KI zwingt Schulen, neu zu denken
Lehren bald Avatare an unseren Schulen? Aus Sicht von Christoph Maerz wäre das durchaus realistisch. Der IT-Experte aus Schweich arbeitet dort, wo sich die Wege der Künstlichen Intelligenz und der Wirtschaft kreuzen — unter anderem am Deutschen Forschungs
Sie lässt sich nicht bremsen. Die Künstliche Intelligenz (KI) hat unser Leben längst grundlegend verändert, und diese Entwicklung wird noch viel schneller voranschreiten, als wir es uns vorstellen können. Dieser Meinung ist Christoph Maerz: IT-Spezialist, Experte für moderne Arbeitsplätze, Entwickler, Trainer – in vielen Bereichen ist der 44-Jährige aus Schweich unterwegs. Seit etwa einem Jahr arbeitet er am Deutschen Forschungsinstitut für Künstliche Intelligenz in Kaiserslautern und leitet dort das Team, das sich mit Sprachmodellen befasst.
Derzeit entwickelt er einen Avatar, also eine künstliche Person, die ansprechbar ist, auf Dokumente und Wissen zugreifen und mit den Menschen interagieren kann. Großen Unternehmen hilft er, Strategien für die Nutzung von KI zu entwickeln. Und da er einige Jahre auch als Lehrer in der Region gearbeitet und ein Nachhilfe-Institut betrieben hat, gehören die Folgen der KI für das Bildungssystem ebenfalls zu seinem Wissensfeld.
Lehrer können nicht mehr erkennen, was selbst geschrieben wurde und was nicht
„In der Lebenswelt der Schüler ist die KI schon lange angekommen“, erklärt er. Dass jeder sie nun für die Erstellung von Texten,
Fotos und Videos nutzen könne, habe ihre Bedeutung stark forciert. So könnten sich Schüler nun sogar Aufsätze erstellen lassen, in die extra Fehler eingebaut würden, um authentischer zu wirken. Für Lehrer sei es kaum noch möglich, zu erkennen, was selbst geschrieben sei und was nicht. Und daran dürfe man sich auch nicht klammern, sagt Maerz.
Vielmehr gelte es, die Chancen der KI im Unterricht zu nutzen. Schon das Internet habe enorm zur Demokratisierung der Bildung beigetragen: Jeder habe nahezu den gleichen Zugriff auf Wissen.
Die KI ermögliche es nun, den Unterricht zu diversifizieren. Lehrer könnten jedem Schüler eigene Aufgaben zuweisen, je nach Wissensstand und Können, die diese beispielsweise am Tablet lösen – und direkt korrigiert werden. So ließe sich auch Unterricht, der ausfällt, sinnvoll nutzen. Auch Sprachbarrieren beispielsweise im Umgang mit Flüchtlingen könnten Lehrer nun dank Übersetzungsprogrammen umgehen.
Jetzige Form ist veraltet
von Hausaufgaben „Hausaufgaben sollte die generative KI grundlegend verändern“, sagt Maerz. Texte, Bilder und weitere Inhalte anhand erlernter Daten künstlich erstellen lassen zu können, machten jetzt häufig genutzte Formen der Hausaufgaben wie Textzusammenfassungen, Wiederholungen und das Auswendiglernen von Inhalten überflüssig. Stattdessen sollten Schüler komplexere Aufgaben erhalten: verschiedene Lösungsansätze vergleichen, analysieren und sie auf ihre eigene Lebenswelt beziehen zum Beispiel.
Statt nur über schriftliche Hausaufgaben zu schauen, müssten Lehrer die Schüler vielmehr Inhalte mündlich vortragen lassen – und so überprüfen, ob sie wirklich verstanden wurden.
Bedeutet das auch das Ende der Schulnoten? Hier ist Maerz skeptisch, da sie fest etabliert seien. Vielmehr müsste aber hinterfragt werden, welche Kompetenzen geprüft werden. „Ab einer gewissen Klassenstufe sollten vielmehr die Ergebnisse und Lösungswege bewertet werden“– also das Verständnis und der Einsatz der Werkzeuge. Nicht zuletzt könne die KI den Lehrern dann auch beim Bewerten selbst helfen.
Künstliche Lehrer geben Nachhilfe
Auch Lehrer-Avatare kann er sich vorstellen, die den Schülern zu Hause etwas noch einmal erklären, ihnen zusätzliche Aufgaben stellen und helfen, sich auf Tests vorzubereiten. Das sei zudem eine Chance, dem Lehrermangel zu begegnen.
Im Kern sei die kritische Reflexion das, was den Schüler beigebracht werden müsse. Welche der vielen digitalen Inhalte sind wahr? „Wir dürfen nicht verlernen, selbst zu denken“, sagt Maerz. Auch praxisbezogene Kompetenzen seien deutlich wichtiger zu vermitteln. China habe das Fach KI schon längst an den Schulen eingeführt, hier dürfe Deutschland nicht den Anschluss verlieren. „Sonst wird das zur Gefahr für den Wirtschaftsstandort.“
Alleine die Schüler mit Tablets auszustatten, reiche bei Weitem nicht aus. Die genutzten Programme seien das Entscheidende. Eltern rät Maerz, sich ebenfalls mit den technischen Neuerungen auseinanderzusetzen, mit ihren Kindern zusammen zu lernen und offen mit ihnen darüber zu sprechen.
„Ich habe noch nie etwas gesehen, das sich so schnell entwickelt wie die KI. Und das Tempo wird noch schneller werden“, sagt der Experte voraus. Vor allem Sprachmodelle, die die Mensch-Maschine-Kommunikation ermöglichen, würden unseren Umgang mit Technik in den nächsten zwei bis drei Jahren grundlegend verändern.
„Die Entwicklung ist nicht aufzuhalten“
An den Universitäten seien die Folgen der KI-Nutzung schon jetzt deutlich sichtbar. So setzten sie zum Beispiel wieder stärker auf mündliche Prüfungen, um Leistungen festzustellen.
Auch nahezu jeder Beruf ändere sich, sagt Maerz voraus. Einige große Unternehmen seien schon sehr weit beispielsweise in der Automatisierung von Prozessen. „Der Mittelstand tut sich aber noch schwer“, berichtet er. Übernehme die Technik beispielsweise Routinearbeiten, bleibe den Menschen mehr Zeit für persönliche Kontakte und für Kreativität. „Gegen die KI anzukämpfen, ist nicht der richtige Weg. Die Entwicklung ist nicht aufzuhalten.“
Und wie halten es bislang die Schulen mit dem Einsatz von KI?
Jochen Wiedemann leitet das Gymnasium Traben-Trarbach, wo Maerz am 20. März einen Vortrag zum Thema halten wird (siehe Info). Der Pädagoge sieht die größte Gefahr darin, dass die Schüler digitalen Inhalten zu viel Glauben schenken und den Antrieb verlieren, selbst zu denken. In der gezielten Förderung von Schülern mit Hilfe individueller Aufgaben sieht er wiederum große Chancen, denn die Heterogenität in den Klassen sei groß. So wolle die Schule KI künftig für sich nutzen.
„Die Wahrheitsfrage brutal“Gregor Magnus Jahn, Schulleiter der Berufsbildenden Schule für Technologie und Umwelt Wittlich, hat die ersten Schritte in Richtung KI im Unterricht schon gewagt. So ließen sich mit Hilfe der Plattform „Fobizz“, die den Zugang zu KI-Anwendungen im Bildungsbereich ermöglicht, zum Beispiel erklärende Texte für individuelle Schüleransprüche erstellen. Sowohl von der Sprache als auch von den Inhalten her könne man so auf den jeweiligen Wissensstand eingehen. Ihm als Lehrer könne es zum Beispiel dabei helfen, besser einzuschätzen, ob die Antwort eines Schülers in einem Test korrekt ist, indem er diese in das Programm eingibt.
Allerdings sieht er auch den kritischen Umgang mit KI als unabdingbar an, denn viele Programme seien politisch gefärbt. „Die Wahrheitsfrage ist brutal“, sagt Jahn. Und die Verlockung für die Schüler sei groß, am Ende alles der KI zu überlassen und eigene Fähigkeiten zu verlieren.