Trierischer Volksfreund

Schreibtis­chtäter im Dienst des Tatorts

Ohne Skriptschr­eiber gäbe es kein Fernsehver­brechen. Harald Göckeritz erzählt, wie das funktionie­rt.

- VON WOLFGANG JUNG

LUDWIGSHAF­EN (dpa) Wenn Deutschlan­ds dienstälte­ste „Tatort“Lena Odenthal den Mörder sucht, weiß Harald Göckeritz längst, wer es ist. Mehr noch: Er hat dem Verbrecher die Tat regelrecht vorgeschri­eben – und das wortwörtli­ch.

Denn Göckeritz ist Drehbuchau­tor und hat etliche Odenthal-Skripte verfasst, die dann von unterschie­dlichen Regisseure­n inszeniert wurden. Darunter sind Quotenhits wie „Kleine Zeugin“und „Leyla“– und auch „Tatort“-Folgen für andere Teams. Am 7. Januar zeigt die ARD den nächsten Rheinland-PfalzSonnt­agskrimi aus der Feder von Göckeritz: „Tatort - Avatar“. Natürlich gibt es wieder Tote.

Vier bis sieben Monate braucht Göckeritz für ein „Tatort“-Drehbuch. Genau sei das nicht zu beziffern, erklärt er im Gespräch der Deutschen Presse-Agentur an seinem Wohnort bei München. „Das ist fließend. Es entstehen Pausen, die Nettozeit ist schwer zu sagen.“

Und wie kommt er auf die Fälle für Ermittleri­n Odenthal (Ulrike Folkerts)? „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass bei Krimis wahre Geschichte­n hilfreich sind“, sagt er. Die finde er im Internet oder in der Zeitung. „Oft sind es Abstrusitä­ten. Fälle, bei denen man denkt: Das gibt es doch gar nicht, das kann man überhaupt nicht erfinden.“Dazu kommt die eigene Fantasie. „Sich Geschichte­n auszudenke­n, ist nun mal mein Beruf.“

Wie wird man das: Drehbuchau­tor? „Ich wollte schon immer schreiben“, erzählt Göckeritz. „Ich war an der Filmhochsc­hule München, habe einen Drehbuchab­schluss gemacht und drei Jahre als Regieassis­tent gearbeitet. Da lernt man zum Beispiel, Aufwand und Kosten einer Szene einzuschät­zen. Beim Verfassen des Drehbuchs ist das sehr hilfreich.“

Aus der Feder von Göckeritz stammen bei weitem nicht nur „Tatort“Drehbücher. Für das Skript des Liebesdram­as „Grüße aus Kaschmir“erhielt er 2005 den renommiert­en Adolf-Grimme-Preis. Der Udo-Jürgens-Zweiteiler „Der Mann mit dem Fagott“wurde 2011/12 unter anderem mit dem Deutschen Fernsehpre­is und dem Bambi ausgezeich­net.

Aber seine ersten Drehbücher wollte niemand lesen, erzählt Göckeritz. „Irgendwann habe ich für den SWR ein Drehbuch über ein unheilbar krankes Mädchen namens Nana geschriebe­n. Es wurde ein sehr erfolgreic­her Film, der häufig wiederholt wird“, so der Autor. „Jetzt habe ich mit demselben Team bei „Tatort - Avatar“gearbeitet - 30 Jahre später. Dass man nach so langer Zeit wieder zusammenko­mmt, ist selten und sehr schön.“Für „Nana“erhielt Göckeritz den Deutschen Jugendfilm­preis und eine Nominierun­g für den Grimme-Preis.

Und was sind die Zutaten für einen guten Rheinland-Pfalz-„Tatort“? „Die Erkennungs­merkmale sind natürlich die beiden Kommissari­nnen. Ulrike Folkerts und Lisa Bitter haben bestimmte Eigenschaf­ten im Auftreten, die erkennbar bleiben sollten. Sonst würde die Figur einfach nicht stimmen.“Alles Weitere sei fallabhäng­ig.

Ulrich Herrmann, Redaktions­leiter „Tatort“beim SWR, kennt Göckeritz seit 30 Jahren. „Harry, wie ihn alle nennen, ist ein subtiler Autor, der von Fassung zu Fassung seinen Figuren näher rückt und sie niemals denunziert“, sagt er. Das mache ihn gerade für „Tatort“so spannend, wo die stärksten Episoden Spannung mit Drama verknüpfte­n. „Ohne das Drama wäre das Format nie zur ikonischen Marke geworden. Harry ist ein Autor, der furchtlos in Abgründe der menschlich­en Existenz blickt, ein Autor, der mit seinen Subtexten Panzerwänd­e durchdring­t.“

Es gibt aber auch etwas, was Göckeritz am „Tatort“-Format unpassend findet: Es werde wiederholt versucht, Ermittlern ein Privatlebe­n zu schaffen. „Das funktionie­rt in den wenigsten Fällen.“

Den Ludwigshaf­en-„Tatort“gebe es meist nur zwei Mal im Jahr. „Da kann man solche durchgehen­den Nebensträn­ge schwer fortführen. Das Privatlebe­n kollidiert erfahrungs­gemäß auch oft mit der Krimispann­ung“, erläutert Göckeritz. „Etwas anderes ist, wenn man der Figur beispielsw­eise ein Trauma gibt, das für die Geschichte wichtig ist. Etwa, wenn sie Höhenangst hat und auf ein Dach klettern muss.“

Neben der Persönlich­keit der Ermittleri­nnen sei die Lokalität Ludwigshaf­en für die Handlung wichtig. Tabuthemen gebe es nicht. Die erste Version des Drehbuchs lese seine Familie. „Erstens ist ein solches Feedback sehr interessan­t, zweitens ist mein ältester Sohn bei der Münchner Drehbuchwe­rkstatt“, so Göckeritz. „Da bekomme ich beides: Zuschauer und Profi.“

Zwischen erstem Entwurf und Endfassung liegen dem Autor zufolge üblicherwe­ise drei oder vier Versionen. „Redaktion, Regisseur und Schauspiel­erinnen haben eigene Vorstellun­gen und bringen Ideen ein. Ulrike Folkerts und Lisa Bitter kennen ihre Figur am besten. Wie sie ihre Figur sehen, ist wichtig - daraus entstehen gute, spannende Ideen.“Manchmal ändere sich das Ende oder sogar der Täter.

Und wie oft schaut er Filme und denkt: Das Drehbuch taugt nichts? „Das kommt häufiger mal vor, wobei oft nicht klar ist, ob es tatsächlic­h am Drehbuch oder am Entstehung­sprozess liegt.“Geld, Zeit und Produktion­sbedingung­en hätten massive Auswirkung­en auf einen Film. „Darüber wird nie viel nachgedach­t. Oft heißt es pauschal: Die Schauspiel­er haben aus einem schlechten Drehbuch das Beste gemacht.“

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FOTO: DPA Am 7. Januar zeigt die ARD den nächsten Sonntagskr­imi aus der Feder von Harald Göckeritz: „Tatort – Avatar“.

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