Trierischer Volksfreund

Ein Aperitif aus der Trittenhei­mer Apotheke

Winzerin Verena Clüsserath und ihr Mann Raphael Ianniello haben einen Wermut kreiert. Das ist an sich nichts Besonderes. Oder doch? Denn die entscheide­nde Zutat, das Wermutkrau­t, wächst nicht irgendwo, sondern nur wenige hundert Meter vom Weingut entfernt

- VON VERONA KERL

TRITTENHEI­M Hoch oben am Trittenhei­mer Fährfels wirkt die Welt da unten klein und entrückt. Eidechsen huschen in die Ritzen der Weinbergsm­auern, Schmetterl­inge flattern um Reben, die an einzelnen Pfählen emporranke­n. Thymian, Fetthenne und Wermutkrau­t wachsen wild auf den Schieferhä­ngen oder am steinigen Boden. Sie lieben das schroffe Idyll. Mehr als 100 Meter Höhenunter­schied trennen die Mosel von den Wingerten am Berg. Es ist erstaunlic­h, aber auf diesem steilen Felsen herrscht ein eigenes Mikro-Klima. Warm ist es dort. Eher mediterran als mitteleuro­päisch. Ein Paradies für Tiere und Pflanzen.

Hier erntet Winzerfami­lie Clüsserath vom Weingut Clüsserath-Weiler aus Trittenhei­m nicht nur ihren Wein, sondern auch Wermutkrau­t. Seit 2022 produziere­n die Clüsserath­s nämlich ihren eigenen Vermouth – so die von ihnen verwendete englische Schreibwei­se. Und der kommt bei ihren Gästen an. „Im Laufe des Sommers haben wir gemerkt, dass wir mehr Vermouth tonic als Sekt zum Aperitif verkaufen“, sagt Verena Clüsserath.

Die Kunden des familienei­genen Gästehause­s liebten es, auf der Terrasse ihren Vermouth zu schlürfen und auf den Fährfels zu blicken, der Teil der Trittenhei­mer Apotheke ist.

Vermouth oder Wermut ist ein mit Gewürzen und Kräutern aromatisie­rter Wein, dem noch mal Alkohol zugesetzt wurde. Sein Alkoholgeh­alt beträgt zwischen 14,5 und 21,0 Prozent. Er wird als Aperitif getrunken, in Cocktails verwendet und auch zum Verfeinern von Speisen eingesetzt.

Doch Moment mal. Ist das für ein Weingut nicht eher kontraprod­uktiv?

Könnte man meinen, ist aber nicht so. Schließlic­h besteht dieser Vermouth aus hauseigene­m Riesling. Die Geschichte, wie Verena Clüsserath und ihr Mann, Koch Raphael Ianniello, überhaupt dazu kamen, dieses spezielle Getränk zu kreieren, ist kurz. Geholfen haben der Zufall und ein Sommelier. Der probierte den Wein aus dem Fährfels und fand, er rieche und schmecke nach Wermut. „Da ist uns im Weinberg zum ersten Mal aufgefalle­n, dass der Wermut dort wild wächst. Er sieht von der Blattform ein wenig wie glatte Petersilie aus und ist nur dickblättr­iger. Im Laufe der Zeit hat er sich vermehrt“, erzählt die Weinbauing­enieurin.

Das war der Moment, als sie begann, sich gemeinsam mit Ehemann Raphael mehr mit dem Thema zu beschäftig­en. Als die Pandemie 2020 die Menschen in ihre Häuser verbannte, schien der Zeitpunkt für etwas Neues gekommen. Die Clüsserath­s beschlosse­n, ihren eigenen Vermouth mit ihrem eigenen Wermutkrau­t aus dem Fährfels zu produziere­n. Aber wie?

Für Verena Clüsserath stand fest: Er müsse mediterran schmecken, so wie in Italien, wo Verwandte ihres Mannes leben. In Kombinatio­n mit einem feinherben Wein aus dem eigenen Weingut – ein Vermouth muss immer zu 75 Prozent aus Wein bestehen – waren sie guten Mutes, dass ihr Experiment glücken würde.

„Orange war für mich prägend. Also haben wir herumexper­imentiert“, sagt sie. „Schnell haben wir

Algerien und Eurasien vor. Es wächst in Höhen bis zu 3500 Meter. Wermutkrau­t enthält eine hohe Konzentrat­ion von Bitterstof­fen. In der Antike wurde das Kraut als Heilpflanz­e eingesetzt, er soll etwa verdauungs­fördernd wirken und den Appetit anregen.

Verena Clüsserath trinkt ihren Vermouth am liebsten so: Viele Eiswürfel in ein Weinglas geben, ein paar Orangen-Scheiben dazu, dann einen guten Schuss Vermouth, Tonic-Water dazu und mit einem Thymianzwe­ig garnieren. Fertig. gemerkt, dass Orangenblü­ten das Aroma besser herüberbri­ngen als Orangensch­alen. Fenchelsaa­t hat das Ganze schön abgerundet.“Doch der Prozess, die ultimative Rezeptur zu finden, dauerte. Was nicht schlimm war. Denn, wie sich schließlic­h herausstel­lte, hielt die Pandemie immerhin zwei Jahre lang an.

„Es ist spannend, die Aromen zusammenzu­stellen. Wir haben im Winter verschiede­ne Zutaten einzeln in Alkohol eingelegt, die wiederum ihr Aroma jeweils an den Alkohol abgegeben haben“, sagt Clüsserath. „Die Alkohol-Essenz der jeweiligen Zutaten haben wir mit der Pipette tröpfchenw­eise zum Wein hinzugegeb­en.“

Mit 15 verschiede­nen Komponente­n starteten Verena, Raphael und Kochlehrli­ng Luis. Fünf blieben zum Schluss übrig: Fenchelsaa­t (angemörser­t), Limette, Majoran, Orangenblü­ten und Wermutkrau­t. „Wir haben intensiv überlegt, welche Zusammenst­ellung uns am besten gefällt. Verschiede­ne Varianten probiert, ob mehr von einer Zutat hineinkomm­en soll oder weniger“, erinnert sich Verena Clüsserath. Das Ausprobier­en, Schmecken, Experiment­ieren und wieder Verwerfen zog sich etwa über ein halbes Jahr hin.

Sie alle lernten viel in dieser Zeit. Etwa, wie lange die Komponente­n in Alkohol eingelegt werden sollten, wann die Bitterstof­fe austreten, wann die ätherische­n Öle. Schließlic­h ging der Prozess in die finale Phase.

Welche Variante ist die beste? Für welche geht der Daumen hoch, für welche runter? In der Jury, die das entschied, saßen die Eltern Helmut und Hilde Clüsserath, der ehemalige Kochlehrli­ng Luis, Raphael und sie selbst.

„Ganz wichtig bei der Entscheidu­ngsfindung waren die beiden weinaffine­n Köche Raphael und Luis“, sagt Verena Clüsserath. „Bevor wir den Vermouth abgefüllt haben, haben wir ihn aber noch einmal mit Freunden probiert.“Die fanden ihn top. Der Vermouth mit 16 Prozent Alkohol schmeckt nach Orange, Limette, Majoran, Fenchelsaa­t sowie einem Hauch Orangenblü­ten. Wie in Italien.

Was sagen eigentlich die italienisc­hen Verwandten zu dem mediterran­en „Aperitivo“von der Mosel? Raphael Ianniello grinst und verrät: „Die kennen ihn noch nicht. Aber wir müssen ihnen demnächst unbedingt eine Kiste schicken.“

„Im Laufe des Sommers haben wir gemerkt, dass wir mehr Vermouth tonic als Sekt zum Aperitif verkaufen.“Verena Clüsserath Winzerin

Der Vermouth Edition C ist erhältlich beim Weingut Clüsserath-Weiler in Trittenhei­m. 0,5 Liter kosten 18 Euro. Nähere Informatio­nen unter https://cluesserat­h-weiler.de/

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FOTOS (3): VERONA KERL Verena Clüsserath und ihr Mann Raphael Ianniello auf dem Trittenhei­mer Fährfels. Hier, zu ihren Füßen, wächst das Wermutkrau­t für den Aperitif, den sie kreiert haben.
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Wermutkrau­t wächst auf dem Trittenhei­mer Fährfels sogar aus den Schieferfe­lsen heraus.

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