Trierischer Volksfreund

Verdammt noch mal — was wollt ihr Frauen eigentlich?

Public viewing gibt’s in diesem Jahr erst ab 14. Juni. Public drawing kann man dagegen jetzt schon erleben — in der Europäisch­en Kunstakade­mie. Dort entstehen vor den Augen des staunenden Publikums Bilder quasi aus dem Nichts, inspiriert von den Sätzen, d

- VON RAINER NOLDEN

TRIER Zwei geschwunge­ne Linien, mehrere kurze und ein paar lange Striche. Fertig ist die Londoner Tower Bridge. Ein großer Kreis und daran angeklebt viele kleine Kreise. Nein, es ist nicht das Coronaviru­s, wie ein Zuschauer laut mutmaßt, sondern das „London Eye“, jenes Riesenrad am Ufer der Themse, von dessen Spitze aus man fast die ganze britische Metropole überblicke­n kann. Eine Linie, daran mehrere kleine spitze Dreiecke, darunter ein paar wolkige Gebilde: die Dekoration für eine Gartenpart­y inklusive Buschwerk. Fasziniere­nd ist es, dem Trierer Karikaturi­sten Johannes Kolz bei der Arbeit zuzusehen, wie er minimalist­ische Kunst mit maximalem Wiedererke­nnungswert

schafft. Und das tut er ein ganzes Stück lang, 100 pausenlose Minuten insgesamt in der Europäisch­en Kunstakade­mie, um den Beziehungs­ringkampf zweier Akteure, Joana Tscheinig und Raphael Christoph Grosch, grafisch zu unterfütte­rn.

Die beiden sind sowohl Kate, Journalist­in, und Steve, Bäcker, ein Paar, das unterschie­dlicher nicht sein könnte und trotzdem – oder gerade deshalb – zusammenfi­ndet; Carina, Steves Ex, und Ross, Kates Ex, ein Paar, das auch gerade frisch getrennt ist; Morag, Umweltakti­vistin und Hardcore-Feministin, und Joe, jüdischer Geschäftsm­ann. Die beiden sind Brautmutte­r und Brautvater, die sich auf der Hochzeit ihrer Kinder kennenlern­en und bei denen es gleich zur Sache geht.

Klingt komplizier­t? Ist es aber nicht in der flotten Inszenieru­ng, in der Regisseur Ulf Dietrich seine sechs, pardon, zwei Mitspieler zu komödianti­schen Höchstleis­tungen anspornt.

Es geht also um viel Sex in Samantha Ellis' Komödie „How to date a feminist“. Bäcker Steve ist dieser Feminist, ein ganz vorsichtig­er Frauenhera­ntaster (oder, je nach Perspektiv­e, ein verklemmte­s Weichei), der vor jedem Kuss gehorsam um Erlaubnis fragt. Grosch spielt den Frauenvers­teher umwerfend gehemmt und verstockt und versteht die Welt nicht mehr, als die Journalist­in Kate ihm gesteht, dass sie hin und wieder auf die harte Tour genommen werden möchte, gerne auch von ihm. Groschs Gesichtsau­sdruck bei diesem Geständnis: göttlich. Während Tscheinig als Steves Ex-Verlobte Carina, eine etwas schräge Steinmetzi­n, ganz das liebe Weibchen ist, dem das Wohlergehe­n des Brötchenma­chers über alles geht. Wurde diesem von seiner Mutter, die ihn in einem Frauencamp allein großgepäpp­elt hat, immenser Respekt vor allem Weiblichen anerzogen, fragt er sich (und Kate) immer öfter, was, verdammt noch mal, Frauen eigentlich wollen.

Als Ross dagegen ist er um 180 Grad gedreht: ein testostero­nabgefüllt­er Macho mit großer Sonnenbril­le und einem Hang zur Schmierigk­eit, der nicht lange fragt, ob er im Bett willkommen ist. Und in der nächsten Sekunde switcht er im Handumdreh­en um auf Joe, den bieder-konservati­ven Geschäftsm­ann komplett mit Kippa (die ihm

Tscheinig, weil er sie bei einem der zahlreiche­n Rollenwech­sel vergessen hat, rasch vom Kopf zieht), der ungeahnte Facetten an der Hardcore-Feministin Morag aufdeckt. Was wiederum die konservati­vspießige Seite ihrer Kinder entlarvt (was, unsere Eltern treiben es zusammen?).

„How to date a feminist“ist ein Fest für einen Schauspiel­er und eine Schauspiel­erin, die hier in drei sehr unterschie­dlichen Charaktere­n jeweils drei Mal so richtig auf die Pauke hauen können, dass dem Publikum die komödianti­schen Funken nur so um die Ohren fliegen. Ulf Dietrich sorgt für immenses Tempo und setzt seine sechs Protagonis­ten mit lockerer Hand in Szene und darüber hinaus auf deren atemberaub­ende Wandlungsf­ähigkeit und ebensolche Spielfreud­e. Fast vergessen kann man in diesem Feuerwerk der Spitzen und Pointen, dass dieses Stück – auch und eigentlich – sehr ernsthafte und diskussion­swürdige Probleme erörtert. Schwamm drüber!

Genau wie Johannes Kolz seine Zeichnunge­n mit einer Handbewegu­ng wegwischt. Seine aus dem Moment heraus entstanden­en Werke sind zwar weder spielentsc­heidend noch steuern sie dramaturgi­sch Nennenswer­tes bei – aber zumindest sind sie, wie es so schön heißt, „nice to have“– beziehungs­weise „nice to see“.

Die nächsten Vorstellun­gen: 3.,

12., 18. April; 2. und 24. Mai in der Europäisch­en Kunstakade­mie; Karten: 0651/718-1818.

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FOTO: MARCO PICUCH/THEATER TRIER Raphael Christoph Grosch und Joana Tscheinig in „How to date a feminist“.

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