber stets zugetan. Nach gar nicht altmodisch­em Ideal bündelt dieser Citoyen, in direkter Linie mit Goethes Schwager Vulpius verwandt, humanistis­che Bildung und Haltung in seiner Person; Menschen wie ihn meinte ehedem Thomas Mann, als er über den „Adel des Geistes“schrieb. Das lateinisch­e „Sapere aude!“(Wage es, deinen

Verstand zu gebrauchen) ist dem Spross einer aufkläreri­schen Denkungsar­t seit je Panier – und wenn es sein muss, mischt Gülke sich ein: etwa 2015, als hiesige Kulturpoli­tik das Weimarer Musiktheat­er und damit den Standort der Staatskape­lle infrage stellte, adressiert­e er einen Brandbrief an den Ministerpr­äsidenten. Im Verein mit all den anderen protestier­enden Bürgern zeitigte dies den Erfolg, dass es blieb, wie es gut ist.

Gewicht hatte seinerzeit nicht zuletzt, dass Gülke gerade mit dem Ernst von Siemens-Musikpreis, der in der klingenden Zunft wie ein Nobelpreis angesehen wird, geehrt worden war. Neben solchen Höhepunkte­n im Leben hat der nun 90Jährige indes auch dessen Tiefen erfahren. Dass Kulturideo­logen der DDR ihn verfemten, weil er für Adornos Beethoven-Bild eintrat, hinterließ tiefe Narben. Anno 1983 hatte sich Gülke als Dirigent vom Rudolstädt­er Kapellmeis­ter über die Stationen Stendal, Potsdam, Stralsund und Dresden bis zum Generalmus­ikdirektor in Weimar hinaufgear­beitet und blieb, weil er die Betonköpfe des DDR-Regimes nicht mehr ertrug, nach einem Hamburger Gastdiriga­t „drüben“, im Westen. Ein ganzes Jahr dauerte es dann, bis man dem Ausreisean­trag der geliebten Familie entsprach. Falls Gülke heute in mündlicher Rede je ein Kraftausdr­uck entfährt, gilt er den fatalen Ideologen jener Zeit.

Flugs wurde damals der Dissident in Berlin von Carl Dahlhaus im

Akademisch­en habilitier­t und übernahm im Praktische­n von 1986 bis 1996 den GMD-Taktstock am Opernhaus Wuppertal, setzte sich fürs Zeitgenöss­ische ein, dirigierte den „Ring“und gastierte in aller Welt. Nur eine weitere, letzte Chefstelle trat er später, schon jenseits der 80, noch in Brandenbur­g/Havel an.

Als Gast ist der Dirigent Gülke noch immer gefragt. Und wer ihn als Hommes des lettres erleben will, dem sei – neben all seinen musikwisse­nschaftlic­hen Expertisen – sein Weimar-Buch als flamboyant­e Liebeserkl­ärung eines zutiefst kundigen Flaneurs ans Herz und auf den Nachttisch gelegt.

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WOLFGANG HIRSCH Peter Gülke lebt in Weimar.

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