Leverkusen blendet die Tabelle aus
Spitzenreiter Bayer 04 muss beim Abstiegskandidaten in Köln ran. Florian Wirtz steht vor dem Derby im Fokus.
Wenn Bayer 04 Leverkusen an diesem Sonntag (15.30 Uhr/Dazn) beim 1. FC Köln antritt, ist die Favoritenrolle klar verteilt. Der Werksklub führt die Liga mit 61 Punkten an, der Rivale aus der Domstadt belegt mit erst 17 Zählern den Relegationsplatz und muss um den Klassenerhalt bangen. Granit Xhaka weiß jedoch, dass das alles nur Theorie ist, wenn diese beiden Mannschaften aufeinandertreffen. „Ein Derby ist ein Derby. Da geht es um viel mehr als die Tabelle“, sagt Leverkusens Mittelfeldchef vor dem 72. Kräftemessen der rheinischen Klubs in der Liga.
Seit 33 Partien hat das Team von Trainer Xabi Alonso nicht verloren. Dass die bislang so souverän durch die Saison siegende Werkself nun beim strauchelnden Konkurrenten aus der Nachbarstadt erstmals Federn lässt, erscheint wenig realistisch. Doch der Außenseiter glaubt naturgemäß an seine Chance. „Es ist möglich, dass wir die Ersten sind. Jede Mannschaft verliert irgendwann“, sagt Thomas Kessler, Leiter der Lizenzspielerabteilung des FC.
Kölns Trainer Timo Schultz ist freilich auch davon überzeugt, gegen Leverkusen etwas holen zu können. Den Fakt, auf eine Mannschaft zu treffen, die seit so langer Zeit ungeschlagen ist, nennt er „eine Herausforderung. Aber es wird ein spezielles Spiel. Wir müssen unangenehm sein. Das können wir.“Unangenehme Erinnerungen kommen derweil bei den Fans von Bayer 04 hoch, wenn sie an das Derby im Mai 2023 zurückdenken. Mit 1:2 mussten sich die Werkself und Alonso im Saisonendspurt den Kölnern geschlagen geben. Zuvor hatte Leverkusen 14 Pflichtspiele nicht verloren. Bayers Serien brechen zu können, hat Köln also schon bewiesen.
Für Florian Wirtz wird die Partie in Müngersdorf indes die dritte als Leverkusener bei seinem einstigen Ausbildungsklub. Viele Fans des FC haben ihm den Wechsel unters Bayer-Kreuz 2020 nach zuvor zehn Jahren in Köln nicht verziehen. Den 20-Jährigen erwartet einmal mehr ein Pfeifkonzert. Doch wenn der deutsche Nationalspieler in dieser Saison eines bewiesen hat, dann, dass er neben all seiner fußballerischen Klasse, seiner Laufbereitschaft und seinem Kämpferherz auch die Qualität mitbringt, sich von derartigen Nebengeräuschen nicht ablenken zu lassen. Wirtz ist trotz seines jungen Alters bereits Antreiber, Anführer und erster Verteidiger zugleich.
Ausgestattet mit einer ansteckenden Siegermentalität, ist er ein zentraler Baustein für den Erfolg in dieser Leverkusener Rekordsaison. Und das Beste aus Sicht all jener, die es mit Bayer halten: Sein Formhoch hält seit Monaten an. „Flo hat die Aktionen, die teilweise aussichtslos aussehen: zum Beispiel sein Treffer gegen Freiburg, das auch Tor des Jahres wurde“, sagt Teamkollege Jonas Hofmann. Was den
Hoffnungsträger für die anstehende EM in Deutschland besonders auszeichnet? „Es ist seine besondere Finesse, der sogenannte tödliche Pass. Er ist immer für eine Aktion gut. Man glaubt es kaum, aber er ist auch mit Ball unheimlich schnell und nur schwer davon zu trennen, schirmt ihn auch gegen körperlich stärkere Gegner super ab und löst sich aus brenzligen Situationen. Für unser Offensivspiel ist er Gold wert.“Alonso ergänzt: „Flo wird von Monat zu Monat reifer.“
Wirtz weckt Begehrlichkeiten. Vater und Berater Hans Wirtz hatte zuletzt aber einmal mehr durchblicken lassen, dass sich sein Sohn in Leverkusen wohl fühle und er ihn bei Bayer auch für die nächsten Jahre gut aufgehoben sehe. Der Vertrag läuft bis 2027. „Die Familie ist für ihn sehr wichtig“, sagt Alonso. „Es sind intelligente Leute, die sehr ruhig und besonnen mit Flos Zukunft umgehen.“Das habe einen positiven Einfluss auf den umworbenen Kreativspieler, betont der 42-Jährige, der selbst immer wieder mit Liverpool und München in Verbindung gebracht wird. „Er hat in Leverkusen eine super Mannschaft und den richtigen Verein.“Der FC war es für Wirtz vor einigen Jahren offensichtlich nicht mehr. Und die Entwicklungen beider Klubs und Mannschaften dürften das Top-Talent in seiner Wechselentscheidung bekräftigt haben.
Doch – frei nach Xhaka – ist ein Derby eben ein Derby. Und auch das muss erst einmal gewonnen werden. Alonso, der mit Liverpool und Madrid als Spieler unzählige Derbys bestritten hat, freut sich schon auf die besondere Atmosphäre. „Es ist schön, diese große Rivalität zu fühlen“, sagt er mit Blick auf die aufgeheizte Stimmung, die er und seine Spieler schon beim Warmmachen am Sonntag spüren werden – und schlägt zugleich versöhnliche Töne an: „Auf dem Platz wollen wir alles geben, neben dem Platz haben wir vollen Respekt für Köln, das Management und die Spieler. Wir wünschen ihnen das Beste, aber natürlich nicht für Sonntag.“