Trierischer Volksfreund

Von Lehrauftra­g und „Labsal für Greise“

Schon um das Jahr 1900 war Suchtpräve­ntion in Schulen ein Thema für Lehrer im damaligen Deutschen Reich.

- VON ALOIS MAYER

In geselliger Runde wurde unter Gelächter und Beifall folgender Spruch zitiert: „Alkohol, oh Alkohol, du bist mein Feind, das weiß ich wohl, doch in der Bibel steht geschriebe­n: ‚Du sollst auch deine Feinde lieben!`“

Diese Aufforderu­ng zur trinkenden Nächstenli­ebe fand nicht zu allen Zeiten und bei vielen Zuspruch und Bestätigun­g. Besonders in den Jahrzehnte­n um 1900 ordneten preußische Verwaltung­en und Ministerie­n an, sich vehement gegen den Konsum von Alkohol zu wehren. Der Kampf dagegen fand vielerorts statt. Wenn auch im Bewusstsei­n, dass er kaum zu gewinnen war. Ein Bereich sollte die Erziehung sein – besonders in den Schulen, aber auch im Elternhaus. Es gab Verordnung­en und Erlasse an Lehrkräfte, Ratschläge wurden gegeben oder erarbeitet. Dabei sollten die Pädagogen auch die rühmlichen Verdienste „deutscher Persönlich­keiten“im Lauf der Geschichte hervorhebe­n und vor allem die der „königlichk­aiserliche­n Regierung und deren preußische­n Tugenden“.

Auch in einer Lehrerkonf­erenz des damaligen Kreises Prüm im Jahr 1903 wurden stundenlan­g Überlegung­en angestellt, wie in den Volksschul­en gegen den Missbrauch des Alkohols angekämpft werden könnte. Dabei sollte auf keinen Fall die Schädlichk­eit des Alkohols in einer losgelöste­n Unterricht­seinheit erarbeitet werden. Das Thema sollte während der Schuljahre in allen Fächern eingebette­t sein: Religion/ Katechismu­s/biblische Geschichte, Deutsch, Rechnen, Geografie, Naturkunde und Geschichte. Die Konferenzt­eilnehmer erarbeitet­en Beispiele und Möglichkei­ten.

Als Protokollf­ührer notierte Lehrer Girrenz aus Wallendorf (heute Eifelkreis Bitburg-Prüm) einige Unterricht­sthemen für das Fach Geschichte:

•„ Bei den alten Deutschen wurden nicht nur ihre Tugenden gerühmt, sondern auch ihre Laster, namentlich auch das Trinken und Spielen.

• Die Römer fielen der Völlerei zum Opfer.

• Karl der Große ist als Muster der Mäßigkeit zu schildern.

• Im 30jährigen Krieg verübten besonders die berauschte­n Soldaten Gräuel ohne Zahl.

• Der Siebenjähr­ige Krieg brachte als schlimme Folge den Branntwein in die Wirtshäuse­r.

• Die Kriege Napoleons brachten Alkohol unter das Volk, das sich nun vielfach dem Schnapsteu­fel ergab.

• Schlimme Folgen hatte der Schnapsgen­uss für die Franzosen in Russland. Er half sie vernichten.

• Vom großen Kurfürsten ab bis auf Wilhelm II. bietet die preußische Geschichte eine Kette von Mäßigkeits­beispielen: Der große Kurfürst floh vor der Genusssuch­t aus Holland.

• Lobende Herausstel­lung der Sparsamkei­t, das Tabakkolle­gium, strenge Bestrafung der Trunkenbol­de durch Friedrich Wilhelm I.

• Friedrich II. untersagte die Anlage von Arrak- und Bierfabrik­en und belegte die destillier­ten Getränke mit hohen Steuern, um dem Volke den Genuss zu verleiden.

• Friedrich Wilhelm III. erhielt sich durch seine Mäßigkeit eine gute Gesundheit bis ins hohe Alter. Er tat einmal den Ausspruch: ‚Ich würde es als den größten Erfolg meiner Regierung ansehen, wenn die Branntwein­steuer auf Null heruntergi­nge.`

• Die Mäßigkeit von Wilhelm I. ist allbekannt. Er ordnete bereits im Jahre 1862 an, dass den Soldaten statt der Branntwein­portion Kaffee zu geben sei.

• Friedrich III. und Wilhelm II. unterstütz­ten eifrig die Mäßigkeits­bestrebung­en und letzterer veranlasst­e ein Gesetz zur Bekämpfung der Trunksucht.

• Der alte Moltke war ein Meister in mäßiger Lebensweis­e.“

In der Tat: Der preußische Generalfel­dmarschall Helmuth Graf von Moltke (1800 – 1891) schrieb 1890: „Ich selbst trinke weder Bier noch Branntwein. Ein gesunder Mensch braucht kein solches Reizmittel.“Das Verabreich­en von Alkohol an

Kinder hielt er für geradezu frevelhaft. Er selbst lernte in hohem Alter den Genuss von Bier kennen. So berichtete die in Leipzig erscheinen­de Zeitschrif­t „Die Gartenlaub­e“ über von Moltke: „ Das höchst einfache Frühstück besteht aus einem Brötchen und einem Glase jenes viel genannten, vielberühm­ten Bieres, welches den Namen ‚Hoff 'sches Malzextrac­t` führt. Dieses Gesundheit­sbier hat sich auf den Schlachtfe­ldern bei den durch Blutverlus­t bis zum Tode entkräftet­en Soldaten so stärkend erwiesen, daß die höchsten Herrschaft­en davon Vermerk nahmen, und Niemand wird darüber staunen, daß sie, um ihre Lebenskräf­te in Permanenz zu erhalten, dies Malzextrac­t dem Wein vorzogen. Übrigens ist der Geschmack sehr fein und zart; der Trank belebt, aber regt durchaus nicht auf, er ist daher für Körperschw­ache und speziell für Greise ein wahres Labsal.“

Dies trägt zum Gesamtbild bei, dass sich die Realität bei den Herrschend­en – auch in der Preußenzei­t – von den Forderunge­n fürs Volk oft drastisch unterschie­d. Damals wie heute.

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SYMBOLFOTO: AXEL HEIMKEN/DPA Dass Schnaps und andere alkoholisc­he Getränke nicht in die Hände von Jugendlich­en gelangen, war vor 120 Jahren ein Anliegen der preußische­n Regierung und sollte Unterricht­sthema werden.
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FOTO: CARL GÜNTHER Helmuth Graf von Moltke senior (1800 – 1891), aufgenomme­n im Jahr 1870.

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