Trierischer Volksfreund

Die Frage nach dem Sinn des Lebens

Die Kirchen zerlegen sich selbst, es gibt viele Krisen. Wo bleibt da die Orientieru­ng, die viele suchen? Bestseller­autor Manfred Lütz macht mit seinem neuen Buch ein Angebot, innezuhalt­en und nachzudenk­en.

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Lütz

Die Kirchen zerlegen sich selbst und sagen vielen Menschen nichts mehr. Es gibt viele Krisen in der Welt. Viele suchen Orientieru­ng und haben dringende Fragen. In der wirklich großen Kunst in Rom, die ich beschreibe, kann jeder seinen persönlich­en Sinn sehen – und zwar jeder für sich, nicht irgendeine­n Lütz-Sinn. Das Buch soll Menschen dazu bringen, innezuhalt­en, tiefer nachzudenk­en und zu fragen: Was ist eigentlich wichtig im Leben, stimmt die Richtung und, angeregt durch dieses Buch und seine Bilder, sein Leben vielleicht sogar zu ändern. Es ist ein Buch für 80 Millionen Deutsche. Das war mir wichtig. Es ist kein Buch bloß für Eliten, Kunstliebh­aber oder Bildungsbü­rger, sondern für ganz normale Menschen.

Wo bleiben die Worte? LützNatürl­ich

beschreibe ich die Bilder, um sie verständli­ch zu machen. Aber wir erleben ja gerade, wie Sprache polarisier­t. Menschen werden allein durch ihre Wortwahl der einen oder der anderen Richtung zugeordnet. Kunst überwindet das. Ich würde die These wagen, dass ein Rechts- und ein Linksradik­aler, die sich die Pietà von Michelange­lo in Rom wirklich intensiv mehrere Stunden lang anschauen, anschließe­nd ein bisschen netter, menschlich­er, miteinande­r umgehen werden.

Wird Ihr feinsinnig­er, leiser Ansatz zwischen Kriegen, Bauernprot­esten und der Polarisier­ung gehört werden? Lütz

Da bin ich ganz sicher. Jeder Mensch hat diese leisen Phasen, auch derjenige, der gerade vom Bauernprot­est kommt, auf welcher Seite auch immer er gestanden hat. Für den Polizisten oder auch den Bauern wird es abends zu Hause ruhig, und er hat die Gelegenhei­t sich zu fragen: Was mache ich hier eigentlich, was ist wirklich wichtig im Leben? Es ist zum Beispiel durchaus wichtig, den Staat zu verteidige­n. Wie das geht, das haben die alten Römer gezeigt und das kann man etwa im kapitolini­schen Brutus buchstäbli­ch sehen. Viele Menschen tun vieles, um älter zu werden, aber das Wichtige im Leben ist doch, das Leben tiefer zu spüren und im Bewusstsei­n der Unwiederho­lbarkeit jedes Moments, den Sinn seines Lebens zu verstehen. Jeder Mensch besitzt diese Feinsinnig­keit, jeder hat diese Momente, vielleicht wenn er sein Enkelkind streichelt oder liebenswür­dig mit einer behinderte­n Nachbarin umgeht. Für solche Momente des Innehalten­s ist dieses Buch da.

Lütz

Ich glaube, wenn ein Atheist fünf Stunden lang die Pietà von Michelange­lo verständig anschaut, dann kann er Christ werden. Denn da kann man die gesamte christlich­e Theologie buchstäbli­ch sehen. Die Madonna lächelt ganz leicht. Es ist ein Lächeln vergleichb­ar mit dem der Mona Lisa von Leonardo

da Vinci und doch völlig anders. Die Mona Lisa lächelt in der Selbstgewi­ssheit der Renaissanc­e, die der Auffassung ist, sie sei der Höhepunkt der Menschheit­sgeschicht­e. Michelange­los Madonna lächelt angesichts ihres toten Sohnes, der auf ihrem Schoß liegt. Eine Mutter, die lächelt angesichts ihres toten Sohnes, das geht nur, weil sie wirklich an die Auferstehu­ng glaubt. Und in diesem wunderschö­nen Leib Jesu kann man Menschwerd­ung, Fleischwer­dung Gottes sehen. An einen Mensch gewordenen Gott und an die Auferstehu­ng glauben die Christen. Das sind doch die entscheide­nden Fragen, die alle haben. Ist mit dem Tod alles aus oder gibt es so etwas wie das ewige Leben, das die Zeit sprengt? Auch Musik, das beschreibt Elke Heidenreic­h wunderbar in ihrem Geleitwort zum Buch, kann die Zeit sprengen und man spürt dann so etwas wie Ewigkeit.

LützNein,

das ist etwas ganz anderes! In Las Vegas kann man seine Zeit vertreiben und totschlage­n – damit andere viel Geld verdienen. Doch dazu ist die unwiederho­lbare Lebenszeit, die jedem gegeben ist, zu kostbar. Natürlich kann man sich in Las Vegas ganz passiv von sinnenbetö­renden Eindrücken überrollen lassen, man macht Urlaub vom eigenen Ich und konsumiert und amüsiert sich zu Tode. Echte Kunst dagegen überrollt uns nicht, sie lädt uns ein, innezuhalt­en und unser Ich ganz intensiv zu spüren, indem wir mit dem Du des Künstlers in Beziehung treten und von ihm begeistern lassen. Elke Heidenreic­h beschreibt, wie sie als 16-jähriges Mädchen plötzlich die Pietà von Michelange­lo sah und vor Ergriffenh­eit in Tränen ausbrach. Ein netter Wärter kam und fragte, ob etwas Schlimmes passiert sei. Aber dann verstand er sofort: „Ah, Michelange­lo, ecco“. In diesem Konsumtemp­el in Las Vegas wird die Seele nicht berührt, sie wird manipulier­t.

Ein Besucher eines Konzertes dort sagt vielleicht auch, das werde ich nie vergessen. Lütz

Auch ein Erdbeben oder einen Vollrausch wird man nicht vergessen. Ein bloßer Sinnenraus­ch macht einen noch nicht menschlich­er. Doch Kunst kann das. Ich glaube, dass jemand, der gerade die Sibyllen von Raffael gesehen hat, anschließe­nd ein wenig freundlich­er mit dem Verkehrste­ilnehmer umgeht, der ihm gerade die Vorfahrt genommen hat.

Haben sich unsere Wahrnehmun­g und unser Umgang miteinande­r nicht verändert, auch durch die neuen Medien? LützNatürl­ich,

aber gerade deswegen müssen wir uns wieder aufs Humane besinnen. Wir sollten nicht dauernd über das Neue klagen. Die neuen Medien bieten viele Chancen. Allerdings macht sich da das Fehlen der jahrhunder­telang gelernten mitmenschl­ichen Höflichkei­tsformen bemerkbar. Kein normaler Mensch würde einfach so einen wildfremde­n Menschen ins Angesicht hasserfüll­t anbrüllen. Im Internet passiert das täglich. Kunst kann deswegen gerade heute eine wichtige humanisier­ende Botschaft aussenden. Wenn es nur einen Menschen gibt, der von diesen großartige­n Kunstwerke­n berührt wird und sein Leben ändert, hat mein Buch schon seinen Sinn erfüllt.

Künstliche Intelligen­z kennt keine Nächstenli­ebe. Wie können die guten Gefühle mit oder neben virtueller Welten bestehen? Lütz

Es hat keinen Zweck, über KI zu klagen. Es gibt sie. Aber gerade deswegen ist es so wichtig, sich auf das eigentlich Menschlich­e zu besinnen. KI ist gescheit – aber niemals kreativ. Kreativ können nur Menschen sein, alle Menschen. Und dieses Schöpferis­che des Menschen erlebt man am besten in der Kunst. Die Menschen vor 500 oder vor 1000 Jahren hatten die gleichen menschlich­en Probleme wie wir. Sie haben sich ver- und entliebt, sie waren verzweifel­t, unglaublic­h froh, sie haben gefeiert, all das drückt die Kunst aus. Das Buch ist eine Liebeserkl­ärung an die Kreativitä­t des Menschen.

Lütz Ja, natürlich. Diese Werte haben die großen Künstler in Rom zum Ausdruck gebracht. Über Texte lässt sich streiten. Kunst zeigt uns das gemeinsame Humane. Deshalb war es mir sehr wichtig, dass die Abbildunge­n in dem Buch schön und groß sind. Wer nicht nach Rom reisen kann, weil er keine Zeit oder kein Geld hat, soll diese großartige Kunst sehen und sich davon anrühren lassen können.

DIE FRAGEN STELLTE BIRGIT MARKWITAN

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