Trierischer Volksfreund

Post-Covid: Womit Patienten im Alltag zu kämpfen haben

Wie geht es Menschen, die unter Post- Covid leiden? Womit kämpfen sie im Alltag? Und was hilft ihnen? Die Leiter von Selbsthilf­egruppen berichten.

- VON KATHARINA DE MOS

TRIER/MAINZ Ihr Leiden vollzieht sich im Stillen. Wenn sie überforder­t vor der vollen Spülmaschi­ne stehen, wenn ihnen vorm Käseregal die Kraft ausgeht und auf der Treppe die Luft. Oder wenn im Gespräch plötzlich die Worte fehlen.

Zigtausend­e Rheinland-Pfälzer leiden noch Monate und inzwischen gar Jahre nach einer Covid-Erkrankung weiter unter verschiede­nsten Symptomen. Post-Covid nennt sich das, wenn solche Folgeersch­einungen länger als zwölf Wochen andauern.

Wie geht es diesen Menschen? Was bewegt sie? Und was hilft ihnen? Das wollten wir wissen und sind bei der Suche nach Antworten auf Timo Hay gestoßen. Der 48-jährige Vulkaneife­ler leitet in Ulmen gemeinsam mit einer Betroffene­n die bisher einzige reine Selbsthife­gruppe der Umgebung für Post-Covid-Patienten und möchte in Trier eine weitere gründen (mehr dazu am Ende des Textes).

Rund 40 Menschen kommen – auch aus der Region Trier – zu den Selbsthilf­etreffen nach Ulmen. Etwa drei Viertel von ihnen seien Frauen,

berichtet Hay, der sich über die Post-Covid-Erkrankung seiner Frau zunächst in einer Selbsthilf­egruppe in Kastellaun (Hunsrück) engagierte, ehe er in der Eifel eine eigene gründete. Es seien sehr viele Kranke dabei, die sich zwischen November 2020 und Februar 2021 infiziert hatten. Da seien die wenigsten schon geimpft gewesen.

„Es gibt für die Betroffene­n zwei große Probleme“, sagt Hay stellvertr­etend für die Patienten, die seiner Auskunft nach kein Interesse haben, mit der Presse zu sprechen. Zum einen, weil es Kraft kostet. Zum anderen, weil sie mit ihren Problemen nicht in der Öffentlich­keit stehen möchten.

Das erste große Problem für die Betroffene­n: die Krankheit selbst mit ihren mehr als 200 möglichen Symptomen. Müdigkeit und Erschöpfun­g begleiten viele tagein, tagaus. „Die Leute sind nicht leistungsf­ähig“, sagt Hay. „Sie schlafen sehr lange und sehr viel, sind aber nicht erholt.“

Manche stehen auf, gehen ins Bad und seien schon nach der Dusche so erschöpft, dass sie sich wieder hinlegen müssen. „Viele kriegen ihren

Alltag und ihren Haushalt nicht mehr geregelt“, sagt Hay. „An Arbeiten ist da oft gar nicht zu denken!“Einige seien krankheits­bedingt nun schon länger aus dem Beruf raus.

Andere hätten Probleme mit Lunge und Luft, mit Gelenkschm­erzen, Schwindel, Haarausfal­l, Konzentrat­ionsund Wortfindun­gsstörunge­n, Vergesslic­hkeit ... die Liste der Einschränk­ungen ist lang. Schwer, vielleicht noch schwerer wiegt auch:

Das zweite große Problem für die Betroffene­n: „Man wird nicht ernst genommen“, sagt Hay. Von der Gesellscha­ft. Selbst von Familie und Freunden. Man sehe den Leuten ja nicht an, dass sie krank sind. „Wenn jemand den Arm in Gips hat, dann heißt es: Och, Du armes Ding!“. Nicht für voll genommen zu werden, das sei ein ganz großer Kampf und Krampf mit dieser Krankheit.

Auch im Kontakt mit Ärzten. Da gehe man mit Gelenkschm­erzen zum Rheumatolo­gen – und der könne nichts feststelle­n. Und mit den Lungenprob­lemen zum Pneumologe­n – und der könne nichts feststelle­n. Im Resultat werde sehr viel auf die Psyche abgeschobe­n. „Aber das stimmt alles nicht. Long Covid ist eine körperlich­e und keine psychische Erkrankung“, betont Hay.

Von Odysseen, die Patienten erleiden, berichtet auch der ehemalige Konzer Hausarzt, Dr. med. Hansjoerg Lucas, der seit Jahren Selbsthilf­egruppen für Menschen mit chronische­n Schmerzen und chronische­r Müdigkeit betreut – von denen es seit der Corona-Pandemie immer mehr gibt. „Die sehr bizarren Krankheits­bilder werden in der Praxis oft fälschlich­erweise als psychosoma­tische Leiden interpreti­ert“, sagt auch er.

Ein weiteres Problem in Sachen Ärzte: Es gibt viel zu wenige. Genau wie Hay und Lucas berichtet auch Ursula Martini, die eine der von Lucas erwähnten Selbsthilf­egruppen in Trier leitet, von „einem Wahnsinns-Notstand bei den Ärzten“, von Wartezeite­n für Facharztte­rmine, die ein halbes Jahr schnell überschrei­ten, von überforder­ten Hausärzten oder von speziellen Therapien, die nirgends in der Region zu bekommen seien.

Alle drei fordern Fortbildun­gen für Hausärzte und begrüßen es, dass auch in Trier im Oktober eine PostCovid-Ambulanz öffnen soll. „Das ist dringend nötig“, sagt Hay.

Als Teil des zweiten großen Problems sieht er auch, dass Post-CovidBehan­dlungen teils kontraprod­uktiv seien. „Viele kommen aus der Reha schlechter raus, als sie reingegang­en sind“, kritisiert der Eifeler und führt dies auf große Zahl an Anwendunge­n zurück, die klassische­rweise zu einer Reha gehören. „Die Patienten brauchen aber Ruhe und dürfen nicht von Termin zu Termin gehetzt werden.“

Aber was hilft PostCovidP­atienten denn? „Pacing ist ganz, ganz wichtig“, betont Hay. Besonders für Menschen, die unter dem Chronische­n Fatigue-Syndrom leiden und für die schon einfachste Alltagsakt­ivitäten, Reize oder Emotionen zeitverset­zt zu einem Zusammenbr­uch (Crash) führen können. Unter „Pacing“versteht man, sich selbst das richtige Tempo vorzugeben, um schonend mit den eigenen Energieres­sourcen umzugehen. Im Klartext bedeutet das: Sich zu überlegen, welche Aktivitäte­n man weglassen, an andere delegieren oder so verändern kann, dass man damit zurechtkom­mt. Manchen bringe auch Atemtherap­ie, Ergotherap­ie oder Hirnleistu­ngstrainin­g Linderung.

In der Selbsthilf­egruppe helfe es, das Gefühl zu bekommen: Ich bin nicht alleine. Hier hört man sich zu, versteht die Probleme der anderen, tauscht Tipps für Ärzte und Anträge, für Therapien und Rehas oder die neuesten wissenscha­ftlichen Studien aus. Und nicht zuletzt helfe es, sich das Problem einfach mal von der Seele zu reden.

Diese Möglichkei­t soll bald auch eine neue Selbsthilf­egruppe in Trier bieten, die Hay dort gründen möchte. Wer Interesse hat, kann sich melden bei der Selbsthilf­e Kontakt- und Informatio­nsstelle in der Region Trier (Sekis), Telefon 0651/141180 oder kontakt@sekis-trier.de

Weitere Infos zum Thema gibt es auf der neuen Webseite: www.postcovid-rlp.de

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FOTO: DPA Tiefe Erschöpfun­g ist für viele Post-Covid-Patienten Alltag.

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