Historiker-Brandbrief zum Ukraine-Kurs rüttelt SPD auf
BERLIN (dpa) Ein Brandbrief von fünf sozialdemokratischen Historikern zum Regierungskurs in der Ukraine-Politik rüttelt die SPD auf. Die Gruppe um den Berliner Professor Heinrich August Winkler hatte Kanzler Olaf Scholz in dem Schreiben an den Parteivorstand vorgeworfen, die „unzweideutige Solidarität“mit der Ukraine vermissen zu lassen. Die Äußerung des Fraktionschefs Rolf Mützenich zum
Produktion dieser Seite: Martin Wittenmeier Vincent Bauer „Einfrieren“des Kriegs kritisierten die Historiker sogar als „fatal“.
Der SPD-Außenpolitiker Andreas Schwarz trat am Donnerstag zwar dem Eindruck entgegen, dass ein Riss durch seine Partei geht. Er räumte im Deutschlandfunk allerdings ein, dass der Ukraine-Kurs in der Bundestagsfraktion „leicht konträr“diskutiert werde. „Das muss auch eine Demokratie, das muss auch eine Partei aushalten, dass es unterschiedliche Meinungen zu einer wirklich sehr komplexen Frage gibt.“
Der Brief wirft ein Schlaglicht darauf, dass die Auseinandersetzung in der Ampel-Koalition über den Ukraine-Kurs nicht nur zwischen der SPD auf der einen und Grünen und FDP auf der anderen Seite geführt wird, sondern auch innerhalb der SPD. Bisher hatte es gegen die roten Linien des Kanzlers bei der Lieferung der Marschflugkörper Taurus in die Ukraine und der Entsendung von Bodentruppen kaum öffentlichen Widerspruch von prominenten Sozialdemokraten gegeben. Der linke Parteiflügel, der sich seit Langem neben den Waffenlieferungen mehr diplomatische Initiative wünscht, fühlte sich bestärkt. Fraktionschef Rolf Mützenich (SPD) schien dadurch geradezu euphorisiert zu sein und brachte sogar ein „Einfrieren“des Konflikts ins Gespräch - also eine Waffenruhe, um eine Verhandlungslösung zu ermöglichen.
Das ging einigen dann doch deutlich zu weit. Aber nur wenige sagten es so klar und deutlich wie Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), der sich von Mützenich mit den Worten distanzierte: „Es würde am Ende nur Putin helfen.“
Die Historiker nahmen diesen Gedanken in ihrem Brief auf und wendeten ihn auch auf die roten Linien des Kanzlers an: „Wenn Kanzler und Parteispitze rote Linien nicht etwa für Russland, sondern ausschließlich für die deutsche
Politik ziehen, schwächen sie die deutsche Sicherheitspolitik nachhaltig und spielen Russland in die Hände“, schrieben sie. Sie werfen Kanzler, Partei- und Fraktionsspitze zudem vor, in der Debatte über Waffenlieferungen „immer wieder willkürlich, erratisch und nicht selten faktisch falsch“zu argumentieren.
Außerdem kritisieren sie, dass innerhalb der SPD eine „ehrliche Aufarbeitung der Fehler in der Russlandpolitik der letzten Jahrzehnte“fehle. Weder die Verstrickungen eigener Mitglieder mit Interessenvertretern Russlands noch „die fehlgeleitete Energiepolitik,
die Deutschland in eine fatale Abhängigkeit von Moskau geführt“habe, seien bisher ernsthaft problematisiert worden.
Eine Reaktion von Kanzler, Parteioder Fraktionsspitze gibt es bisher nicht. SPD-Chef Lars Klingbeil veröffentlichte vor einigen Tagen auf Instagram ein Video, in dem er aber lediglich die Linie der politischen, finanziellen und militärischen Unterstützung der Ukraine bekräftigte. „Die wird so lange weitergehen, wie die Ukraine unsere Unterstützung braucht.“Die Debatte über rote Linien in der Ukraine-Politik sprach er darin nicht direkt an.