Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

Für jeden Toten eine Skulptur

Belgien erinnert mit spektakulä­rem Kunstproje­kt an das Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren

- Von Sabine Glaubitz

Ypern. Ihr Rücken ist gebeugt, sie tragen Metallmark­en, auf denen der Name eines Toten steht. 600 000 Tonskulptu­ren erinnern in der Nähe der belgischen Kleinstadt Ypern daran, dass dort während des Ersten Weltkriegs über eine halbe Million Menschen ums Leben gekommen sind. „Comingworl­drememberm­e“heißt die monumental­e Landart-installati­on des belgischen Künstlers Koen Vanmechele­n. Sie ist eines der Kunst- und Kulturproj­ekte, mit denen in Belgien an das Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren erinnert wird – und an die Sinnlosigk­eit des Blutvergie­ßens.

Soweit das Auge reicht: kleine Tonfiguren, Rücken an Rücken und in der Mitte ein großes aufgesprun­genes Bronze-ei. Vier Jahre hat der Konzeptkün­stler an der Installati­on „Comingworl­drememberm­e“(etwa: Kommende Welt erinnere dich an mich) gearbeitet. Geholfen haben ihm dabei Tausende von Menschen. Zwischen 2014 und 2018 beteiligte­n sich Ateliers in etlichen Ländern an der Herstellun­g der kleinen Tonfiguren.

Das Engagement der Menschen sei erstaunlic­h gewesen, sagte der 52Jährige. Man habe Workshops organisier­t, vor allem in Belgien, aber auch in Kanada, England und Deutschlan­d.

Auf der Metallmark­e der Tonfigur steht nicht nur der Name eines Toten. Auch den Namen desjenigen, der die menschlich­e Lehm-gestalt geformt hat, wurde eingravier­t. Dadurch würden Vergangenh­eit und Gegenwart miteinande­r verbunden, erklärt Vanmechele­n. Oder, wie der Künstler sagt: „Die Zukunft hängt von den vergessene­n Erinnerung­en ab.“Heute gebe es eine Generation, die nicht mehr wisse, was Krieg bedeute.

Kette von Friedensbo­oten fährt an der Küste entlang

Die 600 000 Tonfiguren stehen dort, wo Briten und Franzosen gegen Deutsche kämpften, und wo der erste Einsatz von Giftgas stattfand. Am 22. April 1915 gaben die Deutschen den Befehl zum Chlorgas-angriff. An das Grauen erinnern heute Mahnmale, Soldatenfr­iedhöfe und das Flanders Fields Museum im Zentrum der Stadt. Dort hat man vor Jahren begonnen, die Namen aller Kriegstote­n zu sammeln.

Beim Aufbau des Kunstwerks auf einer über zwei Hektar großen Fläche haben zwischen 4000 und 5000 Menschen geholfen. Zwei Monate lang seien etwa 15000 Tonfiguren täglich platziert worden, bei Regen und Schnee, erzählt Vanmechele­n. Bis zum 11. November – das Datum markiert das Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren – kann die Installati­on nun von Besuchern begangen werden.

In Flandern dient die Erinnerung an den „Großen Krieg“seit langem als Mahnung zum Frieden. In diesem Jahr sind weitere Botschafte­n geplant, darunter eine Kette von 6000 kleinen Booten mit Friedensna­chrichten, die auf 27 Kilometern entlang der belgischen Nordseeküs­te fahren sollen, und das Musikfesti­val „Frieden in der Welt“in Ypern am 25. August.

 ??  ?? Koen Vanmechele­n bei der Eröffnung seiner Kunstinsta­llation „Kommende Welt erinner dich an mich“. Foto: Kurt Desplenter
Koen Vanmechele­n bei der Eröffnung seiner Kunstinsta­llation „Kommende Welt erinner dich an mich“. Foto: Kurt Desplenter

Newspapers in German

Newspapers from Germany