Wie das Rötliche Dickblatt in Trier vor dem Aussterben gerettet wurde
Kaum jemand beobachtet die Pflanzenwelt der Region Trier so intensiv wie Hans Reichert. In Dutzenden Aufsätzen hat der ehemalige Hermeskeiler und Trierer Biologie- und Erdkundelehrer in den Jahrbüchern des Kreises Trier-Saarburg über die schönsten, seltensten oder auch gefährlichsten Pflanzen der Region geschrieben, seit er 1965 vom Rhein Richtung Mosel zog. Wir haben mit dem 87-Jährigen über die außergewöhnliche Vegetation gesprochen, die man in Eifel, Moseltal und Hunsrück findet. Und auch über eine Pflanze, die fast von diesem Planeten verschwunden wäre, hätte man sie in Trier nicht in allerletzter Sekunde gerettet.
Wir leben in einer Region, die geologisch so spannend ist wie kaum eine andere in Deutschland: Schiefergebirge, Muschelkalk, Buntsandstein, Vulkane ...
DR. HANS REICHERT Das stimmt, das kann ich nur unterstreichen.
Gedeiht da dann auch eine besonders interessante Flora?
REICHERT Ja, das ist so. Der geologische Reichtum bedingt auch eine sehr vielfältige Flora. Hinzu kommt, dass es einige Höhenunterschiede gibt, und damit auch klimatische Unterschiede zwischen Hunsrück, Eifel oder Moseltal. Das trägt ebenfalls zur Vielfalt bei.
Hier in der Region ist ja schon ganz schön was geboten. Wir haben Orchideenwiesen in der Südeifel, Buchsbaumwälder an der Mosel, Schluchtwälder in der Bollendorfer Schweiz, Hangmoore im Hunsrück. Was sind die spannendsten Biotope, die Sie in unserer Region kennengelernt haben?
REICHERT Eigentlich alle (lacht). Am meisten faszinieren mich jedoch die Moore, über die ich auch schon sehr früh geschrieben habe. Sie sind insgesamt etwas Besonderes. Schon allein, weil sie nass sind und man bis über die Knie tief einsinken kann. Das war für mich etwas ganz Neuartiges, da ich ja aus dem trockenen Rheinhessen stamme. Faszinierend fand ich auch, dass man dort eine fleischfressende Pflanze wie den Sonnentau findet.
Sind Sie denn zufrieden mit der Entwicklung der Moore?
REICHERT Erfreulich ist, dass für die Moore viel getan wird, auch im Nationalpark. Da gehen allerdings die Meinungen in zwei verschiedene Richtungen. Manche Besonderheiten dieser Moore, wie der Sonnentau, sind lichtliebende Pflanzen, die sich dort nur ansiedeln konnten, weil die Wälder aufgelichtet und gerodet wurden. Es gibt Stimmen im Nationalpark, die möchten die Natur ganz sich selbst überlassen und gar nicht mehr eingreifen. Das würde dazu führen, dass die Moore sich wieder bewalden. Und es würde das Aus für manche seltenen Pflanzenarten bedeuten. Ich glaube aber nicht, dass sich das durchsetzt, denn man hat im Nationalpark auch Flächen, wo weiterhin eingegriffen werden soll, wo entwaldet und entbuscht wird, damit diese lichtliebenden Pflanzen erhalten bleiben.
Was ist Ihre Lieblingspflanze in den Mooren?
REICHERT Das Efeublättrige Moorglöckchen ist etwas ganz Nettes. Ein kleines, kriechendes Glockenblumengewächs, dessen Glöckchen nur fünf Millimeter lang sind. Das wächst auf sumpfigen Wiesen, die noch gemäht werden, und es kommt in Deutschland fast nur noch im Trierer Raum vor. Seine reichsten Vorkommen hat es im Hochwald bei Zerf und Greimerath bis ins Saarland hinein. Wer mäht heute als Landwirt
In Trier ist es gelungen, eine vom Aussterben bedrohte Pflanze gerade noch zu retten. In Bollendorf hingegen ist der letzte Hautfarn Deutschlands kürzlich eingegangen. Im Interview berichtet Hans Reichert von den prächtigsten Biotopen der Region, von seltenen Schönheiten des Pflanzenreichs und warum man wegen gefährlichen eingewanderten Pflanzen nicht in Panik geraten sollte.
noch sumpfige Wiesen? Zum Glück haben wir das da im Hochwald noch. Nachdem immer mehr nasse Wiesen aufgegeben wurden, hat das Moorglöckchen sich hie und da auf Wochenendgrundstücke geflüchtet, die gemäht werden.
Was sind die außergewöhnlichsten Pflanzen in der Region?
REICHERT Da gehört das Rötliche Dickblatt dazu. Das ist mit dem Mauerpfeffer nah verwandt. Es kommt in Deutschland nur noch in Trier vor, und zwar in der Sickingenstraße, die zum Petrisberg raufführt, an einer Böschung, wo es sehr gefährdet ist. Das war lange Zeit die einzige Stelle – immer bedroht durch gärtnerische Maßnahmen von angrenzenden Grundstücken. Da hat Ralf Hand, das ist ein namhafter Botaniker, der aus Trier stammt, Aussaatversuche gemacht, um die Pflanze vom Aussterben zu bewahren, und das ist glücklicherweise gelungen. Im Olewiger Tal hat sie es nun geschafft, an Weinbergsmauern Fuß zu fassen. Das Vorkommen scheint bei Trier damit gerettet zu sein. Auch sehr bedroht ist der Lochschlund. Das ist ein unscheinbares Rachenblütlergewächs, das nur noch an rund einem Dutzend Stellen vorkommt, zum Beispiel bei Waldrach und zwischen Zerf und Saarburg. Die Vorkommen verschwinden nach und nach, meist durch die Verbuschung von Schieferböschungen. Die Pflanze
ist konkurrenzschwach und verschwindet, wenn dichter Bewuchs aufkommt.
Um welche Biotope oder Pflanzengemeinschaften machen Sie sich die größten Sorgen?
REICHERT Eindeutig um die Magerwiesen. Magerwiesen sind sehr reichhaltig, sowohl die auf Kalk in der Eifel als auch die auf sauren Böden im Hunsrück. Letztere sind zwar nicht so spektakulär, weil Orchideen dort nicht so eine große Rolle spielen, aber dort kommen sehr viele andere seltene Arten vor. Durch Düngung verschwinden solche Wiesen, weil Betriebe den Ertrag steigern wollen. Der stärkste Artenrückgang findet im Ackerland durch Herbizide statt. Da ärgere ich mich immer, wenn man mit deutscher Gründlichkeit vorgeht und bis auf die letzten Millimeter an die Wege heranspritzt und nicht mal einen Randstreifen stehen lässt. Hinzu kommt noch der Stickstoff, der aus der Luft eingetragen wird.
Wie hat sich die Vegetation der Region verändert, seitdem Sie sich damit beschäftigen?
REICHERT Einige Arten sind ausgestorben. In den Eifelmaaren zum Beispiel sind einige seltene Wasserpflanzen verschwunden. Da gibt es sogar Taucher, die nach Pflanzen suchen. Wenn man sie in den überschaubaren Maaren nicht mehr findet, kann man davon ausgehen,
dass sie ausgestorben sind. Bei einer Pflanze habe ich das Verschwinden aus der Region selbst beobachtet; beim Weißen Schnabelried. Das ist ein Sauergrasgewächs. Es hatte früher ein Dutzend Vorkommen im Trierer Raum. Zuletzt gab es nur noch eins bei Mandern. Das ist eine extrem konkurrenzschwache, sehr lichtliebende Pflanze, die dort überleben konnte, weil in diesem Moor auf einer kleinen Fläche Torf abgebaut wurde. Mit der Zeit wucherte die Fläche mit Torfmoosen zu. 2015 habe ich ein letztes Foto geknipst. Jetzt ist die Pflanze verschwunden. Daher plädiere ich dafür, die Moore nicht völlig unberührt zu lassen. Und wenn ein Bagger vorsichtig reinfährt und eine Torfschicht abträgt. Auch das Sumpfläusekraut ist verschwunden, in Äckern das Adonis-Röschen oder in einer feuchten Schlucht der winzige Hautfarn, von dem es in ganz Deutschland nur noch ein streng gehütetes Vorkommen bei Bollendorf gab. Vielleicht war die Luft in den heißen Sommern zu trocken.
Aber es kommen auch neue Pflanzen hinzu.
REICHERT Ja, ständig gelangen Neophyten zu uns. Teils spontan von selbst einwandernd, teils unabsichtlich durch Autos eingeschleppt, teils aus Gartenabfällen. Viele sind unbeständig, weil sie nicht in unser Klima passen. Sie verschwinden dann irgendwann wieder. Aber es gibt
auch viele, die Fuß fassen. Einige davon sind aggressive Arten, die die einheimische Flora verdrängen.
Welche invasiven Arten halten Sie für besonders gefährlich?
REICHERT Viele Sorgen bereitet der asiatische Staudenknöterich – dieser hochwachsende Knöterich, der an Flussufern richtige Dschungel bildet. Dessen Einwanderung habe ich bei Hermeskeil noch miterlebt. Inzwischen bildet die Pflanze dichte Bestände an Mosel, Ruwer oder Saar und verdrängt einheimische Arten. Sie siedelt sich allerdings meist da an, wo gebaggert oder anders in den Boden eingegriffen wurde. Sehr berüchtigt war ja auch der Riesenbärenklau, der bei Berührung schlimme Hautausschläge verursacht. Der scheint allerdings nicht mehr so expansiv zu sein, wie er anfangs war. Dass die Neophyten so erfolgreich sind, rührt ja daher, dass sie hier – anders als in der Gegend, aus der sie ursprünglich stammen – keine auf sie abgestimmten Schädlinge und Konkurrenz haben. Mir ist jetzt aber aufgefallen, dass der Japan-Knöterich, der anfangs völlig unversehrt war, immer öfter Lochfraß aufweist. Die Natur entwickelt sich immer weiter. Heimische Insekten scheinen dieser Pflanze nun zuzusetzen und diese zu regulieren. Diese Hoffnung kann man bei Neophyten immer haben.
Wie beim aus Asien eingewanderten
Buchsbaumzünsler? Da hatte man ja befürchtet, dass der Schmetterling sämtliche Buchsbaumbestände kahl frisst, aber inzwischen ist er selbst auf dem Speisezettel von Spatzen und Meisen gelandet.
REICHERT Genau. Hier an der Mosel wurde der Buchsbaum glücklicherweise nicht so hart getroffen wie am Oberrhein, wo ganze Buchsbaumwälder gestorben sind. Irgendwann tauchen Feinde auf, die die Art in Schach halten. Man sollte wegen Neophyten also nicht in Panik geraten.
Und wie verändert der Klimawandel die Flora?
REICHERT In der Tierwelt ist es eindeutig: Da wandern viele Tiere nach Norden. Die Gottesanbeterin findet man nun auch an etlichen Stellen in der Region Trier. Aber die Veränderungen bei der Flora werden sich – abgesehen von den Schäden in den Wäldern und in der Landwirtschaft – langsamer vollziehen. Rasche Veränderungen sind immer noch mehr durch menschliche Eingriffe verursacht. Es wurde zum Beispiel oft diskutiert, ob die Bocksriemenzunge sich wegen des Klimawandels verbreitet. Das ist eine sehr eigentümlich aussehende Orchidee, die eindeutig zunimmt. Allerdings zeigte sich, dass die Aufgabe von Weinbergen Verhältnisse geschaffen hatte, die für die Bocksriemenzunge günstig sind.
Diese verrückte Orchidee hatten wir vor einiger Zeit plötzlich im Blumenbeet stehen. Da habe ich mich gefragt: Wie kommt die denn jetzt dahin?
REICHERT Das ist gut erklärbar. Orchideen haben unheimlich feine Samen, wie ein Pulver, und sie werden vom Wind weit weggeweht. Das ist eine interessante Ausbreitungsstrategie mit dem Nachteil, dass die Samen so gut wie kein Nährgewebe haben. Sie bieten dem Embryo miserable Startbedingungen, weil es keinen Nährstoffvorrat gibt. Das haben die Orchideen so gelöst, dass der Embryo ein ganz winziges Bodenwürzelchen rausstreckt und mit dem Kontakt zu bestimmten Bodenpilzen aufnimmt. Damit entsteht eine Symbiose: Die Pilze versorgen ihn mit Mineralsalzen und Wasser, dafür spart er sich anfangs den Aufbau eines Wurzelsystems, und die Pilze bekommen von ihm organische Nährstoffe. Die Orchideen sind auf diese Pilze als Startpartner angewiesen. Wenn die in einem Hausgarten auftreten, dann ist das ein Zeichen dafür, dass dort gut gepflegter, nicht überdüngter Boden ist, denn nur dort können diese Pilze gedeihen.
Na, das ist ja schön! Was können Gärtner denn sonst so tun, um der Natur zu helfen?
REICHERT Ein gutes Rezept ist immer: Wenn etwas Schönes Einheimisches im Garten auftaucht, sollte man es gewähren lassen und fördern. Am besten ist eh immer das, was sich hält, ohne dass man es päppeln muss. Völlig tabu ist es natürlich, Orchideen auszugraben, um sie in den Garten zu holen. Das passiert in der Region Trier leider immer wieder. Natürlich kann man Wildkräuter auch bei Gärtnereien kaufen. Man sollte darauf achten, möglichst viel anzusiedeln, was für Insekten gut ist. Der Rückgang der Insekten ist alarmierend. Da sollte man alles tun, um sie zu fördern.
Der Naturschutzbund Region Tier hat das Buch „Gesammelte Aufsätze zur Flora im Trierer Raum“veröffentlicht. Auf 272 Seiten vereint es 54 Aufsätze von Dr. Hans Reichert, die in den Jahrbüchern TrierSaarburg von 1968 bis 2023 erschienen sind. Preis: 25 Euro.