„Wir dulden keine Menschenfeindlichkeit und keinen Extremismus!“
Arianit Besiri ist Vizepräsident für sozial- und gesellschaftspolitische Aufgaben und Leiter der Kommission Gesellschaftliche Verantwortung beim Fußballverband Rheinland e.V. – und er ist Schiedsrichter. Kürzlich hat er eine Veranstaltung zum Thema „Von einem Ort des Jubels zu einem Ort des Unrechts“initiiert, schnell fand er Kooperationspartner. Zur Veranstaltung in der Gedenkstätte SS-Sonderlager/KZ Hinzert kamen junge und alte Menschen miteinander ins Gespräch. Was hat sich seit der Enthüllung eines Rechtsextremen-Treffens in Potsdam für Besiri verändert, wie wichtig ist die Aufarbeitung der Rolle von Fußballvereinen während der NS-Zeit und stimmt es noch, dass Fußball Menschen integriert? Und wem zeigt der 30-Jährige außerhalb des Spielfelds die Rote Karte?
(kat) Kürzlich hat Arianit Besiri eine Veranstaltung zum Thema „Von einem Ort des Jubels zu einem Ort des Unrechts“initiiert, schnell fand er Kooperationspartner. Bei der Veranstaltung in der Gedenkstätte SS-Sonderlager/KZ Hinzert kamen junge und alte Menschen miteinander ins Gespräch. Stimmt es noch, dass Fußball Menschen integriert? Und wem zeigt der 30-Jährige außerhalb des Spielfelds die Rote Karte?
Herr Besiri, im Januar machte die Enthüllung eines RechtsextremenTreffens in Potsdam Schlagzeilen. Was hat sich für Sie als Verantwortlicher beim Fußballverband Rheinland seitdem verändert?
ARIANIT BESIRI Ich habe sehr viele Zuschriften von Menschen erhalten, die sehr besorgt über diese Enthüllungen sind. Mit meiner Kandidatur und meiner Wahl zum Vizepräsidenten habe ich den Vereinen mein Versprechen gegeben, mich mit ganzer Kraft dem Fußball und der gesellschaftlichen Verantwortung zu widmen. Dazu zählen auch öffentliche Bekenntnisse. Nach den Enthüllungen habe ich gemeinsam mit dem Präsidenten Gregor Eibes eine Presseerklärung abgegeben: Wir dulden keine Menschenfeindlichkeit und keinen Extremismus!
Sie sind im Kosovo geboren und in Kyllburg in der Eifel sowie in Trier aufgewachsen. Sie leben heute in Trier und arbeiten als politischer Referent im Deutschen Bundestag. Was hat sich für Sie persönlich mit den jüngsten Enthüllungen verändert?
BESIRI Es hat mich nicht überrascht, dass es solche Pläne gibt. Umso mehr hat es mich gefreut, dass ich mit über zehntausend Menschen in Trier an einer Demo gegen Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit teilnahm. Ich werde weiterhin gegen diese Bestrebungen kämpfen und möchte auch bei Menschen mit familiärer Einwanderungsgeschichte ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Deutschland als Einwanderungsland die geschichtliche Aufarbeitung seiner Vergangenheit braucht, um zukunftsfähig zu sein. Damit Werte wie Freiheit und Demokratie einen Fixpunkt haben, auf den sie sich beziehen können.
Was sind die Top 3 auf Ihrer Prioritätenliste?
BESIRI Erstens Gewaltprävention
durch Fair-Play, zweitens Bekämpfung von Einsamkeit und Desinformation mithilfe von Vereinsarbeit und drittens Attraktivität des Ehrenamts stärken.
Die integrative Kraft des Sports wird immer wieder betont. Auch im Fußball. Ist sie so stark, wie man sagt?
BESIRI Ich bin fest davon überzeugt, dass die integrative Kraft im Sport ein sehr wichtiger Bestandteil unseres Zusammenlebens in Deutschland ist. Sport und Vereine bringen Menschen zusammen und schaffen einen Ort des Miteinanders. Durch den Sport schaffen wir eine Arena, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen, über viele Themen zu sprechen und etwas für die Gesundheit zu tun. Die sozialen Bindungen, die dabei entstehen, sind Stabilitätsanker. „Fußball verbindet“ist nicht nur eine Floskel, sondern mein Versprechen an die Vereine in Deutschland.
Sie hatten eine Veranstaltung zum Thema „Von einem Ort des Jubels zu einem Ort des Unrechts“initiiert, schnell Kooperationspartner gefunden. Die Veranstaltung fand in der Gedenkstätte SS-Sonderlager/KZ Hinzert statt. Was hat Sie zur Organisation dieser Veranstaltung inspiriert?
BESIRI Als Mensch mit Einwanderungsgeschichte habe ich lange Zeit die Verantwortung von mir gewiesen für das, was 1933 bis 1945 passierte. Bis ich meinen Geschichtslehrer Michael Duhr kennen- und schätzen gelernt habe. Er hat mir Botschaften vermittelt, die ich gerne weitergeben möchte: Wir können nichts dafür, was passierte. Wir sind dafür verantwortlich, damit es nie wieder passiert!
Auch der Fußball?
BESIRI Ja, auch der Fußball kann seinen Teil dazu beitragen und qua Amt möchte ich dazu beitragen, damit Vereine sich anschließen. Ich bin stolz auf unsere Fußballvereine, die jeden Tag gesellschaftliche Verantwortung tragen. Viele Vereine haben Flagge gezeigt und stemmen sich nicht erst seit den Enthüllungen gegen extremistische Bewegungen. Dabei unterstütze ich sie mit ganzer Kraft.
Was hat Sie an diesem Abend in Hinzert am meisten überrascht? BESIRI Die Menschen, egal ob jung oder alt, haben ein großes Bedürfnis, über die NS-Zeit zu sprechen. Junge Menschen sind daran interessiert zu hören, wie die ältere Generation über die NS-Zeit denkt und spricht. Rund vierzig Teilnehmende kamen miteinander ins Gespräch, wodurch wir zeitlich deutlich in die Verlängerung gehen mussten. Das Interesse hat mich sehr gefreut. Am vergangenen Samstag habe ich als Schiedsrichter ein Testspiel in Zerf geleitet. Der Vorsitzende sagte mir, er habe über die sozialen Medien von meiner Veranstaltung erfahren und erzählte mir über den Einmarsch der Amerikaner im Hochwald während der Nazi-Zeit. Sehr interessant.
Viele Vereine haben die Nazi-Zeit überstanden. Welche Rolle spielten die Vereine damals?
BESIRI Viele Vereine haben in vorauseilenden Gehorsam Mitglieder jüdischen Glaubens ausgeschlossen, noch bevor dies verfügt worden war. Der organisierte Sport kann sich nicht lossprechen von der Verantwortung, wenn es darum geht, dass Sportlerinnen und Sportler systematisch ausgeschlossen wurden. Ich bin der Überzeugung, dass Vereine durch eine offensive Aufarbeitung ihrer Vergangenheit dazu beitragen können, heute ein besseres friedliches Miteinander zu schaffen. Unsere Philosophie im Fußballverband und die der Vereine lautet: Fußball für alle!
Wie wichtig ist die Aufarbeitung der Geschichte für den Fußball?
BESIRI Die Deutsche Fußball Liga hat mit der Initiative „Nie wieder!“die Erinnerungskultur in das Oberhaus des Fußballs getragen. Damit ist klar, dass die Aufarbeitung einen besonders hohen Stellenwert hat. Die DFB-Stiftungen ehren mit dem Julius-Hirsch-Preis besonders engagierte Vereine, welche sich für Integration einsetzen. Vergangenes Jahr den VFL Oberbieber im FV Rheinland. Auch Projekte wie „Jubelstätten Unrechtsorte“tragen dazu bei, dass Vereine in den Amateurligen die Möglichkeit erhalten, ihre eigene Geschichte aufzuarbeiten. Dies geschieht auf regionaler Ebene und führt durch einen direkten Bezug zu mehr Betroffenheit und Identifikation.
Warum sind Betroffenheit und Identifikation wichtig?
BESIRI Um eine Nähe herzustellen. Die Banalität des Bösen zeichnet sich dadurch aus, dass sie immer dann stattfindet, wenn wir wegschauen, statt uns einzumischen. Auch vor der eigenen Haustür. Demokratiearbeit geschieht an der Basis. Der DFB und die DFL müssen diese Arbeit noch mehr unterstützen.
Sie sagten in Hinzert, wenn wir von „Nie wieder“sprechen würden, habe dies einige Dimensionen. Welche?
BESIRI Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das gilt für alle Menschen. „Nie wieder“zielt darauf ab, dass wir nie wieder zulassen dürfen, dass ein Mensch nicht mehr als Mensch gesehen und er bekämpft wird. Das ist die Intention dahinter. Aufgrund der Digitalisierung und der Tatsache, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, stelle ich jedoch fest, dass Konflikte aus Ländern wie in Syrien, in der Ukraine oder im Nahen Osten verstärkt in Deutschland thematisiert werden. Das führt dazu, dass manchmal unzulässige Vergleiche zu Auschwitz gezogen werden. Auschwitz ist unvergleichbar. „Nie wieder“muss jedoch jenen Menschen, die Leid durch Tod und Zerstörung erfahren, den nötigen Raum geben, um ihr Leid auszudrücken und sich für ein besseres Miteinander einzusetzen. Dann können sich mehr Menschen mit „Nie wieder“identifizieren.
Wie kann der Fußball dazu beitragen, Menschenfeindlichkeit zu bekämpfen?
BESIRI Die Satzung des Fußballverbandes ist eindeutig: Menschenfeindlichkeit verträgt sich nicht mit den Werten, die der Fußball vermittelt. Wir haben mit den Vereinen
die Möglichkeit, spielerisch Orte des Miteinanders zu schaffen. Dadurch können wir einerseits soziale Bindungen stärken und andererseits den Umgang mit Konflikten schulen. Mein Ziel ist es, dass Zusammengehörigkeit sämtliche individuellen Merkmale wie Ethnie, Herkunftsland, Religion oder politische Überzeugung überwindet. Das ist einfacher, wenn der Erfolg eintritt und schwieriger, wenn er ausbleibt.
Während der Veranstaltung in Hinzert haben Sie aus der Rede des bekannten Sport-Kommentators Marcel Reif vor dem Bundestag zitiert: „Sei a Mensch – sei ein Mensch“. Was bedeutet dieser Satz für Sie persönlich?
„Die Menschen, egal ob jung oder alt, haben ein großes Bedürfnis, über die NS-Zeit zu sprechen.“Arianit Besiri über das enorme Interesse an der Veranstaltung in Hinzert
„Die Banalität des Bösen zeichnet sich dadurch aus, dass sie immer dann stattfindet, wenn wir wegschauen, statt uns einzumischen. Auch vor der eigenen Haustür.“Arianit Besiri zur Basisarbeit von DFB und DFL
BESIRI Marcel Reif erweist sich als großartiger Botschafter für den Fußball. Dass er trotz seiner schlimmen Erfahrungen sein Leben Deutschland und dem deutschen Fußball gewidmet hat, verdient Respekt und Anerkennung. Ein Mensch sein bedeutet: freundlich sein, Verständnis zeigen, Empathie an den Tag legen und Geduld haben. Als Schiedsrichter und vorher als Polizeibeamter waren das Dinge, die beruflich und im Hobby ohnehin gefordert waren. Meine Erfahrung ist, dass man ein Gespür für unterschiedliche Lebenswelten braucht. Das wirkt beruhigend in Konflikten. Es geht nicht darum, sich auf der Nase herumtanzen zu lassen. Man muss sich auch wehren, wenn Unrecht geschieht, und Verbündete suchen. Das bedeutet auch: Sei ein Mensch.
Wir haben ein großes Fußballturnier vor uns, die Europameisterschaft in Deutschland. Was wünschen Sie sich für das Turnier? BESIRI Ich hoffe, Deutschland wird Europameister. Dann hört das Gejammer über die Nationalmannschaft endlich auf, zumindest vorübergehend. Darüber hinaus freue ich mich auf großartige Begegnungen. Ich werde viel durch Deutschland reisen und mir die Fanmeilen ansehen. Wir werden sehr schönen Fußball sehen und Deutschland kann sich von seiner besten Seite zeigen. Ich freue mich sehr darüber, dass Deutschland Gastgeber ist.
Sie sind ein in der Region bekannter Schiedsrichter. Wem oder was zeigen Sie außerhalb des Spielfeldes die Rote Karte?
BESIRI Ich bin ein Optimist und Kosmopolit. Mir ist es nicht wichtig, wo jemand herkommt, sondern wo er hinwill. Extremismus, Nationalismus, Antisemitismus, Rassismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit sind für mich nicht hinnehmbar – diesen Bestrebungen zeige ich die Rote Karte. Bei mir sind alle Menschen willkommen, die sich mit mir Seite an Seite für ein besseres Miteinander einsetzen. Es geht nicht darum, dass wir alle einer Meinung sind, sondern dass wir uns darüber verständigen, wie wir mit Meinungsverschiedenheiten umgehen und wie wir Konflikte friedlich austragen. Der Mensch hat jeden Tag die Gelegenheit zu zeigen, ob er ein guter Mensch ist oder ein schlechter Mensch. Wir tragen Eigenverantwortung.