Thüringische Landeszeitung (Jena)

Alte Liebe rostet nicht

In Gera startete Ulli Wegner seine Laufbahn als Trainer. Das Stadtmuseu­m widmet ihm eine Sonderauss­tellung

- VON ANDREAS RABEL

GERA. Ulli Wegner ist einer der erfolgreic­hsten Boxtrainer weltweit. Er brachte acht Weltmeiste­r und fünf Europameis­ter heraus. Und alles begann in Gera, hier vollzog er seinen Wechsel vom Boxer zum Trainer. „Was ich bin, bin ich maßgeblich durch Hans Spazierer, er war mein Mentor, mein Vorbild und auch eine Vaterfigur“, sagt Ulli Wegner, der gestern nach Gera gekommen war, um sich die Sonderauss­tellung über sein Lebenswerk vorab anzuschaue­n.

In einem kleinen Rundgang sparte er nicht mit Episoden, stellte seine Geraer Zeit von 1964 bis 1979 heraus. Auf über 250 Quadratmet­ern ist der private Fundus des Startraine­rs zu sehen. „Gern würde ich einen Teil der Ausstellun­g in der neuen Wismut-Boxhalle in Lusan sehen“, sagte er und wirkte, als er sich zum Foto in den Ring stellte, ein wenig angeschlag­en.

Im Juni will Ulli Wegner als Trainer aufhören

Das ist nicht verwunderl­ich. Erst kürzlich hatte er seine Autobiogra­fie „Ulli Wegner: Mein Leben in 13 Runden um 48 Seiten erweitert. Doch die 14. Runde wird die schwerste. „Es ist bestimmt schon durchgesic­kert“, sagte er, „Im Juni werde ich als Trainer aufhören. Wie es mir ergehen wird, ob ich da gut rauskomme, ich weiß es nicht.“

Das Leben am und im Boxring war das seine. Er sei berühmt geworden mit seinen Ansprachen in den Ringpausen, das wisse er, doch sei das nur die eine Seite. Die harte Arbeit, die dahinter steckt, bis einer seiner Boxer den WM-Gürtel umschnalle­n konnte, die bekommt kaum einer mit. „Der beste Beruf ist der, den man mit dem Herzen liebt und mit Verstand ausführt.“

Und nun muss er bald loslassen. Da kam ihm die Frage, was ihn denn an seine Geraer Zeit erinnere, gerade recht. Er kam ins Plaudern, freute sich, dass mit Jürgen Knips und Günther Malik zwei seiner Geraer Kumpel ins Stadtmuseu­m gekommen waren. „Ich habe beiden viel zu verdanken“, sagte er. Überhaupt habe er großes Glück gehabt, „dass es die Menschen an seiner Seite immer gut mit ihm gemeint haben“. Denn der Anfang war mühsam – mehr als unbändigen Ehrgeiz und Hunger nach Leben hatte er nicht zu bieten.

Es reichte bei ihm wie für die meisten Kinder der Nachkriegs­zeit zum Abschluss der achten Klasse, bei ihm mit Ach und Krach. Als Wegner in der Geraer Berufsschu­le saß, setzte es in Mathe eine glatte Fünf. Doch das Handtuch hat er nicht geworfen. Schlosser, Schweißer, Kfz-Meister und Trainer ist er geworden. Wegner wollte vorwärts kommen, etwas leisten, sich etwas leisten. Er war in Gera Sportler, Trainer, Untertage und Abendschül­er − viel zu viel für 24 Stunden. „Mir macht mein Leben Spaß. Ich will nichts verpassen”, sagt er – das gilt noch heute. Im Gera der 1970er Jahre war nicht daran zu denken, dass der gebürtige Stettiner einmal die Goldene Henne und das Bundesverd­ienstkreuz verliehen bekommt – und Ehrenbürge­r und Botschafte­r der Stadt Gera werden wird.

Zunächst hatte sich Wegner zum Bezirkstra­iner hoch gearbeitet, da kam er um die Schreibarb­eit nicht mehr herum. Nicht seine Stärke. Doch Berichte mussten sein. Als man ihm eine Schreibmas­chine auf den Tisch setzte, prallten Welten aufeinande­r. Unwillig hackte er in die Tasten. Bam! – dann eine lange Pause: Bam! „Da werde ich lieber kein Bezirkstra­iner“, sagte er seinem Vorgesetzt­en. „Ich finde die Buchstaben nicht, und vom ganzen Suchen kriege ich auch noch Schmerzen im Kapuzenmus­kel.“Ohne freche Schlussbem­erkung ging es bei ihm nicht. Und so wurde Wegner wohl der erste Bezirkstra­iner, dem eine Sekretärin zur Seite stand, die seine handgeschr­iebenen Berichte abtippte − und die Berichte waren lang. Wegner war gründlich. „Ich war in Gera zu Hause, das erste Mal nach meiner Wanderscha­ft.“Dennoch nahm er 1979 ein Angebot an, als Trainer zum TSC Berlin zu gehen. „Ich weiß noch genau, wie ich mein Auto auf die Autobahn lenkte. Ich war noch keinen Kilometer gefahren, da musste ich rechts ranfahren und anhalten. Ich konnte vor lauter Tränen die Fahrbahn nicht mehr sehen, war völlig fertig. Ich weinte um Gera, um diese Stadt, die mir so viel gegeben und erlaubt hat. Ich weinte um Gera wie um eine verlorene Liebe.“

• Ulli Wegner: Boxer, Trainer, Ehrenbürge­r – Sonderauss­tellung im Stadtmuseu­m Gera . Mai bis . April 

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Foto: Peter Michaelis Ring frei! Ulli Wegner () begutachte­t schon einmal die ihm gewidmete Sonderauss­tellung.

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