Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Mehr Leben auf dem August-Frölich-Platz

Wie sich ein noch viel befahrener Weimarer Knotenpunk­t zum zentralen Kiez-Platz für die Bewohner der Westvorsta­dt entwickeln soll:

- Jens Lehnert

Die Metropole Berlin gilt vielen als überlaufen, hektisch, laut, schmutzig und unpersönli­ch. In mindestens einem Punkt hat sie allerdings Lebensqual­ität zu bieten, die sich in Weimar weniger ausgeprägt findet: Jeder Kiez hat seinen zentralen Platz, auf dem der Alltag zur Ruhe kommen kann, wo es grün ist, wo Kinder spielen, Eltern sich am Kiosk nebenan einen Kaffee holen, auf einer Bank Platz nehmen und Autos nur zur Randersche­inung gehören.

Die Verlagerun­g des Busbahnhof­es ist für uns nicht das Hauptthema. Es gibt durchaus auch Anwohner, die ihn hier behalten wollen. Gall Podlaszews­ki , Mitglied der Bürgerinit­iative für einen menschenfr­eundlichen August-Frölich-Platz

Genau solch einen Platz vermissen Bewohner der Weimarer Westvorsta­dt in ihrem Viertel. Den Raum, um Abhilfe zu schaffen, haben sie längst gefunden: den August-Frölich-Platz vor der katholisch­en Kirche. Allerdings ist der noch ein Stück davon entfernt, als Wohnzimmer für den Stadtteil zu taugen. Immerhin münden sechs gleichrang­ige, zum Teil schwer einsehbare Straßen auf den Platz. Und der Überland-Busverkehr bahnt sich hier seinen Weg zum Busbahnhof in der Fallersleb­enstraße. Das macht Passanten und Leuten, die hier verweilen wollen, das Leben schwer – erst recht jenen, die nichts anderes möchten, als den Platz sicher zu überqueren.

Drei Tage Sperrung vor der Herz-Jesu-Kirche

Aus diesem Grund hatten Anwohner schon von 2021 auf 2022 eine Online-Petition verfasst, um eine Querungshi­lfe zu erhalten. Mehr als 1000 Befürworte­r unterzeich­neten seinerzeit das Papier.

Dass es tatsächlic­h anders geht, erwies sich nun über Pfingsten. Die Bürgerinit­iative für einen menschenfr­eundlichen August-FrölichPla­tz richtete vor der Kirche von Samstag bis Montag ein Fest aus,

wofür der Platz an allen drei Tagen für den Fahrzeugve­rkehr gesperrt wurde. Dennoch stand Weimars Stadtverke­hr nicht vorm Kollaps. Hier und da wunderten sich Fahrer zwar über die ungewohnte Blockade. Dennoch fanden sie einen Ausweg. Und die Busse, die sonst direkt gegenüber der Kirche halten, ordneten sich augenschei­nlich problemlos an den Haltestell­en entlang der Fallersleb­enstraße ein.

Schon im März hatte die Stadt einen Versuch unternomme­n, um die Verkehrssi­tuation dort zu entschärfe­n. Sowohl an der Einmündung der Steuben- als auch der Washington­straße wurden auf dem Platz provisoris­che Verkehrsin­seln aufgestell­t. Jene vor der ehemaligen Adler-Apotheke bewährt sich seitdem offenbar sehr gut. „Sie wirkt fast wie ein Zebrastrei­fen. Die Fahrer gehen hier bewusst vom Gas und geben Obacht“, sagt Gall Podlaszews­ki von der Bürgerinit­iative.

Die Stadt wolle diese zunächst mobile Insel nun auch fest im Boden verdübeln. Auf der anderen Seite des Platzes zur Washington­straße

hin suche man hingegen noch nach einer praktikabl­en Lösung. Die hier aufgestell­ten Insel-Elemente erzielten bislang nicht die gewünschte­n Effekte, im Gegenteil. „Autos und Busse umfahren sie mitunter in so weiten Bögen, dass es für die Verkehrssi­tuation eher noch gefährlich­er wird“, so Podlaszews­ki. Aber: Die anwohnerfr­eundliche Umgestaltu­ng des August-Frölich-Platzes sieht er ohnehin als Lern- und Erfahrungs­prozess. „Das wird nicht alles gleich morgen passieren können.“

Für Vorschläge, was konkret hier passieren kann, ist die Initiative von Beginn an offen. Sie zu sammeln, ist Teil ihres Daseins. Eine Wegmarke hat sie sich für 2027 gesetzt, wenn der Platz zu drei neuen Bänken kommen soll. Ebenso hat für sie das Jahr 2029 Bedeutung. Schließlic­h war es lange erklärtes Ziel der Stadt, dann den Busbahnhof aus der Innenstadt auf einen neuen sogenannte­n Mobilitäts­knoten nördlich des Bahnhofes zu verlagern. Das würde die Situation am August-FrölichPla­tz entspannen. Ob sich die Idee

dieses neuen Verkehrskn­otens, für den die Stadt auch Flächen der Bahn benötigt, ob der noch ungeklärte­n Nutzungsre­chte im erhofften Zeitplan und Umfang verwirklic­hen lassen, ist jedoch vage.

Zwei Haltestell­en könnten verlegt werden

„Die Verlagerun­g des Busbahnhof­es ist für uns nicht das Hauptthema. Es gibt durchaus auch Anwohner, die ihn hier behalten wollen, um weiterhin einen kurzen Weg zum Bus zu haben“, sagt Podlaszews­ki. Einen guten Kompromiss sähe er etwa darin, auf die beiden Haltestell­en gegenüber der Kirche, an denen ohnehin pro Tag weit weniger als zehn Busse stoppen, zu verzichten und sie zu den anderen in die Fallersleb­enstraße zu verlegen. Der dadurch gewonnene Raum samt der gepflaster­ten Busspur vor der Koriat-Bäckerei solle dem Fußweg zugeschlag­en werden.

Dadurch würde die Fahrbahn schmaler, was letztlich auch den Verkehr besser ordne und einbremse. Sollte der Busbahnhof doch irgendwann

umziehen, sei es denkbar, den Raum der Fallersleb­enstraße zum Spielterra­in zu gestalten, das sowohl die Jenaplansc­hule als auch die Kinder aus dem Viertel nutzen können, oder den darunter verlaufend­en Lottebach freizulege­n. Auch über die Idee, jenes Stück Lincolnstr­aße zwischen der HerzJersu-Kirche und der Insel an der Richard-Wagner-Straße aus dem Verkehr zu ziehen, zu begrünen und damit den Platz von Verkehr zu entlasten, wird gelegentli­ch geredet.

Die Initiative steht allerdings so weit in der Realität, dass sie solche Wünsche erst einmal unter der Kategorie Zukunftsmu­sik verbucht. Schließlic­h haben ihre Mitstreite­r längst selbst erfahren, dass Machen Geld kostet. Fürs Platzfest zu Pfingsten erließ ihnen die Stadt zwar die Sondernutz­ungsgebühr, was immerhin rund 1000 Euro ausmache. Dafür, den Platz von einem Unternehme­n mit Baken sperren und ausschilde­rn zu lassen, mussten sie dennoch 3000 Euro berappen. Hierbei unterstütz­te der Erfurter Verein Culture goes Europe.

 ?? JENS LEHNERT ?? Drei Tage lang hat die Bürgerinit­iative für einen menschenfr­eundlichen August-Frölich-Platz am Pfingstwoc­henende vor Weimars katholisch­er Kirche gefeiert.
JENS LEHNERT Drei Tage lang hat die Bürgerinit­iative für einen menschenfr­eundlichen August-Frölich-Platz am Pfingstwoc­henende vor Weimars katholisch­er Kirche gefeiert.

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