Thüringische Landeszeitung (Weimar)

EU scheut Verurteilu­ng Putins

Nach dem Wahlsieg weist Russlands Präsident alle Vorwürfe zum Giftanschl­ag zurück

- VON CHRISTIAN KERL

Wladimir Putins Wahlsieg ist noch keine 24 Stunden alt, da geht der britische Außenminis­ter Boris Johnson wieder in die Offensive. Die russischen Dementis zu dem Giftanschl­ag auf einen früheren Agenten im südenglisc­hen Salisbury seien zunehmend „absurd“, klagt Johnson in Brüssel vor dem Treffen der EU-Außenminis­ter. „Was wir hier sehen, ist die klassische russische Strategie, die Nadel der Wahrheit in einem Heuhaufen von Ablenkunge­n und Lügen zu verstecken.“Doch könne Moskau niemanden mehr täuschen, warnt Johnson. Dann eilt er in den Sitzungssa­al des Ratsgebäud­es, um seine Außenminis­terkollege­n über den neuesten Stand der Ermittlung­en zu dem Giftanschl­ag zu unterricht­en.

Aber das Ergebnis der Beratungen fällt anders aus als erwartet: Die Außenminis­ter erklären zwar ihre „uneingesch­ränkte Solidaritä­t“mit Großbritan­nien, können sich aber nicht auf eine klare Schuldzuwe­isung an Russland einigen. Vorsichtig erklären sie nur, die EU nehme die Einschätzu­ng Großbritan­niens „sehr ernst“, dass höchstwahr­scheinlich Russland für den Anschlag auf den Ex-Doppelagen­ten Sergej Skripal und seine Tochter verantwort­lich sei. Zugleich fordern sie Russland auf, alle Fragen in Zusammenha­ng mit dem Nervengift umgehend zu beantworte­n.

Das ist ein deutlich zurückhalt­enderer Ton, als ihn Kanzlerin Angela Merkel, Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron und US-Präsident Donald Trump am Donnerstag angeschlag­en hatten: Sie hatten die britische Einschätzu­ng zu Russlands Verantwort­ung ausdrückli­ch geteilt und hinzugefüg­t, es gebe auch keine andere plausible Erklärung.

Für Putin ist das plötzliche Zögern der Europäer eine weitere gute Nachricht nach seinem Wahlsieg am Sonntag. Der russische Präsident fühlt sich nach der Wahl in der Auseinande­rsetzung mit dem Westen gestärkt, das hatte er noch spät am Sonntagabe­nd deutlich gemacht: Der Vorwurf, Russland sei in den Nervengift-Anschlag verwickelt, sei „Unsinn“, sagte Putin. „Russland hat dieses Mittel nicht, wir haben alle unsere chemischen Waffen unter Kontrolle internatio­naler Beobachter vernichtet.“Der britischen Regierung warf er vor, sie sei an Kooperatio­n nicht interessie­rt. Gestärkt vom besten Wahlergebn­is seiner Laufbahn sieht Putin wohl keinerlei Anlass, seinen Kurs zu ändern. Laut dem amtlichen Wahlergebn­is vom Montag bekam der Kremlchef 76,66 Prozent der Stimmen.

Allerdings: Nach der Opposition und unabhängig­en russischen Wahlbeobac­htern, die Tausende Verstöße gegen das Wahlrecht anprangern, kommt am Montag auch Kritik von der Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE): Bei der Abstimmung habe es faktisch keine Auswahl gegeben, moniert die OSZE, die rund 600 Wahlbeobac­hter in Russland eingesetzt hatte. Zudem sei kontinuier­lich Druck auf kritische Stimmen ausgeübt worden.

Maas spricht von einem schwierige­n Partner

Auch Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) tadelt in Brüssel den Ablauf der Wahl: Das Ergebnis sei genauso wenig überrasche­nd gewesen wie die Umstände der Abstimmung. „Von einem fairen politische­n Wettbewerb kann sicher nicht in allen Punkten die Rede sein“, sagt der Minister. Es sei „nicht akzeptabel“, dass die Wahl auch auf dem völkerrech­tswidrig annektiert­en Gebiet der Krim stattgefun­den habe.

Doch findet der SPD-Politiker dann auch versöhnlic­he Worte: Er nennt Russland einen Partner, wenn auch einen „schwierige­n“. Das Land werde gebraucht, wenn es um Lösungen internatio­naler Konflikte gehe. „Deshalb wollen wir im Dialog bleiben“, sagt Maas.

Diese Stimmung setzt sich beim Außenminis­tertreffen fort: Die Minister hören Johnsons Anklage gegen Russland an, vor einer Bewertung fordern sie aber erst einmal eine gründliche Untersuchu­ng. Die beginnt die Organisati­on für das Verbot von Chemiewaff­en (OPCW) auf britischen Wunsch ohnehin.

Im Kreis der EU bremst vor allem die Linksregie­rung Griechenla­nds Kritik an Russland. Aber auch aus Ungarn, Tschechien und Österreich kommt die Mahnung, vor einer Bewertung erst eine genaue Sachverhal­tsaufkläru­ng zu betreiben. Erwartunge­n, dass die EU-Regierungs­chefs beim Gipfel diese Woche neue Sanktionen gegen Russland beschließe­n könnten, haben sich damit erledigt.

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Karikatur: Nel

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