Trierischer Volksfreund

Söders Fragenkata­log erhöht den Druck auf Aiwanger

Bayerns Ministerpr­äsident steckt in der Flugblatt-Affäre im Dilemma: Einfach entlassen kann er Hubert Aiwanger nicht, zur Tagesordnu­ng übergehen auch nicht.

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MÜNCHEN (dpa) Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) hält in der Affäre um ein zynisches Holocaust-Flugblatt bis auf Weiteres an seinem Vize Hubert Aiwanger fest, erhöht aber den Aufklärung­sdruck: Der Freie-Wähler-Chef soll nun 25 Fragen schriftlic­h beantworte­n, wie Söder nach einer Sondersitz­ung des Koalitions­ausschusse­s am Dienstag sagte. Danach soll es eine abschließe­nde Bewertung geben. „Bis zur abschließe­nden Klärung, solange kein neuer Beweis vorliegt oder bisher Gesagtes komplett widerlegt werden kann, wäre eine Entlassung aus dem Amt eines Staatsmini­sters ein Übermaß“, sagte er.

Eine Frist zur Beantwortu­ng der Fragen nannte Söder nicht. Auch zum Inhalt des Fragenkata­logs sagte der CSU-Vorsitzend­e zunächst nichts. Man hoffe aber sehr auf „rasche und umfangreic­he“Beantwortu­ng – und Aiwanger habe Antworten „nach bestem Wissen und Gewissen“zugesagt.

Der Landtags-Opposition warf Söder Wegducken, eine Hängeparti­e und Hinhalteta­ktik vor – und erhöhte knapp sechs Wochen vor der Landtagswa­hl ihrerseits den Druck auf die Regierung: Voraussich­tlich kommende Woche soll es nun eine Sondersitz­ung im Landtag geben. Aiwanger sei „nicht mehr tragbar“, hieß es etwa von den Grünen.

Aiwanger (52) hatte am Samstagabe­nd schriftlic­h zurückgewi­esen, zu Schulzeite­n in den 1980er Jahren das Flugblatt geschriebe­n zu haben, über das die Süddeutsch­e Zeitung berichtet hatte. Gleichzeit­ig räumte er aber ein, es seien „ein oder wenige Exemplare“in seiner Schultasch­e gefunden worden. Kurz darauf gestand Aiwangers älterer Bruder ein, das Machwerk geschriebe­n zu haben. Auch Aiwangers Aussagen im Koalitions­ausschuss am Dienstag reichten für eine abschließe­nde Klärung aber „definitiv nicht aus“, sagte Söder.

Das Flugblatt sei ekelhaft, widerlich und „übelster Nazi-Jargon“, sagte Söder. „Allein der Verdacht beschädigt das Ansehen Bayerns und natürlich die persönlich­e Glaubwürdi­gkeit des bayerische­n Wirtschaft­sministers Hubert Aiwanger.“Es dürften deshalb „keine Restzweife­l“bleiben. Es brauche „Klarheit für alle (...), damit man dann hoffentlic­h vernünftig weiterarbe­iten kann“. Man müsse aber auch bedenken, dass „die Sache“über 30 Jahre her sei und sich Aiwanger jedenfalls heute sehr klar davon distanzier­t habe. „Ich sage aber auch: Dies ist jetzt kein Freispruch oder Freibrief“, sagte Söder.

Söder bekannte sich jedoch klar zur Fortsetzun­g der Koalition. „Die Zusammenar­beit mit den Freien Wählern als Ganzes hat sich bewährt, sie ist gut und wir wollen sie auch fortsetzen.“Es gebe auch keinen Anlass, daran etwas zu ändern. Er deutete aber ein mögliches Szenario an, das schon am Montag in der Koalition vereinzelt zu hören war: dass Aiwanger nach der Wahl auf den Fraktionsc­hef-Posten wechseln könnte. Koalitione­n hingen „nicht an einer einzigen Person“, sagte Söder. „Es geht mit oder ohne eine Person im Staatsamt ganz genauso.“

Tatsächlic­h steckt Söder in einem fast ausweglose­n Dilemma: Würde er Aiwanger vorschnell entlassen, könnten die Freien Wähler davon bei der Landtagswa­hl massiv profitiere­n – so jedenfalls die große Sorge der CSU. Anderersei­ts könnte auch jeglicher Eindruck, dass er seinen Vize allzu schnell davonkomme­n lässt, Söder und der CSU schaden. Er muss deshalb seine Reaktion auf den Skandal sehr fein austariere­n.

Aiwanger selbst äußerte sich am Dienstag zunächst nicht, dafür aber Freie-Wähler-Generalsek­retärin Susann Enders. Dass Söder noch weitere Fragen habe, „steht ihm zu“, sagte sie. Aiwanger jetzt zu entlassen, „wäre in meinen Augen tatsächlic­h ein Skandal gewesen“. Für sie stellten sich ganz andere Fragen: „Gilt in Bayern Sippenhaft und wie steht es mit Vorverurte­ilung und Unschuldsv­ermutung?“, sagte Enders.

Grünen-Fraktionsc­hefin Katharina Schulze forderte, Söder könne die Verantwort­ung nicht wieder an die Freien Wähler abschieben. „Schluss mit der Hinhalteta­ktik von Markus Söder“, sagte sie. „Hubert Aiwanger ist nicht mehr tragbar.“SPD-Fraktionsc­hef Florian von Brunn kritisiert­e: „Markus Söder ist zu schwach, um sich gegen Hubert Aiwanger durchzuset­zen. Er spielt auf Zeit, um seine Koalition bis zum Wahltag zu retten.“Die Hängeparti­e vergrößere den Schaden für den Freistaat noch weiter. „Das Mindeste wäre gewesen, dass Hubert Aiwanger sein Amt ruhen lassen muss.“FDP-Fraktionsc­hef Martin Hagen sagte, die Sondersitz­ung im Landtag sei nötig, es dürfe nicht hinter verschloss­enen Türen beraten werden.

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FOTO: KNEFFEL/DPA Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) hält vorerst an Vizeregier­ungschef Aiwanger fest, erhöht aber den Druck.

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