Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Schmuckstü­ck Platte?

DDR-Siedlungen sind nun auch für den Denkmalsch­utz ein Thema

- David Hutzler

So richtig verstehen will Angela Langwald das Schreiben noch nicht, das ihrer Wohnungsba­ugenossens­chaft jüngst ins Haus flatterte. Sechs Millionen Euro waren für die Sanierung von 150 Wohnungen in Gera eingeplant. Ein Außenaufzu­g, Südbalkons, moderne Grundrisse, solche Dinge. Doch seit Anfang 2024 stehen die beiden Häuser unter Denkmalsch­utz. Eines davon sei ein Rundbau, das sei noch eher verständli­ch, so die Chefin der Genossensc­haft. Aber das angrenzend­e? „Das ist eine typisch graue Waschbeton­platte. Wir wollten sie anmalen. Aber jetzt bleibt sie so.“

Alleine zwischen 1970 und 1990 sind auf dem Gebiet der ehemaligen DDR laut Statistisc­hem Bundesamt 1,9 Millionen Wohnungen neu gebaut worden. Der Großteil davon in typisierte­r Plattenbau­weise in großen Wohnsiedlu­ngen an den Stadtrände­rn. Die Platte erfreute sich damals großer Beliebthei­t. Heute sind viele Wohnungen nicht mehr auf der Höhe der Zeit und – wenn nicht schon passiert – sanierungs­bedürftig. Für Denkmalsch­ützer bedeutet das auch: Der Originalbe­stand, der auch Zeugnis der DDR-Alltagskul­tur ist, droht zu verschwind­en.

In den vergangene­n Jahren sind daher immer wieder Wohnkomple­xe oder Gebäude in Plattenbau­weise unter Denkmalsch­utz gestellt worden: in Rostock etwa ein Terrassenh­aus im Stadtteil Evershagen, eine Hochhaussi­edlung in Neubranden­burg, ein Eckhaus in Bernau bei Berlin oder ein Wohnhaus im Dresdner Stadtteil Gorbitz. Vergangene­n Sommer kamen Teile der in den 1960er-Jahren geplanten sozialisti­schen Großstadt Halle-Neustadt hinzu. Im Februar 2024 folgte dort ein weiterer Wohnblock.

Dass industrial­isierte Alltagsarc­hitektur aus DDR-Zeiten unter Denkmalsch­utz gestellt wird, ist zwar kein neues Phänomen, wie der Bauhistori­ker Mark Escherich erklärt. Der zweite Bauabschni­tt der Karl-Marx-Allee in Berlin sei etwa schon 1990 – damals auf DDR-Initiative – als Ensemble unter Schutz gestellt worden. Nach der Wende hätten sich die Denkmalsch­ützer aber zunächst auf die Rettung der Altstädte fokussiert. Lange Zeit seien nur ikonische Bauwerke aus der Nachkriegs­zeit in die Denkmallis­ten eingetrage­n worden. Die universitä­re Szene habe schon früh gefordert, die Bestände systematis­ch zu erfassen und eine Art „Arche-NoahBesatz­ung“zu erhalten, die ein repräsenta­tives Bild der DDR-Alltagskul­tur widerspieg­elt. „Aber damit waren wir die jungen Wilden. Richtig gegriffen hat das lange Zeit nicht“, sagt Escherich, der seit 2021 auch die Denkmalsch­utzbehörde in Erfurt leitet. Inzwischen sei aber eine Verknappun­g eingetrete­n, imter:

weniger Objekte seien noch im Originalzu­stand. „Jetzt geht es um die letzten Exemplare.“

Ähnliches berichtet sein Kollege Klaus Jestaedt vom Amt für Denkmalpfl­ege in Leipzig: „Es ist schon deutlich geschrumpf­t, was überhaupt noch als DDR-Platte erkenntlic­h ist. Was nicht übersanier­t wurde, keine neuen Dächer, Wärmedämmu­ng oder Anstriche bekommen hat.“Lange Zeit hätten die Großplatte­nsiedlunge­n ab den 1970er-Jahren nicht im Fokus der Denkmalpfl­ege gestanden. Vor 30 Jahren sei es noch undenkbar gewesen, solche Bauten unter Schutz zu stellen. Heute sei die Akzeptanz aber deutlich höher: „Das hat auch etwas mit ,Ostalgie‘ zu tun und damit, dass DDR-Themen gerade ein bisschen gehypt sind.“

Von dieser steigenden Akzeptanz berichten auch Landesdenk­malämIn Berlin hätten sich etwa Bürgerinit­iativen und Nachbarsch­aftsverein­e gegründet, um sich beim Erhalt ihres Wohnumfeld­es einzubring­en, so das dortige Amt. Auch das Thüringer Landesdenk­malamt berichtet von positiven Rückmeldun­gen, „dass endlich die bauliche und architekto­nische Leistung der Bürger der ehemaligen DDR eine entspreche­nde Wertschätz­ung erfährt und differenzi­erter betrachtet wird“. Es gebe aber auch kritische Stimmen. Eine solche ist Frank Emrich, Geschäftsf­ührer des Verbands Thüringer Wohnungs- und Immobilien­wirtschaft. Er könne verstehen, dass man historisch­e Entwicklun­gen für künftige Generation­en sichtbar machen wolle. „Es gibt auch Fassadenge­staltungen, die das wirklich wert sind“– wie eine Giebelfass­ade mit einer aufgehende­n Sonne in Gera. Insgesamt stünden etwa fünf Prozent der 265.000 Wohnungen, für die der Verband steht, unter Denkmalsch­utz.

Aber er beobachte mit Sorge, dass der Denkmalsch­utz nun vermehrt große Wohnblöcke in den Blick nehme. „Das ist eine neuere Entwicklun­g. Und das findet in der Regel dann statt, wenn man irgendetwa­s an dem Gebäude machen will und es einen Bauantrag gibt.“Emrich spricht von einem Zielkonfli­kt: Zum einen werde Klimaneutr­alität gefordert, energetisc­he Sanierunge­n, Wärmedämmu­ng, Barrierefr­eimer heit und vieles mehr. „Aber wie sollen wir das machen, wenn jetzt auch noch der Denkmalsch­utz kommt?“Am Ende litten auch die Mieter, wenn sie etwa höhere Heizkosten als nötig bezahlen müssten.

Denkmalpfl­eger Escherich möchte solche Bedenken ein Stück weit ausräumen. „Es geht in den meisten Fällen um Denkmalens­embles und die groben städtebaul­ichen Merkmale: die Fassadenbi­lder, Kubaturen, Freifläche­n und Gartenanla­gen.“Auch eine äußere Wärmedämmu­ng sei in so einem Zusammenha­ng noch machbar, sofern die Außenansic­ht nicht zu sehr leide. In seltenen Fällen gehe es um Einzeldenk­male, bei denen auch die Innengesta­ltung geschützt ist.

Auch bei den beiden Wohnblöcke­n in Gera, die eigentlich saniert werden sollten, geht es laut Landesdenk­malamt vor allem um die Außenansic­hten. Ein Innenaufzu­g sei denkbar, veränderte Grundrisse – bis auf in einer Musterwohn­ung – auch. Den plant nun die Genossensc­haft vor Ort. Wärmedämmu­ng sei ohnehin kein Thema, weil die Platten noch eine gute Kerndämmun­g hätten, so Chefin Langwald.

Aber in Städten wie Gera, wo alles andere als Wohnungsno­t herrscht, gehe es auch um Wohnkomfor­t. Schon jetzt stehe die Hälfte der Wohnungen leer. „Wenn wir gar nichts machen, haben wir ein leeres Denkmal da stehen.“

Das hat auch etwas mit „Ostalgie“zu tun und damit, dass DDR-Themen gerade ein bisschen gehypt sind. Klaus Jestaedt Amt für Denkmalpfl­ege in Leipzig

 ?? MARTIN SCHUTT / DPA ?? Ein Plattenbau in der Rudolstädt­er Straße in Gera Lusan, der mittlerwei­le unter Denkmalsch­utz steht.
MARTIN SCHUTT / DPA Ein Plattenbau in der Rudolstädt­er Straße in Gera Lusan, der mittlerwei­le unter Denkmalsch­utz steht.

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