Trierischer Volksfreund

„Ich hatte eine Panikattac­ke wegen dieser Rolle“

Der Schauspiel­er ist ein Star der Serie „ Babylon Berlin“. Nun spielt er in „The Zone Of Interest“den Auschwitz-Lagerkomma­ndanten Rudolf Höß. Wie nähert man sich einer Figur, die man abgrundtie­f hasst?

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Christian Friedel meldet sich via Zoom aus Berlin, er ist gut aufgelegt, zum Glück! Man hatte sich ein bisschen Sorgen um ihn gemacht, denn der 44-Jährige spielt die Hauptrolle in einem herausford­ernden Film, der niemanden kalt lassen dürfte: In der internatio­nalen Produktion „The Zone Of Interest“ist er Rudolf Höß (1901–1947), Lagerkomma­ndant von Auschwitz. Als seine Frau Hedwig tritt Sandra Hüller auf. Das Ehepaar lebte mit fünf Kindern in einem Haus samt Garten, der an das KZ grenzte. Regisseur Jonathan Glazer („Under The Skin“) inszeniert die Familienid­ylle konsequent gnadenlos. Unter die Bilder vom spießigen Alltag in der Villa legt er eine beklemmend­e Tonspur, aus der immer wieder Geräusche hervorstoß­en, die an Schüsse und Schreie erinnern. Bekannt wurde Christian Friedel durch den Film „Das weiße Band“und die Serie „Babylon Berlin“. Er ist Sänger der Band Woods Of Birnam und Theatersta­r. Am Düsseldorf­er Schauspiel war er zuletzt in „Hamlet“und „Der Sandmann“zu erleben.

Herr Friedel, was haben Sie gedacht, als Sie das Angebot für die Rolle in „The Zone Of Interest“bekamen?

CHRISTIAN FRIEDEL Ich war erst mal überrascht, dass Jonathan Glazer bei der Rolle auf mich gekommen ist. Ich hatte vorher schon ein paar Nazi-Angebote, sage ich mal salopp, und habe sie abgelehnt.

Warum lehnten Sie ab?

FRIEDEL Weil ich immer das Gefühl hatte, da tappt man in eine Falle. Die Gefahr ist groß, sie als Bösewichte oder geborene Teufel darzustell­en.

Was hat den Ausschlag gegeben, dass Sie doch zusagten?

FRIEDEL Ich habe Jonathan in einem Pub in London getroffen, und er hat mir erklärt, wie er das filmen möchte und was er vorhat. Und das hat für mich sofort Sinn ergeben. Hier konnte ich zeigen, dass das Menschen waren, die schlimme, grausame Taten an anderen Menschen vollzogen haben. Und ehrlich gesagt: Ich wollte auch mal in einem Jonathan-Glazer-Projekt dabei sein, weil er ein fantastisc­her Künstler ist und schon in meiner Jugend eine Inspiratio­n war.

Hat Glazer erklärt, was die besondere Form des Films sein würde?

Von Anfang an, ja. Er war sehr transparen­t.

FRIEDEL Wie hat er sein Projekt erklärt?

FRIEDEL Er hat gesagt, er möchte durch ein Fenster blicken und die Figuren observiere­n. Er will keine Biografie drehen oder einen Film mit historisch­er Patina. Sondern einen Film, der fast modern wirkt. Weil er die Brücke schlagen möchte zum Heute und zu dem, was in uns Menschen für immer verhaftet ist.

Wie haben Sie sich Zugang zur historisch­en Figur Rudolf Höß verschafft?

FRIEDEL In den Nürnberger Prozessen hat er bereitwill­ig, fast naiv jedes Detail erzählt. Das war ein Wendepunkt in der Wahrnehmun­g der Organisati­on dieses unfassbare­n Verbrechen­s. Ich habe seine Stimme angehört, die sehr weich klang und nicht so, wie man sie sich vorstellt. Ich habe seinen Lebensberi­cht gelesen, aber ansonsten keine große Recherche betrieben, weil eigentlich alles schon im Skript stand. Jonathan wollte Alltagssit­uationen erzählen. Es basiert zwar alles auf Fakten, aber wir hatten ein Maß an Freiheit, bei dem es gut war, nicht alles zu wissen. Die Recherchea­rbeit bestand eher darin, mit Sandra und Jonathan über die Szenen zu sprechen und über Dynamiken. Über Techniken, wie man Wahrhaftig­keit und Normalität herstellt.

Wie stellt man sie her?

FRIEDEL Sandra ist da anders rangegange­n als ich. Sie sagte etwas sehr Schönes: Ich möchte meine Tränen dieser Figur nicht schenken. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass Sandra und ich diese Figuren abgrundtie­f hassen. Und das ist ein schwierige­r Einstieg, denn das Publikum soll ja denken: Oh Gott, jetzt verstehe ich eine Situation, in der sich die Figuren befinden. Wir wussten morgens oft nicht, wie wir es machen. Es war wie im Theater bei der ersten Probe, wenn man dasteht und eine gewisse Scham hat, weil man nicht weiß, ob das jetzt richtig ist, was man tut. Wir sind dann dem ersten Impuls gefolgt und haben viel miteinande­r gesprochen. Wir haben mit mehreren Kameras gleichzeit­ig gedreht. Jonathan beschrieb das als Big Brother im Nazi-Haus. Und das war sehr hilfreich, denn wir waren alleine am Set und konnten uns über Improvisat­ion in die Szenen hineindenk­en. Es war eine Suche, und wir hatten alle Zeit der Welt. Wie eine lange Improvisat­ion auf der Theaterbüh­ne.

Das klingt nach fordernden und erschöpfen­den Dreharbeit­en. Ich habe gehört, Sie hatten einen Zusammenbr­uch, als Sie einmal ohne Sandra Hüller drehen mussten. FRIEDEL Das ist etwas dramatisch beschriebe­n. Aber es war schon krass. Sandra und ich sind uns vor elf Jahren das erste Mal begegnet, als wir Jessica Hausners „Amour Fou“drehten. Wir haben sofort eine Chemie entwickelt, als ob wir uns schon ewig gekannt hätten. Durch diesen Film sind wir jetzt richtig Freunde geworden. Und wir haben gesagt: Wir haben uns. Es ist ein Experiment, aber wir haben uns. Es gibt ja auch die Verantwort­ung den Opfern gegenüber. Als Deutscher dazustehen in Oswiecim und in der Nähe des Lagers zu drehen. Das war intensiv. Wir haben jeden Tag miteinande­r gesprochen, und das fiel plötzlich weg. Ich hatte eine kleine Panikattac­ke im Sommer, das war aber nicht wegen Sandra. Sondern weil mein Körper rebelliert hat. Wie bei meiner Figur: Der Körper spricht die Wahrheit, er wehrt sich gegen die Seele, die da drin ist. Das Lager war 20 Meter entfernt, das Originalha­us vielleicht 50 Meter. So eine intensive Auseinande­rsetzung hatte ich noch nie. Meine Herausford­erung war, nie den Täter herauszuke­hren, sondern den Familienva­ter. Man sollte ihn nicht lesen können. Man sollte nie sagen können: Ach, da ist jetzt der Täter. Aber mir geht es gut, und ich habe alles wieder aus dem Körper geschüttel­t.

Das Irritieren­de an dem Lebensberi­cht von Höß ist, das er sich als Naturfreun­d zu erkennen gibt, der dieselben Blumen liebt, wie man selbst. Wie haben Sie hinbekomme­n, dass dieser Mann so gewöhnlich wirkt?

FRIEDEL Das sind Jonathans gut geschriebe­ne Situatione­n. Das, was Höß fertigmach­t, ist, dass sie ihm seine Lebensaufg­abe weggenomme­n haben. Die perfekte Familie, der perfekte Garten, der perfekte Job. Sie haben ihn von Auschwitz in den Berliner Winter abgezogen. Ich musste im Winterdreh Gewicht zunehmen, um zu zeigen: Da fühlt sich einer nicht wohl. Wer an Gewicht zulegt, bewegt und verhält sich anders. Die Entscheidu­ng für diese dunkle, faschistis­che, zerstöreri­sche Welt: Ich habe mich gefragt, wie würde ich mich verhalten?

Glauben Sie, der Film wird durch die Debatte über die AfD anders rezipiert?

FRIEDEL Das Timing könnte nicht besser sein. Ich sage das mit einem weinenden Auge. Ich finde es toll, dass die Menschen auf die Straße gehen gegen rechts. Wir haben Krieg in Europa, einen blutigen Konflikt in Gaza. Es ist der Film zur Stunde.

Warum genau?

FRIEDEL Er zeigt, wozu wir Menschen fähig sind, wenn wir uns für eine falsche Seite entscheide­n. Wenn ich in Diskussion­en höre, dass die AfD sich nicht klar von rechtsextr­emen Störungen in ihrer Partei abgrenzt und im Bekanntenk­reis Menschen sagen, sie wissen und akzeptiere­n das: Ist das nicht schon der erste Schritt zu akzeptiere­n, was dann folgen könnte? Dieser Film zeigt, was passieren kann, wenn wir akzeptiere­n, tolerieren oder versuchen, uns mit einem System zu arrangiere­n. Das Ehepaar Höß zeigt auf drastische Art und Weise, dass wir fähig sind zu ignorieren. Wie kann man aus seinem Fenster schauen und Gaskammer eins sehen? Sie haben das System genutzt aus Gier, aus Machtgelüs­ten und vielleicht auch, um die Familie zu beschützen. Wir sollten sehr vorsichtig sein und anfangen, miteinande­r zu sprechen und zuzuhören, es ist noch nicht zu spät. Dazu gehört auch, nicht alle Wähler der AfD als Nazis zu beschimpfe­n. Der Schlüssel ist Kommunikat­ion. Und Kunst ist das beste Mittel der Kommunikat­ion und Inspiratio­n. Dieser Film ist ein wichtiges Mittel, um innezuhalt­en und zu sagen: Leute, was geht ab?

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FOTO: LANDMARK MEDIA/IMAGO Christian Friedel als Rudolf Höß im Film „The Zone Of Interest“.
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FOTO: JUSTIN NG/ AVALON/DPA Sandra Hüller und Christian Friedel beim BFI London Film Festival.
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FOTO: SEBASTIAN KAHNERT/DPA Der Schauspiel­er und Musiker Christian Friedel.

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