Thüringische Landeszeitung (Weimar)
„Die innere Unendlichkeit entdecken“
Mit Songs von Rio Reiser gastiert der Selig-Frontmann Jan Plewka in Weimar. Wir haben vorab mit ihm gesprochen
Rio Reiser begleitet ihn schon durch sein ganzes Leben: Jan Plewka, auch bekannt als Frontmann der Hamburger Rockband „Selig“, kennt sich aus mit den Argumenten, denen der Ton-SteineScherben-Sänger seinerzeit Ausdruck verliehen hat. Und stellt sie in den heutigen Diskurs. Zusammen mit Band und Rio-Reiser-Songs im Gepäck gastiert Jan Plewka am kommenden Dienstag, 14. Mai, im Köstritzer Spiegelzelt in Weimar. Wir haben mit ihm gesprochen.
Was verbindet Sie eigentlich mit Rio Reiser?
Ich bin seit meinem 12. oder 13. Lebensjahr Rio-Reiser-Fan. Als das erste Mal die Nadel auf das Vinyl ging und die Töne der Scherben und Rios Stimme erklangen, war das wie eine Injektion. Das hat sich bis zum heutigen Tage nicht gelegt. Rio ist so etwas wie ein Zeitgeist-Engel, der immer über mir ist. Seine Lieder, seine Worte und Utopien begleiten mich durch mein Leben und mein Seelenleben.
Rio Reiser war bekanntlich keine unpolitische Person. Sehen Sie Musik gerade als probates Mittel, in politisch turbulenten Zeiten etwas zu bewegen?
Auf jeden Fall. Das zeigen uns Dota Kehr, Danger Dan und wie sie alle heißen. Wir können auf die Konzerte gehen und diese Lieder hören, die von Kunstfreiheit und vom Aufheben vom Grenzen handeln. Dann schaut man sich um im Saal, und Tausende andere singen die Texte mit. Und man merkt, wir sind nicht allein. Das ist eine Energie, die die Welt verändern kann.
Was brauchen die Menschen in solchen Zeiten eher: politische Auseinandersetzung oder Ablenkung? Rauch-Haus-Song oder Junimond? Rio Reiser ist wohl irgendwo dazwischen.
Es gibt kaum jemanden, der Romantik und Politik so zusammenbringen, authentisch und wesentlich singen und leben konnte wie Rio Reiser. Seine Meinung vom Miteinander tut der Zeit gerade sehr gut. Allerdings werde ich nicht Rio Reiser spielen und singen. Ich habe seine Argumente übernommen und singe sie als Jan Plewka.
Rio Reiser begleitete Sie schon von Kindesbeinen an. Abseits davon, was ist Ihre persönliche Hitliste, die Sie durch das Leben trägt?
Das sind ganze Genres.
Ich nehme an, es geht in Richtung Rockmusik. Grunge?
Ja, das war in den 90ern. Dann kam eine Zeit lang Indie-Folk, dann Bossa-Nova und Jazz, gerade ist es französisches Chanson.
Das ist alles handgemachte Musik. Ist diese, wie man so oft hört, auf einem absteigenden Ast?
Nein, ich glaube, je krasser die Künstliche Intelligenz wird, umso organischer dürfen wir werden. Der Wunsch nach Sinnlichkeit, nach dem wirklich Menschgemachten, der wird immer größer.
Sie sind nicht zum ersten Mal in Weimar, wenn Sie am Dienstag auf der Bühne im Spiegelzelt stehen.
Nein, ich bin fast alle zwei Jahre im Spiegelzelt. Meine stärkste Erinnerung
an Weimar ist, wie ich damals auf der Premiere des Faust im DNT gewesen bin. Als Marek Harloff 2001 den jüngsten Mephisto seit Menschengedenken gespielt hat und Thomas Thieme als Faust auf der Bühne stand. Eines meiner schönsten Fotos ist, wie ich mit Marek Harloff vor dem Goethe- und Schiller-Denkmal stand. Anschließend haben wir mit unserer damaligen Band „TempEau“, in der Marek Harloff sang, im E-Werk gespielt. Was hingegen ein Trauma für den Rest meines Lebens sein wird, ist, wie ich den sabbernden Friedrich Nietzsche gesehen habe im Nietzsche-Archiv.
Sie sind Friedrich-Nietzsche-Fan?
Ja, er hat so eine unglaubliche Wortgewalt. Nietzsche war vor allem ein großer Schreiber.
Sie sind auch Frontmann der Band „Selig“. Spielt Nietzsche in den Texten eine Rolle?
Nein, aber ich hatte eine Band, die hieß „Zinoba“. Da war Nietzsche mit dabei. Sogar mit einem Zitat: „Seid, was ihr scheint.“
Was ist Ihre Inspiration für Selig-Texte?
Das ist das eigene Leid. Das schöne bei Rio Reiser ist, ich kann einfach seine Argumente übernehmen. Bei Selig war es so, dass ich von Beginn an zu meinen Dämonen tauchen musste. Und sie versucht habe, zu beschreiben. Selig ist etwas sehr Persönliches.
Wenn Sie König von Deutschland wären, was würden Sie ändern?
Ich würde ein Jahr Pause verschreiben. Für alle, die da sind. Ein Jahr nicht in den Urlaub ins Ausland fliegen, sondern in den Wald nach nebenan. Ein Jahr nichts machen. Ein Jahr Pause, damit sich unsere Umwelt und das Miteinander regenerieren können. Ein Jahr Stillstand – in sich gehen, die innere Unendlichkeit entdecken, damit wir besser mit der äußeren Unendlichkeit umgehen können.
Jan Plewka singt Rio Reiser, Teil 2: Dienstag, 14. Mai, 20 Uhr, im Köstritzer Spiegelzelt auf dem Weimarer Beethovenplatz. Tickets gibt es im Internet unter www.ticketshop-thueringen.de