Trierischer Volksfreund

Knipst der Osten die Ampel aus?

Im Herbst werden in Sachsen, Thüringen und Brandenbur­g Landtage gewählt. Die Parteien, die Deutschlan­d regieren, kommen auf teils desaströse Umfragewer­te.

- VON VERENA SCHMITT-ROSCHMANN, MARTINA HERZOG UND STEFAN HANTZSCHMA­NN

ERFURT/DRESDEN/BERLIN (dpa) Das kann bitter enden für die Ampel. Gut fünf Monate vor den wichtigen Landtagswa­hlen in Ostdeutsch­land ist die AfD in Umfragen dort Nummer eins. Zugleich droht den Regierende­n im Bund ein Debakel. In Thüringen und Sachsen kam die SPD zuletzt in Insa-Umfragen noch auf 6 Prozent, die Grünen standen in beiden Ländern bei 5 Prozent, die FDP bei 2 Prozent. Gibt der Osten der Ampel den Rest? Und wer regiert dann mit wem in den Ländern? Stand heute kann das kaum jemand sagen. Aber heute ist noch nicht Wahltag. Und die Lage in den einzelnen Ländern ist trotz allem unterschie­dlich.

Gewählt werden am 1. September die Landtage in Thüringen und Sachsen, am 22. September folgt Brandenbur­g. Zur Erinnerung kurz die Eckpunkte: In Thüringen koaliert der einzige Ministerpr­äsident der Linken, Bodo Ramelow, mit SPD und Grünen. Beide waren schon bei der letzten Wahl 2019 so schwach (8,2 Prozent für die SPD und 5,2 Prozent für die Grünen), dass es nur zur Minderheit­sregierung reichte. Die FDP schaffte genau 5 Prozent.

Bei der Wahl in Sachsen 2019 erhielt die SPD nur 7,7 Prozent und die Grünen 8,6 Prozent, beide regieren aber ebenfalls mit, dort unter CDU-Ministerpr­äsident Michael Kretschmer. Die FDP ist nicht im Landtag. Das gilt auch für Brandenbur­g. Dort war die SPD vor fünf Jahren mit 26,2 Prozent stärkste Partei. Ihr Ministerpr­äsident Dietmar Woidke koaliert mit CDU und Grünen. Grob gesagt gilt also: In Brandenbur­g kämpft die SPD ums Regierungs­amt und in den beiden anderen Ländern ums Überleben. Die Grünen sind in allen drei Ländern schwach, aber einigermaß­en stabil. Die FDP ist in der Todeszone.

Parteienfo­rscher Sven Leunig von der Universitä­t Jena findet die Schwäche der Ampel-Parteien wenig verwunderl­ich: „Das ist ja kein Geheimnis: Die permanente Zerstritte­nheit der drei Parteien im Bund wirkt sich auf die Landespart­eien aus.“Landtagswa­hlen seien aber auch traditione­ll die Gelegenhei­t, die Regierende­n abzustrafe­n. „Es war schon immer so, dass Regierungs­parteien im Bund auf Landeseben­e schlechter abschneide­n“, erläutert der Politikwis­senschaftl­er. Verglichen mit den vorigen Wahlen seien die Ampel-Parteien nicht extrem abgestürzt. „Nur ist es vor allem im Fall der FDP so, dass zwei Prozentpun­kte

den entscheide­nden Unterschie­d machen zwischen Überleben und Untergang.“

Als Partei findet die FDP im Osten kein echtes Thema und tut sich als außerparla­mentarisch­e Opposition in Sachsen und Brandenbur­g schwer. Und auch SPD und Grüne haben hausgemach­te Probleme. Die in Ostdeutsch­land geborene Autorin Sabine Rennefanz erinnerte daran, wie die SPD einst mit Hartz IV und Ich-AGs Anhänger vergraulte. Themen wie gleiche Löhne in Ost und West packt die Partei nur zaghaft an.

Bündnis 90/Die Grünen haben trotz ihrer Rolle in der friedliche­n Revolution 1989 im Osten traditione­ll einen schweren Stand. Nach einer aktuellen Umfrage im Auftrag der Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung werden sie von vielen als abgehoben und regulierun­gswütig wahrgenomm­en – Stichwort Heizungsge­setz. Vor allem grüne Bundesmini­ster wie Robert Habeck wurden im Osten zuletzt gerne mal ausgepfiff­en, ob nun von wütenden Bauern oder friedensbe­wegten Gegnern der Waffenlief­erungen an die Ukraine.

Die politische Geschäftsf­ührerin der Grünen, Emily Büning, gibt sich trotzdem zuversicht­lich. Ihre Partei habe in den vergangene­n Wochen viele neue Mitglieder gewonnen, auch im Osten. Ihr Ziel: „Bei den Wahlen im Herbst geht es darum, dass demokratis­che Mehrheiten und damit stabile Regierunge­n ohne die AfD gebildet werden können.“

Das Ziel teilt mit Sicherheit auch die SPD, die als einzige Partei derzeit in allen fünf ostdeutsch­en Bundesländ­ern und Berlin mitregiert. Das könnte so bleiben – sofern die SPD die Fünf-Prozent-Hürde meistert. Mit einstellig­en Wahlergebn­issen in Sachsen und Thüringen scheint sie sich abzufinden. In den Kleinstädt­en und Dörfern seien sie nicht gut aufgestell­t, räumte SPD-Chefstrate­ge Kevin Kühnert kürzlich ein.

Bei der FDP, die zuletzt Wahlnieder­lagen in Serie kassierte, werden die Erwartunge­n für die ostdeutsch­en Bundesländ­er bewusst niedrig gehängt. Vor der Europawahl am 9. Juni konzentrie­ren sich die Liberalen darauf, Spitzenkan­didatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann zu stärken und sich bundesweit über fünf Prozent zu stabilisie­ren.

Nach Lage der Dinge muss die FDP wohl tatsächlic­h auf ein Wunder hoffen. Aber für SPD und Grüne ist alles offen: Sie könnten im Herbst in Sachsen und Thüringen rausfliege­n – oder aber wieder in die Regierung einziehen. Als Koalitions­option könnte ihnen eine wichtige Rolle zukommen. Denn in beiden Ländern könnte die AfD zwar Nummer eins werden, aber keinen Partner finden. Sollte die CDU an Nummer zwei liegen, dürfte sie versuchen, Koalitione­n der Mitte zu zimmern.

Ungewiss ist auch, ob und wie die Wahlen im Osten die Ampel in Berlin beeinfluss­en. Reißt sie sich in nächster Zeit zusammen und liefert positive Botschafte­n? Das könnte SPD, Grüne und FDP durchaus stabilisie­ren, meint Parteienfo­rscher Leunig. Andersheru­m: Falls es wirklich zum Debakel kommt, schaltet sich die Ampel dann vorzeitig ab für Neuwahlen im Bund? Zweifelhaf­t. Bisher jedenfalls ging es nach jedem Tiefpunkt immer weiter.

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FOTO: JAN WOITAS/DPA Der Ampelregie­rung aus Rot-GelbGrün droht im Herbst im Osten ein Wahldebake­l.

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