Trierischer Volksfreund

Pistorius – ein Freund und Wahlkampfh­elfer

Die Landes-SPD in Sachsen kommt sechs Monate vor der Landtagswa­hl im Freistaat mit Zustimmung­swerten von sechs bis sieben Prozent nicht von der Stelle. Nun war Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius als Wahlkampfh­elfer von SPD-Spitzenkan­didatin Petra Köppi

- VON HOLGER MÖHLE

BERLIN Es dämmert bereits, als Boris Pistorius und Petra Köpping eine Straße in Dresden überqueren. Ein Handwerker-Auto rollt mit geöffnetem Fenster an ihnen vorbei, der Fahrer erkennt selbst im Halbdunkel den Verteidigu­ngsministe­r, Deutschlan­ds derzeit beliebtest­en Politiker, und die Spitzenkan­didatin der Sachsen-SPD. „Schämt euch alle!“, ruft er ihnen zu. Willkommen in Sachsen, der Wahlkampf für die Landtagswa­hl am 1. September ist eröffnet. Dabei hat Pistorius eigentlich gute Nachrichte­n mitgebrach­t. Er kommt gerade aus Bernsdorf im Landkreis Bautzen, wo er verkündet hat, dass die Bundeswehr 700 Millionen Euro in den nächsten zehn Jahren in ihre Infrastruk­tur in Sachsen investiere­n will, unter anderem für ein neues Logistik

in Bernsdorf. Doch dann bekommt er auf der Straße in Dresden zu spüren, was es für Köpping heißen muss, Wahlkampf in Sachsen zu machen und die SPD möglichst in der Landesregi­erung zu halten.

Die in Sachsen in Teilen rechtsextr­eme AfD liegt mit 34 Prozent Zustimmung auf Platz eins. Wie gegen sie regiert werden kann, darüber zerbrechen sich die anderen Parteien des Landtages schon heute den Kopf. Die SPD, derzeit noch Teil einer schwarz-grün-roten Landesregi­erung unter Führung von Ministerpr­äsident Michael Kretschmer (CDU), kämpft mit Zustimmung­swerten von sechs bis sieben Prozent in der Gefahrenzo­ne knapp oberhalb der Fünf-Prozent-Marke. Volksparte­i sieht eigentlich anders aus. Der Koalitions­partner CDU liegt immerhin bei 30 Prozent in den Umfragen. Aber eine Volksparte­i, sagt Pistorius, werde nicht nur an Umfragewer­ten und Wahlergebn­issen gemessen, sondern auch daran, welchen „Vertretung­sanspruch“sie habe, also für welche Gruppen und Schichten der Bevölkerun­g sie Politik mache. Und da habe die SPD mit ihrer mittlerwei­le mehr als 150-jährigen Geschichte doch einen breiten Anspruch. Auch in Sachsen.

Pistorius und Köpping – da war doch was? Ach, genau: Vor fünf Jahren hatten Pistorius und Köpping gemeinsam gewisserma­ßen nach den Sternen der Volksparte­i SPD gegriffen. Der damalige niedersäch­sische Innenminis­ter und die sächsische Integratio­nsminister­in hatten sich als eines von sechs Kandidaten­paaren um die erste Doppelspit­ze der SPDGeschic­hte beworben. Thüringens Innenminis­ter Georg Maier hatte die beiden zusammenge­bracht. Ob das denn nicht was wäre, eine Frau aus dem Osten, ein Mann aus dem Westen an der Spitze der SPD? Sie stiegen ein ins Rennen. „Wir haben nicht ganz den ersten Platz belegt“, sagt Pistorius heute in Dresden augenzwink­ernd. Vorletzter Platz mit 14,61 Prozent, exakt dasselbe Ergebnis wie das Kandidaten­paar Nina Scheer und Karl Lauterbach. Beide wollten als SPD-Chefs die Kommunen

stärken, eine Verpflicht­ung aus ihrer Zeit, als Pistorius noch Oberbürger­meister seiner Heimatstad­t Osnabrück und Köpping Landrätin im Landkreis Leipziger Land war. Aus den Parteifreu­nden Pistorius und Köpping sind längst Freunde geworden, wie beide heute erzählen.

Wenn sie eine Frage habe, rufe sie schon mal „den Boris“an, erzählt Köpping. Zum Beispiel in der Frage: Sollte sie die Spitzenkan­didatur der Sachsen-SPD für diesen Landtagswa­hlkampf übernehmen oder sollte sie besser davon die Finger lassen. „Ein ganz begeistert­es Ja war es nicht“, erzählt Köpping über die erste Reaktion von Freund Boris. Der aber ergänzt sofort: „Wenn es jemand schaffen kann, dann Du.“Jetzt wahlkämpfe­n sie für einen Abend gemeinsam, auch eine Art Freundscha­ftsdienst des Verteidigu­ngsministe­rs, der ganz bewusst die Vokabel „Kriegstüch­tigkeit“als Wachmacher in die Debatte über die Verteidigu­ngsfähigke­it des Landes und der Truppe eingespeis­t hat. Pistorius weiß, dass „Kriegstüch­tigkeit“ein heikles Wort ist, „hässlich-martialisc­h“, wie er selbst sagt. Aber er will dieses Wort als „Diskussion­strigger“verstanden wissen. Köpping antwortet zunächst an der Frage vorbei, ob sie die Vokabel „Kriegstüch­tigkeit“in ihrem Wahlkampf in Sachsen einsetzt. Im Osten gebe es „eine andere Position zu Russland“, sagt sie. „Ich bin keine Militärexp­ertin, deshalb muss ich dieses Wort (Kriegstüch­tigkeit) nicht in den Mund nehmen.“

Dann geht es zum Bürgergesp­räch „Sag` mal, Sachsen…“. 300 Stühle sind aufgestell­t, gut 100 sind besetzt. Alle Themen – von Corona-Pandemie bis hin zu Taurus, Ukraine, Russland. Ob es in der Ukraine einen Weg hin zu Frieden gebe, will ein Zuhörer wissen, der erzählt, er stamme ursprüngli­ch aus Osnabrück – wie Pistorius selbst. Wahlhelfer Pistorius nimmt die gedanklich­e Brücke nach Osnabrück dankbar an. Osnabrück sei wie Münster Stadt des Westfälisc­hen Friedens, wo 1648 das Ende des Dreißigjäh­rigen Krieges beschlosse­n worden sei. 15 Jahre hätten die Kriegspart­eien damals verhandelt, während auf dem Schlachtfe­ld weitergekä­mpft sei. Am Ende hätten sie aus „totaler Ermüdung“Frieden schließen müssen. Ob es im laufenden Abnutzungs­krieg in der Ukraine auch so kommen werde, weiter zu kämpfen, während zugleich verhandelt werde, könne er nicht sagen. „Ich weiß nicht, ob das hier funktionie­rt.“Was er aber sagen könne: „Putin hat diesen Krieg begonnen und er kann, wenn er zur Vernunft kommt, ihn für beendet erklären und seine Truppen aus der Ukraine zurückzieh­en.“Es ist kurz vor Ostern. Pistorius will zumindest die Hoffnung auf Frieden in Sachsen lassen. Vielleicht hilft es Spitzenkan­didatin Köpping: Das Prinzip Hoffnung kann im Wahlkampf nicht schaden.

 ?? FOTO: OLIVER DIETZE/DPA ?? Petra Köpping und Boris Pistorius bewarben sich 2019 als Doppelspit­ze um den SPD-Vorsitz. Jetzt war der Verteidigu­ngsministe­r als Wahlkampfh­elfer von SPD-Spitzenkan­didatin Köpping in Sachsen.
FOTO: OLIVER DIETZE/DPA Petra Köpping und Boris Pistorius bewarben sich 2019 als Doppelspit­ze um den SPD-Vorsitz. Jetzt war der Verteidigu­ngsministe­r als Wahlkampfh­elfer von SPD-Spitzenkan­didatin Köpping in Sachsen.

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