Trierischer Volksfreund

„Es dauerte ein paar Sekunden, bis er tot war“

Vor über 20 Jahren wird ein Rentner von seiner Tochter erdrosselt – Hätte die Frau geschwiege­n, wäre das Verbrechen nie entdeckt worden.

- VON ROLF SEYDEWITZ

„Ich habe meinen Vater umgebracht.“Mit diesen Worten meldet sich eine Frau telefonisc­h bei der Bitburger Polizei. Es ist ein Dienstagmi­ttag Ende März 2005, und der Polizist am anderen Ende der Leitung glaubt zunächst an einen schlechten Scherz. Erst recht, als sich wenig später herausstel­lt, dass die Anruferin offenbar psychisch krank und deshalb auch in Behandlung ist. Die Mitte 30-jährige Frau wird auf die Bitburger Polizeiins­pektion gebeten, wo sie die Aussage wiederholt.

Da die Mutter der Frau in einem Ort nur wenige Kilometer entfernt wohnt, sollten sich die Angaben rasch überprüfen lassen, entscheide­n die Beamten. Eine Streife trifft die damals 56-Jährige auch tatsächlic­h zu Hause an. „Ich sage nichts über den Verbleib meines Mannes“, raunzt die Frau die Beamten an, „nur über meinen Anwalt.“

Ab diesem Moment sei den Ermittlern klar gewesen, „dass irgend etwas an der Sache faul sein muss“, erinnert sich der Trierer Oberstaats­anwalt Eric Samel. Doch zu diesem Zeitpunkt haben die Fahnder nichts in der Hand – außer dem Geständnis der psychisch angeschlag­enen Tochter.

Weil sie noch aussagt, die Leiche des zuvor erdrosselt­en Vaters mit ihrer Mutter nach Südfrankre­ich gebracht und dort in einem Waldstück unter Reisig versteckt zu haben, bitten die Beamten ihre französisc­hen Kollegen um Amtshilfe. Parallel dazu prüfen die Ermittler, ob es bei den Behörden Auffälligk­eiten über den vermeintli­ch toten Vater gab. Ohne Erfolg. Der Mann kassiert weiter seine Rente von 1560 Euro monatlich, und wenn ein Ausweis abgelaufen ist, wird stets ein neuer beantragt. Nur: Der

Mann erscheint nie selbst. Da, wo es nötig wäre, geht seine Frau hin und legt eine Vollmacht des Mannes vor. Alles gefälscht, wie sich später herausstel­lt.

Aus Frankreich ist inzwischen die Bestätigun­g eingetroff­en, dass vier Jahre zuvor bei Draguignan in der Provence die sterbliche­n Überreste eines unbekannte­n Toten gefunden wurden. „Das war der Wendepunkt“, erinnert sich der damals für den Fall zuständige Staatsanwa­lt Eric Samel, „sonst wäre aus der ganzen Sache nichts geworden.“

Ohne Leiche hätte es außer dem Verschwind­en des Vaters nichts gegeben, was die Aussagen der Tochter gestützt hätte. So aber fliegen zwei Trierer Staatsanwä­lte und drei Mordermitt­ler nach Südfrankre­ich, um sich den Fundort der menschlich­en Knochen anzuschaue­n und

mit den Kollegen über den Fall zu sprechen. Durch einen Abgleich des genetische­n Fingerabdr­ucks steht inzwischen zweifelsfr­ei fest, dass es sich bei dem Toten tatsächlic­h um den gesuchten Rentner handelt. Ein Trierer Bestatter holt die Knochen vor Ort ab und bringt sie in die Homburger Rechtsmedi­zin.

Nach Angaben der Tochter soll die Mutter dem tyrannisch­en und gewalttäti­gen Ehemann im Mai 1999 tagelang ein überdosier­tes, starkes Beruhigung­smittel gegeben haben, bis der Frührentne­r „irgendwann nicht mehr aufstehen konnte und schließlic­h bewusstlos im Bett lag“, berichtet die Tochter später im Prozess. „Da habe ich mich entschloss­en, seinem Leben ein Ende zu setzen.“Sie nahm aus der Garage ein orangefarb­enes Nylonseil, ging ins Schlafzimm­er der Eltern und legte das Seil dem Bewusstlos­en um den Hals. „Dann habe ich zugezogen“, schilderte sie rückblicke­nd das Gewaltverb­rechen, und: „Es war schwierig, hat ein paar Sekunden gedauert.“

Danach rief sie ihre Mutter. „Sie war erschrocke­n, hat mir aber keine Vorwürfe gemacht“, sagte die Tochter später in der Gerichtsve­rhandlung. Sie hätten überlegt, was sie mit dem Leichnam machen sollten. Am nächsten Morgen fuhren die beiden Frauen mit dem in blauen Plastiktüt­en verpackten Toten im Kofferraum ins 1150 Kilometer von ihrem damaligen Wohnort Overath bei Köln entfernte Draguignan. Bei dem Gedanken daran schaudert es Dirk Finkler noch heute. „Die mussten doch Bammel haben, entdeckt zu werden“, sagt der damals mit dem Fall befasste Ermittler.

In einem abgelegene­n Waldgebiet versteckte­n sie den verpackten

und verschnürt­en Leichnam. Am nächsten Tag ging es wieder zurück ins heimatlich­e Overath. Nachbarn und Bekannten erzählten Mutter und Tochter, dass der Vater ein Haus in Frankreich gekauft habe und der Rest der Familie bald folgen werde. Ein paar Monate später zog die Familie tatsächlic­h um – erst nach Südfrankre­ich, 2004 dann in die Nähe von Bitburg. Da war der Vater schon fünf Jahre tot.

Bis der gewaltsame Tod des Frührentne­rs gesühnt wird, vergehen weitere vier Jahre. Ende 2006 wird erst die Witwe, sieben Wochen später auch die Tochter verhaftet. Der saarländis­che Toxikologe Professor Thomas Krämer hatte inzwischen in den Knochen und Haaren des Opfers das Neurolepti­kum Truxal nachgewies­en und daraus Rückschlüs­se auf die zuletzt gegebene Konzentrat­ion gezogen. „Das war 2005 eigentlich noch gar nicht möglich“, sagt Oberstaats­anwalt Eric Samel. Das Ergebnis der toxikologi­schen Untersuchu­ng habe die Glaubwürdi­gkeit der Tochter untermauer­t und sei ein wesentlich­es Indiz für die spätere Verurteilu­ng der beiden Frauen gewesen.

Der Prozess am Trierer Landgerich­t beginnt wegen der langwierig­en Ermittlung­en und des mehrfach widerrufen­en und dann erneuerten Geständnis­ses der Tochter erst im Juli 2007. Er zieht sich über neun Monate und 24 Verhandlun­gstage. Die Witwe leugnet bis zum Schluss, etwas mit dem Gewaltverb­rechen zu tun zu haben.

Die zuletzt als Heilerin tätige Frau räumt lediglich ein, der Tochter beim Transport des Leichnams geholfen und die Unterschri­ft ihres Mannes gefälscht zu haben, um die Rente zu kassieren.

Die fünfköpfig­e Kammer glaubt ihr nicht. Die Ehefrau wird im April 2008 schließlic­h wegen Anstiftung zum Totschlag und gefährlich­er Körperverl­etzung zu einer zwölfjähri­gen Gefängniss­trafe verurteilt, die wegen Totschlags verurteilt­e Tochter kommt mit zehn Jahren davon.

Beide sind seit Jahren wieder auf freiem Fuß.

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 ?? FOTOS : FRIEDEMANN VETTER, ERIC SAMEL ?? Die Ehefrau des getöteten Frührentne­rs (rechts) mit ihrer Verteidige­rin Karin Rappenhöne­r beim Prozess im Trierer Landgerich­t. Foto rechts: Beamte der Trierer Mordkommis­sion lassen sich von französisc­hen Kollegen die Stelle zeigen, wo das Skelett gefunden wurde.
FOTOS : FRIEDEMANN VETTER, ERIC SAMEL Die Ehefrau des getöteten Frührentne­rs (rechts) mit ihrer Verteidige­rin Karin Rappenhöne­r beim Prozess im Trierer Landgerich­t. Foto rechts: Beamte der Trierer Mordkommis­sion lassen sich von französisc­hen Kollegen die Stelle zeigen, wo das Skelett gefunden wurde.

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