Trierischer Volksfreund

Reallöhne sind erstmals seit langem gestiegen

Während der Corona-Pandemie und Inflation haben die meisten Menschen ihre Jobs behalten. Doch das verdiente Geld hat zusehends seine Kaufkraft verloren. Das könnte nun ein Ende nehmen.

- VON CHRISTIAN EBNER

WIESBADEN (dpa) Nach harten Pandemieja­hren wächst die Hoffnung auf eine Kehrtwende bei den Reallöhnen. Sie sind im zweiten Quartal dieses Jahres um 0,1 Prozent gegenüber dem Vorjahresz­eitraum gestiegen, wie das Statistisc­he Bundesamt am Dienstag berichtete. Neben der etwas nachlassen­den Inflation waren es vor allem die vergleichs­weise hohen Tarifabsch­lüsse, die zu einem starken Anwachsen der Nominallöh­ne führten. Sie übertrafen mit einem Plus von 6,6 Prozent die Steigerung­en bei den Verbrauche­rpreisen (6,5 Prozent).

Das hatte es zuletzt im zweiten Quartal 2021 gegeben. In der Jahressich­t

SZ-INFOGRAFIK/Astrid Müller, QUELLE: DESTATIS

sind die Reallöhne bereits seit 2020 rückläufig, als der CoronaScho­ck zu massenhaft­er Kurzarbeit führte. In den vergangene­n zwei Jahren war dann der starke Anstieg der Verbrauche­rpreise der wichtigste Grund für den Reallohn-Schwund. Die Veränderun­g des Reallohns wird berechnet, indem man vom durchschni­ttlichen Zuwachs des nominalen

Q = Quartal Bruttolohn­s den Anstieg der Verbrauche­rpreise abzieht.

Nachdem die Verbrauche­r im Zeichen der energiepre­isgetriebe­nen Inflation ihr Geld zusammenge­halten haben, könnte nun wieder der private Konsum die wirtschaft­liche Entwicklun­g stützen, erwartet die Chef-Volkswirti­n der staatliche­n KfW-Bankengrup­pe, Fritzi Köhler

Geib. Sie rechnet zum Jahresende mit einer Erhöhung der Reallöhne. „Getrieben durch die hohen Preissteig­erungen und den Fachkräfte­mangel erhalten Arbeitnehm­ende im laufenden Jahr die höchsten nominalen Verdiensts­teigerunge­n seit 30 Jahren“, analysiert­e die Ökonomin.

Der nominale Lohnanstie­g um 6,6 Prozent von April bis Juni war der Statistik-Behörde zufolge der stärkste seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 2008. Neben den Tarifabsch­lüssen trugen der zum Oktober 2022 erhöhte Mindestloh­n und die höhere Minijobgre­nze von 520 Euro bei. Mehr Kaufkraft brachte zudem die in vielen Betrieben vereinbart­e Inflations­ausgleichs­prämie.

Geringfügi­g Beschäftig­te wiesen mit 9,7 Prozent die höchsten Lohnsteige­rungen auf. Bei den Branchen legten die Nominallöh­ne besonders zu, wo während der Corona-Krise große Einbrüche registrier­t worden waren: Gastronomi­e (+12,6 Prozent), Verkehr und Lagerei (+10,0 Prozent) sowie der Bereich Kunst, Unterhaltu­ng und Erholung (11,9 Prozent).

Laut einer Analyse der OECD sind während der Pandemie die Nominallöh­ne in fast allen entwickelt­en

Volkswirts­chaften gesunken. Gleichzeit­ig habe sich die Beschäftig­ung inzwischen erholt und zur niedrigste­n Arbeitslos­igkeit seit den frühen 1970er-Jahren geführt. Da es wenige Anzeichen für eine Preis-Lohn-Spirale gibt, rät die OECD zu staatlich kontrollie­rten Mindestlöh­nen und

Tarifverha­ndlungen, um die Kaufkraftv­erluste der Beschäftig­ten abzufedern.

Ob im Gesamtjahr 2023 in Deutschlan­d die Reallöhne höher ausfallen als im Vorjahr, ist für den Leiter Arbeitsmar­ktanalyse am Kieler Institut für Weltwirtsc­haft, Dominik Groll, noch nicht ausgemacht. Er sieht aber eine Trendwende. „Spätestens

im kommenden Jahr werden die Nominallöh­ne aller Voraussich­t nach aber deutlich stärker steigen als die Verbrauche­rpreise. Mit etwas Glück könnten die Reallohnve­rluste, die sich zwischen 2020 und 2022 aufsummier­t haben, dann sogar wettgemach­t sein.“

Die Lücke ist allerdings gewaltig, wie die gewerkscha­ftliche Hans-Böckler-Stiftung mahnt. „Die Reallöhne sind noch weit davon entfernt, den herben inflations­bedingten Einbruch vom Vorjahr wieder aufzuholen“, sagt Tarif- und Einkommens­experte Malte Lübker. Im Vergleich zum zweiten Quartal 2019, also der Zeit vor der Pandemie, seien die Reallöhne um 5,6 Prozent gefallen.

Wenn die Reallöhne 2024 wie erwartet spürbar steigen, gebe das auch für die Konjunktur Anlass zu vorsichtig­em Optimismus, sagte KfW-Ökonomin Köhler-Geib. Die deutsche Wirtschaft­sleistung (BIP) dürfte nach einem Rückgang um 0,4 Prozent im laufenden Jahr wieder wachsen, „wenn auch mit 0,8 Prozent nur mäßig.“

„Getrieben durch die hohen Preissteig­erungen und den Fachkräfte­mangel erhalten Arbeitnehm­ende im laufenden Jahr die höchsten nominalen Verdiensts­teigerunge­n seit 30 Jahren.“

Chef-Volkswirti­n der KfW-Bankengrup­pe

Produktion dieser Seite: Markus Renz, Martin Wittenmeie­r

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