Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Das kleine Bäckerei-Wunder von Kranichfeld
Nach dem plötzlichen Tod von Veit Flassig Ende Dezember hat seine Witwe Katrin Achilles Laden wieder eröffnet
Die erste Woche lief noch nicht ganz reibungslos: „Mal ist einen Tag das Brot nichts geworden, an einem anderen war der Kuchen nicht perfekt, aber das kann am Anfang mal passieren“, zieht Katrin Achilles eine erste Bilanz. Viel entscheidender ist jedoch die Tatsache, dass es seit 7. Mai überhaupt wieder Brot und Brötchen und Kuchen „made in Kranichfeld“gibt: Der Laden mit Backstube in der Alexanderstraße hat wieder geöffnet. Nach dem plötzlichen Tod von Bäcker und Betreiber Veit Flassig und angesichts der generell immer kleiner werdenden Zahl an kleinen, handwerklichen Bäckereien darf man den Neustart in der Zweiburgenstadt nach mehreren Monaten Schließzeit durchaus als ein kleines Wunder bezeichnen.
Ingeborg Okker hatte die Bäckerei 1984 gegründet, der Betrieb erarbeitete sich durch die Qualität seiner Backwaren über die Jahre einen Ruf über die Kreisgrenzen hinaus. Als sich in der Familie keine Nachfolge fand, übernahm der aus einer Erfurter Bäckerfamilie stammende, angestellte Bäcker Veit Flassig das Ruder, pachtete Laden und Backstube, mietete dazu auch die Wohnung in einem Gebäude auf dem Okker-Grundstück.
Am Tag der Trauer kommt die Zusage aus Erfurt
Seit Sommer 2016 leitete er den Betrieb auch ohne Meisterbrief – wegen seiner langjährigen Berufserfahrung als Geselle bekam er von der Handwerkskammer eine Ausnahmegenehmigung. Wenige Monate später, im Oktober, zog seine Familie mit nach Kranichfeld: Katrin Achilles, mit der er seit Jahren
ohne Trauschein zusammenlebte, und die 2014 geborenen, gemeinsamen Zwillinge.
Diese private und berufliche Erfolgsgeschichte endete abrupt in einer Katastrophe. Am 30. Dezember 2023, dem vorletzten Tag des vergangenen Jahres. „Noch im selben Monat war er zum Check-Up beim Arzt gewesen, und alles war in Ordnung“, erinnert sich Katrin Achilles. Der 59-Jährige sei ein typischer Workaholic gewesen, auch an jenem verhängnisvollen Tag mitten in den Betriebsferien zwischen Weihnachtszeit und neuem Jahr habe man seine innere Unruhe gespürt. Für einige Erledigungen fuhr er los – und erlitt in Weimar, zu Fuß
unterwegs, einen Herzinfarkt. Rettungskräfte waren schnell vor Ort, aber letztlich kämpften auch die Ärzte in der Klinik vergebens um sein Leben.
„Wir hatten für Silvester ein bisschen Knallzeug geholt“, so Katrin Achilles. „Er sagte noch: Komm, wir heben für meinen 60. Geburtstag drei Raketen auf.“Die ließ die jetzt knapp 48-Jährige dann auch tatsächlich an jenem Donnerstag zusammen mit den Zwillingen im Gedenken an Veit Flassig in den Himmel steigen. Kaum zu fassen, dass an jenem Tag auch die Weichen für die Zukunft der Bäckerei gestellt wurden: André Helmke sagte zu, als angestellter Bäckermeister und
Technischer Betriebsleiter das Ruder in der Backstube zu übernehmen. Über Facebook hatte Katrin Achilles bei ihm angefragt, man kannte sich schon länger. Denn Helmke entstammt auch einer alten Erfurter Bäcker-Familie und hatte in seiner Ausbildung eine Menge von Veit Flassig gelernt, der damals als Geselle in dem Betrieb arbeitete. Der Kontakt blieb über die Jahre erhalten.
Schwere Wochen lagen damals hinter Katrin Achilles: „Ich kämpfte quasi an drei Fronten“, erinnert sie sich. Für die Familie musste es irgendwie weitergehen, sie wollte den Bäckerbetrieb („sein Baby!“) unbedingt erhalten, und es gab diverse
Probleme rund um das Erbe des Verstorbenen zu klären – die beiden waren, wie erwähnt, nicht verheiratet.
Eines der Probleme, denen sie sich stellen musste: Mit Veit Flassigs Tod und die Betriebsunterbrechung erlosch der bis dahin geltende Bestandsschutz in Bezug auf diverse geltende Standards. „Wir mussten Fliesen neu versiegeln, eine neue Decke einbauen, Fenster und Türen abschleifen, neue Spüle, neue Tische“, zählt Katrin Achilles auf. Mit „wir“meint sie eine Gruppe von Freunden, „ohne die wir es niemals geschafft hätten. Teilweise haben hier sechs bis sieben Leute gleichzeitig gemalert und Zeug geschleppt.“Die letzten finanziellen Rücklagen der EU-Rentnerin gingen für die Vorbereitungen zum Neustart drauf.
André Helmke, 48 Jahre alt, hatte keinen einfachen Einstieg: Herz der Kranichfelder Bäckerei ist nämlich ein mehr als 60 Jahre alter, gemauerter Steinofen. „Den muss man erst ganz genau kennen lernen, das ging Veit damals genauso“, sagt Katrin Achilles. „Aber der Ofen bringt eben auch die ganz besondere Qualität.“Die kehre jetzt zurück: „Jeden Tag ein Stück mehr.“Helmkes Schicht beginnt jede Nacht um 23 Uhr.
Mit der gelernten Konditorin Bettina Schilling fand Katrin Achilles eine zweite Fachkraft, dazu Lena Reinemann als Verkäuferin mit Vollzeit-Stelle. Die Witwe, auf die jetzt der Pachtvertrag läuft, kümmert sich um Planung, Buchhaltung und hilft im Verkauf aus, allerdings darf sie als Rentnerin maximal 15 Stunden pro Woche offiziell arbeiten. Geöffnet hat der Laden mit Café dienstags bis freitags 6 bis 17 Uhr, samstags 6 bis 10 Uhr.