Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
Die Schäfer rund um Ohrd
Die Schäfer rund um Ohrdruf lieben Humor. Scherzhaft sagen sie zu Michael Meister, der schon als Kind nur Schäfer werden wollte: Geh du mal als Erster raus, dann sind die Wölfe satt, wenn wir mit unsern Schafen kommen.
Als ob das lustig wäre. Michael Meister aus Mühlberg lehnt am Gatterzaun des Stalls, der weit ist wie ein Fußballfeld, und ringt mit dem Lachen. Hinter seinem Rücken fressen und blöken an die zwölfhundert Schafe. Manche glotzen wie in Stein gehauen. Die Winterscheunenwochen sind vorbei, ab heute geht es ins Freie – wo der Wolf jagt.
„Ich bin fast jedes Jahr der erste“, sagt Michael Meister. „Aber dieses Mal habe ich Bauchschmerzen, das erste Mal. Weil ich nicht weiß, was mich da oben erwartet. Ich weiß nicht, wie die Wölfe reagieren. Ob sie gleich am ersten Tag angreifen. Ich glaube, sie warten erst mal drei, vier Tage. Die laufen erst mal ihr Revier ab. Dann wissen sie, wo es was zu holen gibt.“
Neben der Wölfin, die im Mai vor vier Jahren nach Ohrdruf kam, und ihren drei einjährigen Mischlingsjungen, die noch nicht erschossen wurden, sind wohl vor wenigen Tagen weitere Wölfe aus der Lausitz zugewandert. Hinweise gibt es, aber keiner weiß das ganz genau.
Für Michael Meister sind das Details. Er kann die Tage von Ende August nicht vergessen.
Es war Freitag, als ihn spät der Anruf ereilte: Komm mal raus, hier liegen ein paar tote Schafe.
Er fuhr hoch zum Truppengelände von Ohrdruf, wo seine Schafe Gras und Kräuter rupfen. Normal ist, dass Schafe nachts am Boden ruhen, wiederkauend oder schlafend. „Aber die Tiere standen alle da, ganz ruhig, ganz dicht am Zaun. Manchmal hat der Strom geblitzt, wenn sie zu nah waren. Ich habe mich selber über das Verhalten gewundert.“
Drei Schafe waren tot, hinten lag eine Ziege. Nur die verletzten Schafe entdeckte der Schäfer nicht gleich. „Die sind erst langsam aus der Herde rausgekommen, als ich kam“, sagt Meister. „Aus der Kehle lief noch Blut raus, die haben nur geröchelt. Ein paar von denen musste ich totmachen.“
Danach setzte Meister sich ins Auto und wartete. „Ich war sechs Nächte hintereinander draußen.“In Flüsterlautstärke, leiser als Schafe nachts sind, hörte er Musik, das Autoradio war mit einem Tuch verdunkelt. Die Seitenscheibe unten, so lag auf einem Kissen weich sein Arm, darauf sein Kopf. Meister horchte in die Nacht, spähte. Er hörte, wie die Wildschweinrotte hoch, wieder runter und dann in einem weiten Bogen an seiner Herde vorbeizog. Er ahnte den Wolf in der Nähe. Einmal sah er ein Augenpaar funkeln. Er fühlte Wut in sich, kalte Wut.
„Ich wollte das Vieh auf frischer Tat ertappen“, sagt er. „Was ich gemacht hätte, wenn der Wolf gekommen wäre, erzähle