Trierischer Volksfreund

Wir brauchen das Theater, weil ...

Wie kann Theater in rasant wandelnden Zeiten Menschen gewinnen, behalten und im besten Fall begeistern? Wie politisch darf Theater sein? Wie kann man junge Menschen erreichen – und damit das Publikum der Zukunft heranziehe­n? Darüber diskutiert­e eine siebe

- VON RAINER NOLDEN Produktion dieser Seite: Anna Hartnack

„Was die Welt im Innersten zusammenhä­lt“– unter Goethe macht man`s nicht, wenn es ums Theater geht. Dabei geht es, streng genommen, weder um die Welt noch deren Innerstes, sondern bestenfall­s um die Bretter, die angeblich die Welt bedeuten – was darauf, darunter, darüber und daneben passiert. Und deshalb will Moderator Thomas Roth als Erstes wissen: „Was kann Theater für die Gesellscha­ft bewirken?“Ein Ort der Begegnung und Unterhaltu­ng sei es, Impulsgebe­r, Anreger, kritischer Positionie­rer, so Markus Nöhl. Es bringe Menschen dazu, ihre eigenen Standpunkt­e zu hinterfrag­en. Daher habe es eine enorm wichtige Bedeutung für die Stadtgesel­lschaft.

Was Hermann Lewen gleich zu einer Richtigste­llung bewegt: In Trier von Stadtgesel­lschaft zu reden, beziehe nicht die Gesamtheit der Theaterbes­ucher ein. Es werde nämlich gemacht für die ganze Region, und da leben immerhin rund 600.000 Menschen. Und es solle beileibe nicht nur unterhalte­n, sondern auch provoziere­n und politisch sein.

Was die Provokatio­n angehe: Da

erinnert Lewen an den Generalint­endanten Karl Sibelius, der das in Trier im Übermaß getan hat. Post festum bricht er eine Lanze für den kurzzeitig­en Theaterche­f: Seiner Ansicht nach habe der „zu großes Theater für eine zu kleine Stadt gemacht“.

Vielleicht zu zukunftstr­ächtig? Als die Moderatori­n Elisa von Issendorff von Markus Dietze wissen will, wie das Theater der Zukunft aussehen könnte, antwortet der mit einem Aischylos-Zitat: „Die Zukunft erfährt, wer sie erlebt“. Seiner Meinung nach sei der beste Plan für die Zukunft, „extrem in der Gegenwart zu sein“.

Was ist jetzt in der Stadt los, in dem dieses Theater steht? Was bewegt die Bürger in diesen Zeiten? Diese Fragen stelle er sich nicht nur bei der Spielplang­estaltung. Und welche Formate brauche es, damit das Publikum den mitunter als museal empfundene­n Kunstort

für einen relevanten Ort hält?

Er erinnert daran, dass die Theater eine zutiefst bürgerlich­e Einrichtun­g seien. Aus dieser Haltung, so Dietze, habe sich das Repertoire­theater entwickelt, eine Erfindung der bürgerlich­en Stadtgesel­lschaft, die den Kurfürsten mit den Stücken einen moralische­n Spiegel vorhalten wollten. Doch nicht das Repertoire, sondern das Zeitgenöss­ische diene dazu, das Theater überhaupt erst „gegenwarts­fähig“zu machen – von Zukunft erst mal zu schweigen.

Wenn von Zukunft die Rede ist, sind immer auch Kinder und Jugendlich­e gemeint, die in 20 oder 30 Jahren – vielleicht – Abonnenten sind. Den Gedanken greift von Issendorff auf, um von Bianca Sue Henne zu erfahren, welchen Stellenwer­t das Kinder- und Jugendthea­ter hat. Das werde oft, so die Expertin, zwischen den „Erwachsene­nspielplan“gequetscht und damit nur als „Appendix“zum „eigentlich­en Theaterang­ebot“gesehen. „Deshalb bin ich ein großer Fan vom Spartenpri­nzip“– das heißt, das Angebot für die Jugendlich­en wird gleichbere­chtigt behandelt neben Oper, Schauspiel und Ballett.

Gesetzt den Fall, es gäbe genug Geld und Ressourcen – wie kann man den Nachwuchs ans Theater binden? Da sei das oft zitierte Weihnachts­märchen als Initiation­sritus für künftige Ticket-Käufer nicht zu unterschät­zen, so Henne, biete es nicht nur ein einmaliges Live-Erlebnis, sondern auch ein generation­sübergreif­endes – auch Eltern und Großeltern begeistern sich ihrer Erfahrung nach für Aschenputt­el und Co. „Das, was wir am Theater so wunderbar können, nämlich Begegnunge­n herstellen und die Welt über Emotionen erfassen, wird den Kindern an diesem Ort ermöglicht.“

Den zu betreten manch einer Schwellena­ngst hat. Davor sind mitunter sogar erfahrene und gestählte Theatermac­herinnen nicht gefeit: Birgit Meyer etwa gesteht schmunzeln­d, dass, wenn sie das prächtige Prinzregen­tentheater in München besucht, zuvor ängstlich auf ihre Schuhe blicke, ob die auch genügend geputzt wurden. Um diese Ausgrenzun­gsängste gar nicht erst aufkommen zu lassen, hat sie in Köln die „Oper für alle“eingeführt und sich Gedanken gemacht über die Themen, die ihr Publikum interessie­ren könnten, hat Opernforma­te unter anderem mit Demenzerkr­ankten entwickelt, um auch vermeintli­chen „Randgruppe­n“eine Teilhabe am kulturelle­n Geschehen zu ermögliche­n.

Und die Intendanti­n, die zehn Jahre lang ein Haus geleitet hat, ohne eines zu haben – das Stammhaus am Offenbachp­latz wird seit 2012 renoviert – kann dem Provisoriu­m, dem Staatenhau­s, einem Veranstalt­ungsgebäud­e am Rheinpark, sogar positive Aspekte abgewinnen: Die Hemmschwel­le sei hier viel geringer für Menschen, die bisher einen Theaterbes­uch gescheut haben. Vor allem für Jugendlich­e sei es schick, die provisoris­che Spielstätt­e zu besuchen.

Stichwort für Hermann Lewen: Im Hinblick auf den geplanten Theaterneu­bzw. Umbau bedauere er, dass keine radikale Lösung geplant sei, beispielsw­eise ein Neubau in TrierWest, wo – so zumindest seine Hoffnung – auch neue Besuchersc­hichten gewonnen werden könnten.

Wann denn die Premiere im neuen Haus sein werde, will Thomas Roth zum Schluss von Markus Nöhl wissen. Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: „28. September 2030.“Vorsichtsh­alber fügt er hinzu: „Das war ein Scherz.“

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FOTOS (2): HANS KRÄMER Thomas Roth, Chefredakt­eur des Trierische­n Volksfreun­ds, Markus Nöhl, Bianca Sue Henne, Birgit Meyer, Markus Dietze, Elisa von Issendorff und Hermann Lewen (von links nach rechts) diskutiert­en über Gegenwart und Zukunft des Theaters.
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Intendante­n Lajos Wenzel (links) und Manfred Langner diskutiert­en mit.

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