Post-Covid: Womit Patienten im Alltag zu kämpfen haben
Wie geht es Menschen, die unter Post- Covid leiden? Womit kämpfen sie im Alltag? Und was hilft ihnen? Die Leiter von Selbsthilfegruppen berichten.
TRIER/MAINZ Ihr Leiden vollzieht sich im Stillen. Wenn sie überfordert vor der vollen Spülmaschine stehen, wenn ihnen vorm Käseregal die Kraft ausgeht und auf der Treppe die Luft. Oder wenn im Gespräch plötzlich die Worte fehlen.
Zigtausende Rheinland-Pfälzer leiden noch Monate und inzwischen gar Jahre nach einer Covid-Erkrankung weiter unter verschiedensten Symptomen. Post-Covid nennt sich das, wenn solche Folgeerscheinungen länger als zwölf Wochen andauern.
Wie geht es diesen Menschen? Was bewegt sie? Und was hilft ihnen? Das wollten wir wissen und sind bei der Suche nach Antworten auf Timo Hay gestoßen. Der 48-jährige Vulkaneifeler leitet in Ulmen gemeinsam mit einer Betroffenen die bisher einzige reine Selbsthifegruppe der Umgebung für Post-Covid-Patienten und möchte in Trier eine weitere gründen (mehr dazu am Ende des Textes).
Rund 40 Menschen kommen – auch aus der Region Trier – zu den Selbsthilfetreffen nach Ulmen. Etwa drei Viertel von ihnen seien Frauen,
berichtet Hay, der sich über die Post-Covid-Erkrankung seiner Frau zunächst in einer Selbsthilfegruppe in Kastellaun (Hunsrück) engagierte, ehe er in der Eifel eine eigene gründete. Es seien sehr viele Kranke dabei, die sich zwischen November 2020 und Februar 2021 infiziert hatten. Da seien die wenigsten schon geimpft gewesen.
„Es gibt für die Betroffenen zwei große Probleme“, sagt Hay stellvertretend für die Patienten, die seiner Auskunft nach kein Interesse haben, mit der Presse zu sprechen. Zum einen, weil es Kraft kostet. Zum anderen, weil sie mit ihren Problemen nicht in der Öffentlichkeit stehen möchten.
Das erste große Problem für die Betroffenen: die Krankheit selbst mit ihren mehr als 200 möglichen Symptomen. Müdigkeit und Erschöpfung begleiten viele tagein, tagaus. „Die Leute sind nicht leistungsfähig“, sagt Hay. „Sie schlafen sehr lange und sehr viel, sind aber nicht erholt.“
Manche stehen auf, gehen ins Bad und seien schon nach der Dusche so erschöpft, dass sie sich wieder hinlegen müssen. „Viele kriegen ihren
Alltag und ihren Haushalt nicht mehr geregelt“, sagt Hay. „An Arbeiten ist da oft gar nicht zu denken!“Einige seien krankheitsbedingt nun schon länger aus dem Beruf raus.
Andere hätten Probleme mit Lunge und Luft, mit Gelenkschmerzen, Schwindel, Haarausfall, Konzentrationsund Wortfindungsstörungen, Vergesslichkeit ... die Liste der Einschränkungen ist lang. Schwer, vielleicht noch schwerer wiegt auch:
Das zweite große Problem für die Betroffenen: „Man wird nicht ernst genommen“, sagt Hay. Von der Gesellschaft. Selbst von Familie und Freunden. Man sehe den Leuten ja nicht an, dass sie krank sind. „Wenn jemand den Arm in Gips hat, dann heißt es: Och, Du armes Ding!“. Nicht für voll genommen zu werden, das sei ein ganz großer Kampf und Krampf mit dieser Krankheit.
Auch im Kontakt mit Ärzten. Da gehe man mit Gelenkschmerzen zum Rheumatologen – und der könne nichts feststellen. Und mit den Lungenproblemen zum Pneumologen – und der könne nichts feststellen. Im Resultat werde sehr viel auf die Psyche abgeschoben. „Aber das stimmt alles nicht. Long Covid ist eine körperliche und keine psychische Erkrankung“, betont Hay.
Von Odysseen, die Patienten erleiden, berichtet auch der ehemalige Konzer Hausarzt, Dr. med. Hansjoerg Lucas, der seit Jahren Selbsthilfegruppen für Menschen mit chronischen Schmerzen und chronischer Müdigkeit betreut – von denen es seit der Corona-Pandemie immer mehr gibt. „Die sehr bizarren Krankheitsbilder werden in der Praxis oft fälschlicherweise als psychosomatische Leiden interpretiert“, sagt auch er.
Ein weiteres Problem in Sachen Ärzte: Es gibt viel zu wenige. Genau wie Hay und Lucas berichtet auch Ursula Martini, die eine der von Lucas erwähnten Selbsthilfegruppen in Trier leitet, von „einem Wahnsinns-Notstand bei den Ärzten“, von Wartezeiten für Facharzttermine, die ein halbes Jahr schnell überschreiten, von überforderten Hausärzten oder von speziellen Therapien, die nirgends in der Region zu bekommen seien.
Alle drei fordern Fortbildungen für Hausärzte und begrüßen es, dass auch in Trier im Oktober eine PostCovid-Ambulanz öffnen soll. „Das ist dringend nötig“, sagt Hay.
Als Teil des zweiten großen Problems sieht er auch, dass Post-CovidBehandlungen teils kontraproduktiv seien. „Viele kommen aus der Reha schlechter raus, als sie reingegangen sind“, kritisiert der Eifeler und führt dies auf große Zahl an Anwendungen zurück, die klassischerweise zu einer Reha gehören. „Die Patienten brauchen aber Ruhe und dürfen nicht von Termin zu Termin gehetzt werden.“
Aber was hilft PostCovidPatienten denn? „Pacing ist ganz, ganz wichtig“, betont Hay. Besonders für Menschen, die unter dem Chronischen Fatigue-Syndrom leiden und für die schon einfachste Alltagsaktivitäten, Reize oder Emotionen zeitversetzt zu einem Zusammenbruch (Crash) führen können. Unter „Pacing“versteht man, sich selbst das richtige Tempo vorzugeben, um schonend mit den eigenen Energieressourcen umzugehen. Im Klartext bedeutet das: Sich zu überlegen, welche Aktivitäten man weglassen, an andere delegieren oder so verändern kann, dass man damit zurechtkommt. Manchen bringe auch Atemtherapie, Ergotherapie oder Hirnleistungstraining Linderung.
In der Selbsthilfegruppe helfe es, das Gefühl zu bekommen: Ich bin nicht alleine. Hier hört man sich zu, versteht die Probleme der anderen, tauscht Tipps für Ärzte und Anträge, für Therapien und Rehas oder die neuesten wissenschaftlichen Studien aus. Und nicht zuletzt helfe es, sich das Problem einfach mal von der Seele zu reden.
Diese Möglichkeit soll bald auch eine neue Selbsthilfegruppe in Trier bieten, die Hay dort gründen möchte. Wer Interesse hat, kann sich melden bei der Selbsthilfe Kontakt- und Informationsstelle in der Region Trier (Sekis), Telefon 0651/141180 oder kontakt@sekis-trier.de
Weitere Infos zum Thema gibt es auf der neuen Webseite: www.postcovid-rlp.de