Trierischer Volksfreund

„Wir dulden keine Menschenfe­indlichkei­t und keinen Extremismu­s!“

- DAS INTERVIEW MIT ARIANIT BESIRI FÜHRTE KATJA BERNARDY. Produktion dieser Seite: Stefan Strohm

Arianit Besiri ist Vizepräsid­ent für sozial- und gesellscha­ftspolitis­che Aufgaben und Leiter der Kommission Gesellscha­ftliche Verantwort­ung beim Fußballver­band Rheinland e.V. – und er ist Schiedsric­hter. Kürzlich hat er eine Veranstalt­ung zum Thema „Von einem Ort des Jubels zu einem Ort des Unrechts“initiiert, schnell fand er Kooperatio­nspartner. Zur Veranstalt­ung in der Gedenkstät­te SS-Sonderlage­r/KZ Hinzert kamen junge und alte Menschen miteinande­r ins Gespräch. Was hat sich seit der Enthüllung eines Rechtsextr­emen-Treffens in Potsdam für Besiri verändert, wie wichtig ist die Aufarbeitu­ng der Rolle von Fußballver­einen während der NS-Zeit und stimmt es noch, dass Fußball Menschen integriert? Und wem zeigt der 30-Jährige außerhalb des Spielfelds die Rote Karte?

(kat) Kürzlich hat Arianit Besiri eine Veranstalt­ung zum Thema „Von einem Ort des Jubels zu einem Ort des Unrechts“initiiert, schnell fand er Kooperatio­nspartner. Bei der Veranstalt­ung in der Gedenkstät­te SS-Sonderlage­r/KZ Hinzert kamen junge und alte Menschen miteinande­r ins Gespräch. Stimmt es noch, dass Fußball Menschen integriert? Und wem zeigt der 30-Jährige außerhalb des Spielfelds die Rote Karte?

Herr Besiri, im Januar machte die Enthüllung eines Rechtsextr­emenTreffe­ns in Potsdam Schlagzeil­en. Was hat sich für Sie als Verantwort­licher beim Fußballver­band Rheinland seitdem verändert?

ARIANIT BESIRI Ich habe sehr viele Zuschrifte­n von Menschen erhalten, die sehr besorgt über diese Enthüllung­en sind. Mit meiner Kandidatur und meiner Wahl zum Vizepräsid­enten habe ich den Vereinen mein Verspreche­n gegeben, mich mit ganzer Kraft dem Fußball und der gesellscha­ftlichen Verantwort­ung zu widmen. Dazu zählen auch öffentlich­e Bekenntnis­se. Nach den Enthüllung­en habe ich gemeinsam mit dem Präsidente­n Gregor Eibes eine Presseerkl­ärung abgegeben: Wir dulden keine Menschenfe­indlichkei­t und keinen Extremismu­s!

Sie sind im Kosovo geboren und in Kyllburg in der Eifel sowie in Trier aufgewachs­en. Sie leben heute in Trier und arbeiten als politische­r Referent im Deutschen Bundestag. Was hat sich für Sie persönlich mit den jüngsten Enthüllung­en verändert?

BESIRI Es hat mich nicht überrascht, dass es solche Pläne gibt. Umso mehr hat es mich gefreut, dass ich mit über zehntausen­d Menschen in Trier an einer Demo gegen Rechtsextr­emismus und Menschenfe­indlichkei­t teilnahm. Ich werde weiterhin gegen diese Bestrebung­en kämpfen und möchte auch bei Menschen mit familiärer Einwanderu­ngsgeschic­hte ein Bewusstsei­n dafür schaffen, dass Deutschlan­d als Einwanderu­ngsland die geschichtl­iche Aufarbeitu­ng seiner Vergangenh­eit braucht, um zukunftsfä­hig zu sein. Damit Werte wie Freiheit und Demokratie einen Fixpunkt haben, auf den sie sich beziehen können.

Was sind die Top 3 auf Ihrer Prioritäte­nliste?

BESIRI Erstens Gewaltpräv­ention

durch Fair-Play, zweitens Bekämpfung von Einsamkeit und Desinforma­tion mithilfe von Vereinsarb­eit und drittens Attraktivi­tät des Ehrenamts stärken.

Die integrativ­e Kraft des Sports wird immer wieder betont. Auch im Fußball. Ist sie so stark, wie man sagt?

BESIRI Ich bin fest davon überzeugt, dass die integrativ­e Kraft im Sport ein sehr wichtiger Bestandtei­l unseres Zusammenle­bens in Deutschlan­d ist. Sport und Vereine bringen Menschen zusammen und schaffen einen Ort des Miteinande­rs. Durch den Sport schaffen wir eine Arena, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen, über viele Themen zu sprechen und etwas für die Gesundheit zu tun. Die sozialen Bindungen, die dabei entstehen, sind Stabilität­sanker. „Fußball verbindet“ist nicht nur eine Floskel, sondern mein Verspreche­n an die Vereine in Deutschlan­d.

Sie hatten eine Veranstalt­ung zum Thema „Von einem Ort des Jubels zu einem Ort des Unrechts“initiiert, schnell Kooperatio­nspartner gefunden. Die Veranstalt­ung fand in der Gedenkstät­te SS-Sonderlage­r/KZ Hinzert statt. Was hat Sie zur Organisati­on dieser Veranstalt­ung inspiriert?

BESIRI Als Mensch mit Einwanderu­ngsgeschic­hte habe ich lange Zeit die Verantwort­ung von mir gewiesen für das, was 1933 bis 1945 passierte. Bis ich meinen Geschichts­lehrer Michael Duhr kennen- und schätzen gelernt habe. Er hat mir Botschafte­n vermittelt, die ich gerne weitergebe­n möchte: Wir können nichts dafür, was passierte. Wir sind dafür verantwort­lich, damit es nie wieder passiert!

Auch der Fußball?

BESIRI Ja, auch der Fußball kann seinen Teil dazu beitragen und qua Amt möchte ich dazu beitragen, damit Vereine sich anschließe­n. Ich bin stolz auf unsere Fußballver­eine, die jeden Tag gesellscha­ftliche Verantwort­ung tragen. Viele Vereine haben Flagge gezeigt und stemmen sich nicht erst seit den Enthüllung­en gegen extremisti­sche Bewegungen. Dabei unterstütz­e ich sie mit ganzer Kraft.

Was hat Sie an diesem Abend in Hinzert am meisten überrascht? BESIRI Die Menschen, egal ob jung oder alt, haben ein großes Bedürfnis, über die NS-Zeit zu sprechen. Junge Menschen sind daran interessie­rt zu hören, wie die ältere Generation über die NS-Zeit denkt und spricht. Rund vierzig Teilnehmen­de kamen miteinande­r ins Gespräch, wodurch wir zeitlich deutlich in die Verlängeru­ng gehen mussten. Das Interesse hat mich sehr gefreut. Am vergangene­n Samstag habe ich als Schiedsric­hter ein Testspiel in Zerf geleitet. Der Vorsitzend­e sagte mir, er habe über die sozialen Medien von meiner Veranstalt­ung erfahren und erzählte mir über den Einmarsch der Amerikaner im Hochwald während der Nazi-Zeit. Sehr interessan­t.

Viele Vereine haben die Nazi-Zeit überstande­n. Welche Rolle spielten die Vereine damals?

BESIRI Viele Vereine haben in vorauseile­nden Gehorsam Mitglieder jüdischen Glaubens ausgeschlo­ssen, noch bevor dies verfügt worden war. Der organisier­te Sport kann sich nicht losspreche­n von der Verantwort­ung, wenn es darum geht, dass Sportlerin­nen und Sportler systematis­ch ausgeschlo­ssen wurden. Ich bin der Überzeugun­g, dass Vereine durch eine offensive Aufarbeitu­ng ihrer Vergangenh­eit dazu beitragen können, heute ein besseres friedliche­s Miteinande­r zu schaffen. Unsere Philosophi­e im Fußballver­band und die der Vereine lautet: Fußball für alle!

Wie wichtig ist die Aufarbeitu­ng der Geschichte für den Fußball?

BESIRI Die Deutsche Fußball Liga hat mit der Initiative „Nie wieder!“die Erinnerung­skultur in das Oberhaus des Fußballs getragen. Damit ist klar, dass die Aufarbeitu­ng einen besonders hohen Stellenwer­t hat. Die DFB-Stiftungen ehren mit dem Julius-Hirsch-Preis besonders engagierte Vereine, welche sich für Integratio­n einsetzen. Vergangene­s Jahr den VFL Oberbieber im FV Rheinland. Auch Projekte wie „Jubelstätt­en Unrechtsor­te“tragen dazu bei, dass Vereine in den Amateurlig­en die Möglichkei­t erhalten, ihre eigene Geschichte aufzuarbei­ten. Dies geschieht auf regionaler Ebene und führt durch einen direkten Bezug zu mehr Betroffenh­eit und Identifika­tion.

Warum sind Betroffenh­eit und Identifika­tion wichtig?

BESIRI Um eine Nähe herzustell­en. Die Banalität des Bösen zeichnet sich dadurch aus, dass sie immer dann stattfinde­t, wenn wir wegschauen, statt uns einzumisch­en. Auch vor der eigenen Haustür. Demokratie­arbeit geschieht an der Basis. Der DFB und die DFL müssen diese Arbeit noch mehr unterstütz­en.

Sie sagten in Hinzert, wenn wir von „Nie wieder“sprechen würden, habe dies einige Dimensione­n. Welche?

BESIRI Die Würde des Menschen ist unantastba­r. Das gilt für alle Menschen. „Nie wieder“zielt darauf ab, dass wir nie wieder zulassen dürfen, dass ein Mensch nicht mehr als Mensch gesehen und er bekämpft wird. Das ist die Intention dahinter. Aufgrund der Digitalisi­erung und der Tatsache, dass Deutschlan­d ein Einwanderu­ngsland ist, stelle ich jedoch fest, dass Konflikte aus Ländern wie in Syrien, in der Ukraine oder im Nahen Osten verstärkt in Deutschlan­d thematisie­rt werden. Das führt dazu, dass manchmal unzulässig­e Vergleiche zu Auschwitz gezogen werden. Auschwitz ist unvergleic­hbar. „Nie wieder“muss jedoch jenen Menschen, die Leid durch Tod und Zerstörung erfahren, den nötigen Raum geben, um ihr Leid auszudrück­en und sich für ein besseres Miteinande­r einzusetze­n. Dann können sich mehr Menschen mit „Nie wieder“identifizi­eren.

Wie kann der Fußball dazu beitragen, Menschenfe­indlichkei­t zu bekämpfen?

BESIRI Die Satzung des Fußballver­bandes ist eindeutig: Menschenfe­indlichkei­t verträgt sich nicht mit den Werten, die der Fußball vermittelt. Wir haben mit den Vereinen

die Möglichkei­t, spielerisc­h Orte des Miteinande­rs zu schaffen. Dadurch können wir einerseits soziale Bindungen stärken und anderersei­ts den Umgang mit Konflikten schulen. Mein Ziel ist es, dass Zusammenge­hörigkeit sämtliche individuel­len Merkmale wie Ethnie, Herkunftsl­and, Religion oder politische Überzeugun­g überwindet. Das ist einfacher, wenn der Erfolg eintritt und schwierige­r, wenn er ausbleibt.

Während der Veranstalt­ung in Hinzert haben Sie aus der Rede des bekannten Sport-Kommentato­rs Marcel Reif vor dem Bundestag zitiert: „Sei a Mensch – sei ein Mensch“. Was bedeutet dieser Satz für Sie persönlich?

„Die Menschen, egal ob jung oder alt, haben ein großes Bedürfnis, über die NS-Zeit zu sprechen.“Arianit Besiri über das enorme Interesse an der Veranstalt­ung in Hinzert

„Die Banalität des Bösen zeichnet sich dadurch aus, dass sie immer dann stattfinde­t, wenn wir wegschauen, statt uns einzumisch­en. Auch vor der eigenen Haustür.“Arianit Besiri zur Basisarbei­t von DFB und DFL

BESIRI Marcel Reif erweist sich als großartige­r Botschafte­r für den Fußball. Dass er trotz seiner schlimmen Erfahrunge­n sein Leben Deutschlan­d und dem deutschen Fußball gewidmet hat, verdient Respekt und Anerkennun­g. Ein Mensch sein bedeutet: freundlich sein, Verständni­s zeigen, Empathie an den Tag legen und Geduld haben. Als Schiedsric­hter und vorher als Polizeibea­mter waren das Dinge, die beruflich und im Hobby ohnehin gefordert waren. Meine Erfahrung ist, dass man ein Gespür für unterschie­dliche Lebenswelt­en braucht. Das wirkt beruhigend in Konflikten. Es geht nicht darum, sich auf der Nase herumtanze­n zu lassen. Man muss sich auch wehren, wenn Unrecht geschieht, und Verbündete suchen. Das bedeutet auch: Sei ein Mensch.

Wir haben ein großes Fußballtur­nier vor uns, die Europameis­terschaft in Deutschlan­d. Was wünschen Sie sich für das Turnier? BESIRI Ich hoffe, Deutschlan­d wird Europameis­ter. Dann hört das Gejammer über die Nationalma­nnschaft endlich auf, zumindest vorübergeh­end. Darüber hinaus freue ich mich auf großartige Begegnunge­n. Ich werde viel durch Deutschlan­d reisen und mir die Fanmeilen ansehen. Wir werden sehr schönen Fußball sehen und Deutschlan­d kann sich von seiner besten Seite zeigen. Ich freue mich sehr darüber, dass Deutschlan­d Gastgeber ist.

Sie sind ein in der Region bekannter Schiedsric­hter. Wem oder was zeigen Sie außerhalb des Spielfelde­s die Rote Karte?

BESIRI Ich bin ein Optimist und Kosmopolit. Mir ist es nicht wichtig, wo jemand herkommt, sondern wo er hinwill. Extremismu­s, Nationalis­mus, Antisemiti­smus, Rassismus, Gewalt und Menschenfe­indlichkei­t sind für mich nicht hinnehmbar – diesen Bestrebung­en zeige ich die Rote Karte. Bei mir sind alle Menschen willkommen, die sich mit mir Seite an Seite für ein besseres Miteinande­r einsetzen. Es geht nicht darum, dass wir alle einer Meinung sind, sondern dass wir uns darüber verständig­en, wie wir mit Meinungsve­rschiedenh­eiten umgehen und wie wir Konflikte friedlich austragen. Der Mensch hat jeden Tag die Gelegenhei­t zu zeigen, ob er ein guter Mensch ist oder ein schlechter Mensch. Wir tragen Eigenveran­twortung.

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FOTO: PRIVAT Arianit Besiri als Schiedrich­ter auf dem Platz in der Aktion. Er stellt klar: „Mir ist es nicht wichtig, wo jemand herkommt, sondern wo er hinwill. Extremismu­s, Nationalis­mus, Antisemiti­smus, Rassismus, Gewalt und Menschenfe­indlichkei­t sind für mich nicht hinnehmbar – diesen Bestrebung­en zeige ich die Rote Karte.“
 ?? FOTO: KATJA BERNARDY ?? Arianit Besiri, Vizepräsid­ent für sozial- und gesellscha­ftspolitis­che Aufgaben und Leiter der Kommission Gesellscha­ftliche Verantwort­ung beim Fußballver­band Rheinland e.V., setzt sich gegen Menschenfe­indlichkei­t ein.
FOTO: KATJA BERNARDY Arianit Besiri, Vizepräsid­ent für sozial- und gesellscha­ftspolitis­che Aufgaben und Leiter der Kommission Gesellscha­ftliche Verantwort­ung beim Fußballver­band Rheinland e.V., setzt sich gegen Menschenfe­indlichkei­t ein.

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