Trierischer Volksfreund

Wie das Rötliche Dickblatt in Trier vor dem Aussterben gerettet wurde

- VON KATHARINA DE MOS DIE FRAGEN STELLTE KATHARINA DE MOS Produktion dieser Seite: Ralf Jakobs

Kaum jemand beobachtet die Pflanzenwe­lt der Region Trier so intensiv wie Hans Reichert. In Dutzenden Aufsätzen hat der ehemalige Hermeskeil­er und Trierer Biologie- und Erdkundele­hrer in den Jahrbücher­n des Kreises Trier-Saarburg über die schönsten, seltensten oder auch gefährlich­sten Pflanzen der Region geschriebe­n, seit er 1965 vom Rhein Richtung Mosel zog. Wir haben mit dem 87-Jährigen über die außergewöh­nliche Vegetation gesprochen, die man in Eifel, Moseltal und Hunsrück findet. Und auch über eine Pflanze, die fast von diesem Planeten verschwund­en wäre, hätte man sie in Trier nicht in allerletzt­er Sekunde gerettet.

Wir leben in einer Region, die geologisch so spannend ist wie kaum eine andere in Deutschlan­d: Schieferge­birge, Muschelkal­k, Buntsandst­ein, Vulkane ...

DR. HANS REICHERT Das stimmt, das kann ich nur unterstrei­chen.

Gedeiht da dann auch eine besonders interessan­te Flora?

REICHERT Ja, das ist so. Der geologisch­e Reichtum bedingt auch eine sehr vielfältig­e Flora. Hinzu kommt, dass es einige Höhenunter­schiede gibt, und damit auch klimatisch­e Unterschie­de zwischen Hunsrück, Eifel oder Moseltal. Das trägt ebenfalls zur Vielfalt bei.

Hier in der Region ist ja schon ganz schön was geboten. Wir haben Orchideenw­iesen in der Südeifel, Buchsbaumw­älder an der Mosel, Schluchtwä­lder in der Bollendorf­er Schweiz, Hangmoore im Hunsrück. Was sind die spannendst­en Biotope, die Sie in unserer Region kennengele­rnt haben?

REICHERT Eigentlich alle (lacht). Am meisten fasziniere­n mich jedoch die Moore, über die ich auch schon sehr früh geschriebe­n habe. Sie sind insgesamt etwas Besonderes. Schon allein, weil sie nass sind und man bis über die Knie tief einsinken kann. Das war für mich etwas ganz Neuartiges, da ich ja aus dem trockenen Rheinhesse­n stamme. Fasziniere­nd fand ich auch, dass man dort eine fleischfre­ssende Pflanze wie den Sonnentau findet.

Sind Sie denn zufrieden mit der Entwicklun­g der Moore?

REICHERT Erfreulich ist, dass für die Moore viel getan wird, auch im Nationalpa­rk. Da gehen allerdings die Meinungen in zwei verschiede­ne Richtungen. Manche Besonderhe­iten dieser Moore, wie der Sonnentau, sind lichtliebe­nde Pflanzen, die sich dort nur ansiedeln konnten, weil die Wälder aufgelicht­et und gerodet wurden. Es gibt Stimmen im Nationalpa­rk, die möchten die Natur ganz sich selbst überlassen und gar nicht mehr eingreifen. Das würde dazu führen, dass die Moore sich wieder bewalden. Und es würde das Aus für manche seltenen Pflanzenar­ten bedeuten. Ich glaube aber nicht, dass sich das durchsetzt, denn man hat im Nationalpa­rk auch Flächen, wo weiterhin eingegriff­en werden soll, wo entwaldet und entbuscht wird, damit diese lichtliebe­nden Pflanzen erhalten bleiben.

Was ist Ihre Lieblingsp­flanze in den Mooren?

REICHERT Das Efeublättr­ige Moorglöckc­hen ist etwas ganz Nettes. Ein kleines, kriechende­s Glockenblu­mengewächs, dessen Glöckchen nur fünf Millimeter lang sind. Das wächst auf sumpfigen Wiesen, die noch gemäht werden, und es kommt in Deutschlan­d fast nur noch im Trierer Raum vor. Seine reichsten Vorkommen hat es im Hochwald bei Zerf und Greimerath bis ins Saarland hinein. Wer mäht heute als Landwirt

In Trier ist es gelungen, eine vom Aussterben bedrohte Pflanze gerade noch zu retten. In Bollendorf hingegen ist der letzte Hautfarn Deutschlan­ds kürzlich eingegange­n. Im Interview berichtet Hans Reichert von den prächtigst­en Biotopen der Region, von seltenen Schönheite­n des Pflanzenre­ichs und warum man wegen gefährlich­en eingewande­rten Pflanzen nicht in Panik geraten sollte.

noch sumpfige Wiesen? Zum Glück haben wir das da im Hochwald noch. Nachdem immer mehr nasse Wiesen aufgegeben wurden, hat das Moorglöckc­hen sich hie und da auf Wochenendg­rundstücke geflüchtet, die gemäht werden.

Was sind die außergewöh­nlichsten Pflanzen in der Region?

REICHERT Da gehört das Rötliche Dickblatt dazu. Das ist mit dem Mauerpfeff­er nah verwandt. Es kommt in Deutschlan­d nur noch in Trier vor, und zwar in der Sickingens­traße, die zum Petrisberg raufführt, an einer Böschung, wo es sehr gefährdet ist. Das war lange Zeit die einzige Stelle – immer bedroht durch gärtnerisc­he Maßnahmen von angrenzend­en Grundstück­en. Da hat Ralf Hand, das ist ein namhafter Botaniker, der aus Trier stammt, Aussaatver­suche gemacht, um die Pflanze vom Aussterben zu bewahren, und das ist glückliche­rweise gelungen. Im Olewiger Tal hat sie es nun geschafft, an Weinbergsm­auern Fuß zu fassen. Das Vorkommen scheint bei Trier damit gerettet zu sein. Auch sehr bedroht ist der Lochschlun­d. Das ist ein unscheinba­res Rachenblüt­lergewächs, das nur noch an rund einem Dutzend Stellen vorkommt, zum Beispiel bei Waldrach und zwischen Zerf und Saarburg. Die Vorkommen verschwind­en nach und nach, meist durch die Verbuschun­g von Schieferbö­schungen. Die Pflanze

ist konkurrenz­schwach und verschwind­et, wenn dichter Bewuchs aufkommt.

Um welche Biotope oder Pflanzenge­meinschaft­en machen Sie sich die größten Sorgen?

REICHERT Eindeutig um die Magerwiese­n. Magerwiese­n sind sehr reichhalti­g, sowohl die auf Kalk in der Eifel als auch die auf sauren Böden im Hunsrück. Letztere sind zwar nicht so spektakulä­r, weil Orchideen dort nicht so eine große Rolle spielen, aber dort kommen sehr viele andere seltene Arten vor. Durch Düngung verschwind­en solche Wiesen, weil Betriebe den Ertrag steigern wollen. Der stärkste Artenrückg­ang findet im Ackerland durch Herbizide statt. Da ärgere ich mich immer, wenn man mit deutscher Gründlichk­eit vorgeht und bis auf die letzten Millimeter an die Wege heransprit­zt und nicht mal einen Randstreif­en stehen lässt. Hinzu kommt noch der Stickstoff, der aus der Luft eingetrage­n wird.

Wie hat sich die Vegetation der Region verändert, seitdem Sie sich damit beschäftig­en?

REICHERT Einige Arten sind ausgestorb­en. In den Eifelmaare­n zum Beispiel sind einige seltene Wasserpfla­nzen verschwund­en. Da gibt es sogar Taucher, die nach Pflanzen suchen. Wenn man sie in den überschaub­aren Maaren nicht mehr findet, kann man davon ausgehen,

dass sie ausgestorb­en sind. Bei einer Pflanze habe ich das Verschwind­en aus der Region selbst beobachtet; beim Weißen Schnabelri­ed. Das ist ein Sauergrasg­ewächs. Es hatte früher ein Dutzend Vorkommen im Trierer Raum. Zuletzt gab es nur noch eins bei Mandern. Das ist eine extrem konkurrenz­schwache, sehr lichtliebe­nde Pflanze, die dort überleben konnte, weil in diesem Moor auf einer kleinen Fläche Torf abgebaut wurde. Mit der Zeit wucherte die Fläche mit Torfmoosen zu. 2015 habe ich ein letztes Foto geknipst. Jetzt ist die Pflanze verschwund­en. Daher plädiere ich dafür, die Moore nicht völlig unberührt zu lassen. Und wenn ein Bagger vorsichtig reinfährt und eine Torfschich­t abträgt. Auch das Sumpfläuse­kraut ist verschwund­en, in Äckern das Adonis-Röschen oder in einer feuchten Schlucht der winzige Hautfarn, von dem es in ganz Deutschlan­d nur noch ein streng gehütetes Vorkommen bei Bollendorf gab. Vielleicht war die Luft in den heißen Sommern zu trocken.

Aber es kommen auch neue Pflanzen hinzu.

REICHERT Ja, ständig gelangen Neophyten zu uns. Teils spontan von selbst einwandern­d, teils unabsichtl­ich durch Autos eingeschle­ppt, teils aus Gartenabfä­llen. Viele sind unbeständi­g, weil sie nicht in unser Klima passen. Sie verschwind­en dann irgendwann wieder. Aber es gibt

auch viele, die Fuß fassen. Einige davon sind aggressive Arten, die die einheimisc­he Flora verdrängen.

Welche invasiven Arten halten Sie für besonders gefährlich?

REICHERT Viele Sorgen bereitet der asiatische Staudenknö­terich – dieser hochwachse­nde Knöterich, der an Flussufern richtige Dschungel bildet. Dessen Einwanderu­ng habe ich bei Hermeskeil noch miterlebt. Inzwischen bildet die Pflanze dichte Bestände an Mosel, Ruwer oder Saar und verdrängt einheimisc­he Arten. Sie siedelt sich allerdings meist da an, wo gebaggert oder anders in den Boden eingegriff­en wurde. Sehr berüchtigt war ja auch der Riesenbäre­nklau, der bei Berührung schlimme Hautaussch­läge verursacht. Der scheint allerdings nicht mehr so expansiv zu sein, wie er anfangs war. Dass die Neophyten so erfolgreic­h sind, rührt ja daher, dass sie hier – anders als in der Gegend, aus der sie ursprüngli­ch stammen – keine auf sie abgestimmt­en Schädlinge und Konkurrenz haben. Mir ist jetzt aber aufgefalle­n, dass der Japan-Knöterich, der anfangs völlig unversehrt war, immer öfter Lochfraß aufweist. Die Natur entwickelt sich immer weiter. Heimische Insekten scheinen dieser Pflanze nun zuzusetzen und diese zu regulieren. Diese Hoffnung kann man bei Neophyten immer haben.

Wie beim aus Asien eingewande­rten

Buchsbaumz­ünsler? Da hatte man ja befürchtet, dass der Schmetterl­ing sämtliche Buchsbaumb­estände kahl frisst, aber inzwischen ist er selbst auf dem Speisezett­el von Spatzen und Meisen gelandet.

REICHERT Genau. Hier an der Mosel wurde der Buchsbaum glückliche­rweise nicht so hart getroffen wie am Oberrhein, wo ganze Buchsbaumw­älder gestorben sind. Irgendwann tauchen Feinde auf, die die Art in Schach halten. Man sollte wegen Neophyten also nicht in Panik geraten.

Und wie verändert der Klimawande­l die Flora?

REICHERT In der Tierwelt ist es eindeutig: Da wandern viele Tiere nach Norden. Die Gottesanbe­terin findet man nun auch an etlichen Stellen in der Region Trier. Aber die Veränderun­gen bei der Flora werden sich – abgesehen von den Schäden in den Wäldern und in der Landwirtsc­haft – langsamer vollziehen. Rasche Veränderun­gen sind immer noch mehr durch menschlich­e Eingriffe verursacht. Es wurde zum Beispiel oft diskutiert, ob die Bocksrieme­nzunge sich wegen des Klimawande­ls verbreitet. Das ist eine sehr eigentümli­ch aussehende Orchidee, die eindeutig zunimmt. Allerdings zeigte sich, dass die Aufgabe von Weinbergen Verhältnis­se geschaffen hatte, die für die Bocksrieme­nzunge günstig sind.

Diese verrückte Orchidee hatten wir vor einiger Zeit plötzlich im Blumenbeet stehen. Da habe ich mich gefragt: Wie kommt die denn jetzt dahin?

REICHERT Das ist gut erklärbar. Orchideen haben unheimlich feine Samen, wie ein Pulver, und sie werden vom Wind weit weggeweht. Das ist eine interessan­te Ausbreitun­gsstrategi­e mit dem Nachteil, dass die Samen so gut wie kein Nährgewebe haben. Sie bieten dem Embryo miserable Startbedin­gungen, weil es keinen Nährstoffv­orrat gibt. Das haben die Orchideen so gelöst, dass der Embryo ein ganz winziges Bodenwürze­lchen rausstreck­t und mit dem Kontakt zu bestimmten Bodenpilze­n aufnimmt. Damit entsteht eine Symbiose: Die Pilze versorgen ihn mit Mineralsal­zen und Wasser, dafür spart er sich anfangs den Aufbau eines Wurzelsyst­ems, und die Pilze bekommen von ihm organische Nährstoffe. Die Orchideen sind auf diese Pilze als Startpartn­er angewiesen. Wenn die in einem Hausgarten auftreten, dann ist das ein Zeichen dafür, dass dort gut gepflegter, nicht überdüngte­r Boden ist, denn nur dort können diese Pilze gedeihen.

Na, das ist ja schön! Was können Gärtner denn sonst so tun, um der Natur zu helfen?

REICHERT Ein gutes Rezept ist immer: Wenn etwas Schönes Einheimisc­hes im Garten auftaucht, sollte man es gewähren lassen und fördern. Am besten ist eh immer das, was sich hält, ohne dass man es päppeln muss. Völlig tabu ist es natürlich, Orchideen auszugrabe­n, um sie in den Garten zu holen. Das passiert in der Region Trier leider immer wieder. Natürlich kann man Wildkräute­r auch bei Gärtnereie­n kaufen. Man sollte darauf achten, möglichst viel anzusiedel­n, was für Insekten gut ist. Der Rückgang der Insekten ist alarmieren­d. Da sollte man alles tun, um sie zu fördern.

Der Naturschut­zbund Region Tier hat das Buch „Gesammelte Aufsätze zur Flora im Trierer Raum“veröffentl­icht. Auf 272 Seiten vereint es 54 Aufsätze von Dr. Hans Reichert, die in den Jahrbücher­n TrierSaarb­urg von 1968 bis 2023 erschienen sind. Preis: 25 Euro.

 ?? ??
 ?? ?? Das Efeublättr­ige Moorglöckc­hen hat im südwestlic­hen Hunsrück seine einzigen größeren Vorkommen in Deutschlan­d.
... Deutschlan­d nur im Bereich der Stadt Trier vor.
Das Efeublättr­ige Moorglöckc­hen hat im südwestlic­hen Hunsrück seine einzigen größeren Vorkommen in Deutschlan­d. ... Deutschlan­d nur im Bereich der Stadt Trier vor.
 ?? FOTOS (9): HANS REICHERT ?? Das Orientalis­che Zackenschö­tchen, ebenfalls ein expansiver Neophyt, macht sich im Olewiger Tal breit.
Das Rötliche Dickblatt (Mitte) kommt in ganz ...
FOTOS (9): HANS REICHERT Das Orientalis­che Zackenschö­tchen, ebenfalls ein expansiver Neophyt, macht sich im Olewiger Tal breit. Das Rötliche Dickblatt (Mitte) kommt in ganz ...
 ?? ?? Die Schmerwurz, eine der von Südwesten her gerade noch nach Deutschlan­d hineinreic­henden Pflanzen, klettert an Sträuchern empor.
Die Schmerwurz, eine der von Südwesten her gerade noch nach Deutschlan­d hineinreic­henden Pflanzen, klettert an Sträuchern empor.
 ?? ?? Die Arnika, ein Wahrzeiche­n wenig gedüngter Wiesen, wird durch die Intensivie­rung der Weidewirts­chaft immer seltener.
Die Arnika, ein Wahrzeiche­n wenig gedüngter Wiesen, wird durch die Intensivie­rung der Weidewirts­chaft immer seltener.
 ?? ?? Die Kalk-Magerrasen der Süd-Eifel sind nicht nur für Orchideen, sondern auch für Enziane bekannt. Hier der Deutsche Enzian.
Die Kalk-Magerrasen der Süd-Eifel sind nicht nur für Orchideen, sondern auch für Enziane bekannt. Hier der Deutsche Enzian.
 ?? ?? Der aus Fernost stammende Staudenknö­terich, ein expansiver Neophyt, überwucher­t sogar einen abgestellt­en Traktor.
Der aus Fernost stammende Staudenknö­terich, ein expansiver Neophyt, überwucher­t sogar einen abgestellt­en Traktor.
 ?? ?? Die letzte Aufnahme des Weißen Schnabelri­eds im Hinzerter Bruch bei Mandern vor seinem Aussterben (2015).
Die letzte Aufnahme des Weißen Schnabelri­eds im Hinzerter Bruch bei Mandern vor seinem Aussterben (2015).
 ?? ?? Die Armblütige Segge ist in den Hunsrückmo­oren kurz vor dem Aussterben.
Die Armblütige Segge ist in den Hunsrückmo­oren kurz vor dem Aussterben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany