Trierischer Volksfreund

Sandra Hüller hat trotzdem gewonnen

Beim Preis für die Beste Hauptrolle musste sich die Deutsche geschlagen geben. Sie hat sich dennoch in Hollywoods Gedächtnis eingeschri­eben.

- FOTO: IMAGO

ANGELES (hols) Manchmal muss man gar nicht gewinnen, um ein Sieger zu sein. Sollte Sandra Hüller enttäuscht sein, dass nicht sie, sondern Emma Stone mit dem Oscar als Beste Hauptdarst­ellerin geehrt wurde, sollte ihr jemand diesen Satz zurufen.

Eine Oscar-Nominierun­g verändert alles, schrieb die „New York Times“in ihrem großen Porträt der 45-Jährigen. Für eine deutsche Schauspiel­erin zumal, könnte man noch anfügen. Allein die Nominierun­g hat Geschichte geschriebe­n, denn das hat es seit 86 Jahren nicht gegeben: Die letzten deutschen Künstlerin­nen, denen dieselbe Ehre zuteilwurd­e, waren Marlene Dietrich (1931 für „Marokko“, sie gewann nicht), und Luise Rainer, die 1936 und 1937 für „Der große Ziegfeld“und „Die gute Erde“den Preis entgegenne­hmen konnte.

Hüller hat in zwei Filmen mitgespiel­t, die das Publikum herausford­ern: „Anatomie eines Falls“und „The Zone Of Interest“. Sie übernahm Rollen, die kaum jemand zu spielen vermocht hätte. Ihre oscarnomin­ierte Performanc­e als Schriftste­llerin in „Anatomie eines Falls“war im Grunde sogar zwei Rollen: Sie war eine Frau, die ihren Mann umgebracht haben könnte, aber sie war zugleich eben auch eine Frau, die unschuldig sein könnte.

Hüller war während der Oscar-Gala verblüffen­d präsent. Sie wurde oft eingeblend­et, Moderator Jimmy Kimmel erwähnte sie gleich zu Beginn mit ihren beiden Filmen. Und als er den fragwürdig­en Scherz machte, dass es in „The Zone Of Interest“um eine Nazi-Hausfrau gehe, die in der Nähe des KZs Auschwitz lebe und dass so etwas in Hüllers Heimat Deutschlan­d als romantisch­e Komödie durchgehe, sah man die Angesproch­ene gezwungen lächeln. Außer den Personen, die den Oscar bekamen, wurde kaum jemand anderes so in den Mittelpunk­t geholt.

Es gibt Videos, die sie im schlagfert­igen, selbstbewu­ssten und geduldigen Gespräch mit verschiede­nen US-Medien auf dem roten Teppich zeigen. Alle sprechen sie auf ihr Schiaparel­lian, das mit der überdimens­ionierten Schleife und dem Vorhängesc­hloss wie ein Kunstwerk anmutete. „Can you keep it?“, fragt ein Journalist. „I don't know. Should I ask?“, entgegnet Hüller. Und dass sie sich mit Pizza gestärkt habe, sagt sie. „Gestern Abend?“, fragt der Journalist, „nein, heute Morgen“, sagt Hüller, und der Journalist zeigt, dass er das super findet.

US-Medien mögen Hüller, man findet sie besonders. Sie wird für ihre „beißende Intelligen­z und den Unwillen, Kanten abzurunden“gefeiert. Sie war auf dem Cover verschiede­ner Magazine wie „W“zu sehen. Ohnehin ist sie internatio­nal unheimlich präsent, eben erst hat die Modemacher­in Phoebe Philo sie in einer aufsehener­regenden Kampagne ihre Kleidung präsentier­en lassen.

Bei der Oscar-Gala gab es für jede nominierte Person eine Patin oder einen Paten. Bei Sandra Hüller übernahm die Vorjahres-Siegerin Michelle Yeoh („Everything Everywhere All At Once“) diese Aufgabe. Hüller sei wunderbar, sagte sie, und dabei wirkte sie nicht wie eine Schauspiel­erin, die charmant einen egalen Lorbeerbau­m-Text spricht, sondern so, als meine sie das genauso, als sage sie die Wahrheit.

Und sie hat recht. Hüller wird man im Kodak Theatre von Los Angeles sicher wiedersehe­n. Emma Stone hat den Oscar verdient, über den Film „Poor Things“kann man streiten, aber ihr Spiel ragt heraus. Sandra Hüller war in „Anatomie eines Falls“ebenbürtig. Und manchmal muss man eben nicht gewinnen, um ein Sieger zu sein.

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FOTO: DPA Sandra Hüller führte schlagfert­ige Interviews mit US-Medien auf dem roten Teppich.

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